Leben

Der Lockruf der Ganzheitlichkeit

Eine dem alternativen Lager angehörende Lokalpolitikerin warb vor Monaten mit dem Slogan um Stimmen, sie „als Frau“ könne einfach „ganzheitlicher denken“. Das fand ich lustig. Es ist erstaunlich, dass Frauen, die sich zurecht die Unterstellung verbieten, sie seien aus biologischen Gründen besser als Männer dazu geeignet, Falten aus dem Hemd zu bügeln, Gemüse in Suppe zu verwandeln und anschließend den Suppentopf zu reinigen, im gleichen Atemzug für sich in Anspruch nehmen, durch die Kraft ihres doppelten X-Chromosoms „ganzheitlicher denken“ zu können.

Was den zitierten Satz aber so besonders schmückt, das ist das Wort „ganzheitlicher“. Gibt es eigentlich auch halb- oder viertelheitlich? „Ganzheitlich“ heißt in Wahrheit gar nichts, es ist eines der derzeit so beliebten Wörter der Baumumarmer-Szene (wie „nachhaltig“, „feinstofflich“, „energetisch“, „entschlackend“ oder „Waldviertel“). Eine sprachliche Blähung. Ganzheitlich heißt: Total super. Und wenn dann irgendwann eh alle ganzheitlich sind, muss man eben steigern (die eingangs zitierte Lokalpolitikerin hat schon damit begonnen): Bist du ganzheitlich, bin ich -heitlicher und irgendwann am -heitlichsten. Ganz, ganzer, am ganzesten. In keinster Weise unganz, kein, keiner, am keinsten, noch nichter als nicht.

Unlängst sah ich die Politikerin im Fernsehen. Sie sprach bei einer Versammlung über den ökologischen Fußabdruck – und verurteilte sich dabei selbst streng, weil sie zu einer Hochzeit in die USA geflogen sei. (Sie sah dabei so schuldbewusst drein, wie jemand, der beim verbotenen Lachen erwischt wird, weil er versehentlich die Kellertüre offen gelassen hat.) Die Kamera schwenkte durchs Publikum: Fünf Zuschauer. Der Saal war, man kann es nicht anders ausdrücken, eher nicht ganzheitlich gefüllt.