Leben

Die erste Rolltreppe

Der Flughafen von Istanbul, irgendwann in den frühen Morgenstunden, Menschengewirr der ameisoiden Sorte. Ich hasse Flughäfen, ich hasse Menschengewirr. Ich habe Magenweh vom frühen Aufstehen und panische Flugangst. Wieder einmal habe ich an untrüglichen Zeichen erkannt, dass mein Flug abstürzen wird, diesmal sicher. In solchen Situationen lasse ich meine Laune an meiner Freundin aus, die das einzig Richtige tut und mir einen Becher voll Notfalltropfen (= Gin) organisiert, damit ich die Pappn halte.

Da sehe ich etwas Ungewöhnliches. Sehr, sehr alte Menschen in einer mir unbekannten Tracht, vielleicht aus dem Kaukasus, stehen, sichtlich in Angst, vor einer Rolltreppe. Schließlich wagt sich ein Mann auf die Rolltreppe, seine Frau klammert sich an ihn, die anderen folgen. Dicht gedrängt stehen sie da, gebeugt, schwankend. Als das Ende der Rolltreppe in Sicht kommt, erfasst Panik die Gruppe. Die Menschen versuchen, gegen die Fahrtrichtung zurück zu gehen, aber die Treppe bewegt sich zu schnell. Der erste stolpert über den Rand auf sicheren Boden, fällt, überrascht von der Tatsache, dass sich der Untergrund nicht mehr bewegt, beinahe hin, bleibt aber aufrecht, um dann seine Frau und alle Nachkommenden aufzufangen. Wackelnd kommt die Gruppe zum Stehen, einer an den anderen geklammert, blankes Entsetzen im Gesicht – bis alle in Lachen ausbrechen.

Schlagartig wird mir klar: Die haben eben zum ersten Mal im Leben eine Rolltreppe gesehen und betreten, für sie war das ein gigantisches Abenteuer. Dieses Erlebnis erinnerte mich daran, wie interessant es sein kann, die Perspektive zu wechseln. Was für uns alltäglich, banal und vertraut ist, kann für jemand anderen eine Expedition in neue Welten sein.

Ich bin dann übrigens doch nicht abgestürzt.