Leben/Reise/Reiselust

Eine Dauerweltreisende sagt, alles fängt im Kopf an

Es gibt diese Funktion am Smartphone und bei Social Media, bei der plötzlich Foto-Rückblicke auftauchen. Man wird dann mit alten Bildern, die irgendwo im digitalen Nirwana schlummern, daran erinnert: „Das war an diesem und jenen Tag bei dir los.“

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Erst neulich habe ich mich wieder dabei ertappt, ungläubig-entrückt auf den Bildschirm zu starren und mich zu fragen: „Ist das wirklich alles in den vergangenen zwei Jahren passiert?“ Die zwei Monate im südafrikanischen Busch etwa – inmitten von Löwen, Hyänen und Giraffen. Meine Samba-Tanzversuche in Rio de Janeiro, dieser wundervollen, herzensguten Stadt. Kalkutta, wo ich im Hospiz von Mutter Teresa vom Sterben lernen wollte, aber noch mehr übers Leben beigebracht bekam. Mauis goldene Strände. Der Grenzpunkt in Südkorea, wo man nach Nordkorea hinüberschauen kann. Diese Pandemie, die mich und meinen übergewichtigen Rollkoffer sechs Monate in Südamerika bleiben ließ, bevor ich wieder weiterziehen konnte.

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War das alles ich? Ja, offenbar. Und bevor mich jemand in die Glückskind-Schublade steckt und sagt: „Das ist eine, die auf die Butterseite des Lebens gefallen ist oder die ein fettes Erbe verreist“ – schön wär’s. Reichtum spielt’s nicht, ich bin in einer Familie mit vier Kindern aufgewachsen, da gibt es wenig Geld zu verschenken. Und Glück? Glück ist, wenn man bei einer Lebensmittelvergiftung auf Reisen nicht draufgeht (wofür ich hochgradig dankbar bin, die Sache mit dem verdorbenen Curry war nicht schön).

Langzeit-Reisende und Digitalnomadin

Dass ich aber heute als Nomadin leben kann, sehe ich vor allem als Ergebnis der richtigen Einstellung. Die hatte ich lange nicht. Ich träumte zwar vom Langzeit-Reisen. Aber ich tat nichts oder zu wenig dafür. Lieber saß ich daheim und redete mir die Sache aus. Zu teuer. Zu gefährlich. Zu einsam. Und überhaupt … alleine als Frau? Bis ich begriff: Wer weltreisen will, sollte zuallererst beginnen, wie ein/e Weltreisende/r zu denken. Sonst wird das nichts.

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Heute kann ich berichten: Hat man sein Hirn erstmal entsprechend programmiert, wird vieles klarer. Man trifft andere Entscheidungen im Job und im Privatleben. Aber vor allem entwickelt man ein Bewusstsein dafür, wo man das nötige Kleingeld für so einen längeren Trip herbeizaubern kann. Plötzlich offenbaren sich Sparpotenziale, überall: beim Auto, im Kaffeehaus, beim Klamottenkauf, beim Handyvertrag, selber kochen statt Take-out. Weil einem klar wird: „Das Geld, das ich jetzt nicht ausgebe, kauft mir für später die Freiheit, über meine Zeit so zu verfügen, wie ich das will.“

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Dieses Prinzip lässt sich übrigens nicht nur aufs Weltreisen anwenden. Ich glaube, es gilt für viele Bereiche des Lebens. Für mich hat es jedenfalls einen Riesen-Unterschied gemacht, denn was fünfzehn Jahre lang unmöglich schien – so lange habe ich tatsächlich herumgeeiert – ließ sich plötzlich innerhalb von zwei Jahren realisieren. Und dass die Traumerfüllung mit dem Umlegen eines Schalters im Kopf beginnt, bestätigen mir auch die vielen Geschichten anderer Reisender, egal ob Single oder gebunden, mit Kindern oder ohne, finanziell gut gestellt oder abgebrannt. Sie alle sagen: Es findet sich ein Weg, wenn man nach einem sucht.

Wer vergleicht, sieht nix von der Welt

So. Ich könnte jetzt noch über magisch schöne Orte erzählen, die man gesehen haben muss. Dinge, die man anstellen sollte, um sich im Altersheim retrospektiv als kühne/r Abenteuer/in feiern zu lassen. Ich verzichte aber drauf. Must-do- und Must-see-Listen sind immer subjektiv und mit solchen Empfehlungen macht man sich mehr Feinde als Freunde. Lieber schließe ich mich einer Erkenntnis an, die ich gerne schon gehört hätte, bevor ich auf Reisen ging. Sie lautet: „Nur wer aufhört, zu vergleichen, wird die Wunder der Welt wirklich begreifen.“

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Ich schätze, diesen Satz kann jeder brauchen, egal, wie viele Stempel man im Reisepass hat. Denn niemand ist vor dem inneren Besserwisser gefeit, der versucht, Erlebtes und Gesehenes in Relation zu setzen. Plötzlich wird San Franciscos Gefängnisinsel Alcatraz mit Nelson Mandelas Knast auf Robben Island verglichen. Schloss Schönbrunn stinkt gegen Versailles ab – oder vice versa. Und am Ende ist irgendwie nichts mehr auf der Welt richtig „wow“ oder aufregend.

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In solchen Momenten schließe ich kurz die Augen, um zu versuchen, alles, was ich an Annahmen und Erwartungen habe, zu löschen. Dann sage ich mir: X mag nicht den Zauber von Y haben, aber es ist auf seine eigene Weise einzigartig. Und diese Einzigartigkeit gilt es zu finden. Es ist wie die Suche nach Gold. Und ja, es findet sich überall Gold. Versprochen. In diesem Sinne: Gute Reise!

Live im Interview: Die Dauerweltreisende und Bestsellerautorin Waltraud Hable im Gespräch über den Mut zum Wegfahren und ihr neues Buch „Für alles um die Welt“ – bei der „Digitalen Ferien-Messe Wien Sommer Edition in Kooperation mit KURIER ReiseGenuss“ am 7. und 8. Mai 2021. Livestreams und Programminfos hier auf kurier.at/reise und ferien-messe.at

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Info

Die Autorin Waltraud Hable, geb. 1978 in  Oberösterreich, ist Autorin und Magazinjournalistin. Weil sie in jungen Jahren zu vernünftig war, schob sie ihren Traum von der Weltreise lange auf und wagte es erst mit 37 Jahren, den Job zu kündigen und dem Fernweh nachzugeben. Ihre Erfahrung packte sie in den Spiegel-Bestseller „Mein Date mit der Welt“. Zurück in Österreich hielt es sie nicht lange, die Sehnsucht nach dem Unbekannten war groß. Aktuell ist sie in Mexiko. Zu sehen auf waltraudhable.com

Das Buch „Für Alles um die Welt“ (DuMont-Reiseverlag, 350 Seiten, 18,50 €) ist ab Mitte April 2021 im Handel.