Leben

New York - Im Apple-Strudel

Der Fortpflanz wusste, wie die Alte zu ködern ist, und gurrte: „Jetzt, wo ich quasi flügge bin, könntest du noch einmal die goldene Gelegenheit ergreifen, mit mir zu verreisen.“ Beim Reiseziel gab es keine Verhandlungsbasis, es musste New York sein.
Im Club der Vernünftigen hatte ich noch nie um Aufnahme angesucht: Bei diesem Dollarkurs war die Location der blanke Wahnsinn. Ich buchte uns in einem Hotel auf der Canal Street, Ecke Broadway in Tribeca ein, das im Netz ganz passabel aussah – in Wurfweite von Soho, Chinatown und Little Italy. Das Zimmer im „Tribeca Blu“ war so winzig, dass nur ein Koffer darin Platz fand und wir den anderen ins Badezimmer transferierten. Es gab ausschließlich Kaffee, der in Italien als amtliches Folterwerkzeug durchgehen würde, und ein erratisch agierendes Roomservice, aber das störte vor allem den Fortpflanz nicht. Hauptsache das Fake-Paradies lag in Griffweite. Wir wurden „best buddies“ mit den chinesischen Mitbürgern, die auf der Canal Street in der Endlosschleife „Lolex, Lolex ... Schannnel ... You designer bag“ wisperten.
Vor acht Jahren waren das Kind und ich schon einmal gemeinsam in New York gewesen. Damals tobte die „Sex and the City“-Welle auf ihrem Höhepunkt, und wir hatten eine Bustour gebucht, wo wir mit vielen kichernden Damen in hellen Trevirahosen aus Minnesota durch die Lieblingslocations der Mädchen-Truppe geschleust worden waren und bei wässrigen Cosmopolitans in einer Touri-Bumse in Soho endeten. Als besonders traumatisierend habe ich damals unseren Besuch bei Tiffany’s abgespeichert, wo der Portier uns beim Eingang schon nicht mehr als eine hochgezogene Augenbraue und den demütigenden Satz „Die Silberabteilung ist im ersten Stock“ schenkte. Damals wusste ich, dass ich in meiner Erziehung zwar viel falsch, aber auch einiges richtig gemacht hatte. Denn der 13-jährige Fortpflanz baute sich danach vor dem Mann auf und konstatierte in durch „Sex and the City“ geschultem Englisch trotzig: „Wir sind aber echte Tiara-Typen.“

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Irgendwie erinnern heute Tribeca und Soho an Geisterstädte – todchic renovierte Häuser, die oft aus Spekulationsgründen einfach leer stehen, haben das vormals charmant schäbige Industrieflair verdrängt; internationale Designkonzerne wie Ralph Lauren und Longchamp den kleinen Läden die Luft zum Atmen abgeschnürt. Nur ganz wenige wie Pamela Barsky, die auf der Lafayette Street Leinentaschen mit Statement-Drucken wie „I have no intention of aging gracefully“ und „Having money does not suck“ verkauft, halten noch durch. An der „Bubble Lounge“ in Tribeca, einem vormaligen Nervenzentrum der Cocktailkultur, baumelt ein Schild: „Hey, Leute, wir mussten leider aufgeben, innerhalb der letzten Jahre hat sich die Miete verzwanzigfacht. Es war schön mit euch.“ Diese Art von resignativen Mitteilungen an geschlossenen Türen sollten wir die ganze Woche über noch öfter sehen.
Um unseren Kulturschock angesichts eines New Yorks, dessen Seele vom Turbokapitalismus ausgedünnt worden ist, zu lindern, parkten wir uns am ersten Morgen im „Bubby’s“ ein, einer boboesken Frühstücks-Location auf der Hudson Street, und stärkten unsere Nerven mit einer High-Carb-Offensive in Form eines Pfannkuchen-Gebirges mit Heidelbeeren. In der „New York Times“ fand ich an diesem Morgen einen Artikel über einen Typen namens Jeremiah Moss, der in seinem Blog „The Vanishing New York“ gegen den Ausverkauf der kulturellen Identität seiner Stadt ankämpft. Erst kürzlich hatte auch das durch Woody AllensBroadway Danny Rose“ berühmte „Carnegie Deli“ in Midtown „bis auf Weiteres“ die Luken dicht gemacht. Unter uns: kein wirklicher Schaden. Bei unserem Besuch war der Laden noch offen. Nach einem wunderbaren Vormittag im Central Park, wo sich das Typenspektrum, das diese Stadt zu bieten hat (von ultraorthodoxen Familiensippen bis zu mit dicken Preziosen behängten Upper-Westside-Joggerinnen) in seiner ganzen Pracht entfaltet, und ein paar John-Lennon-Andachtsminuten vor dem Dakota-Building, standen wir uns eine Stunde vor „Carnegie’s“ die Beine in den Bauch. Für die Mühe wurden wir mit dem lieblosesten Pastrami-Sandwich der Stadt entlohnt, das mir noch tagelang wie ein Zementquader im Magen lag, und von einem Personal serviert worden war, das den Begriff Burn-out miterfunden haben muss.

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„Be A Mensch!“, das Motto der seit 1914 existierenden Institution, das an einer Kassa baumelt, schlug sich in den Lachs-Bagels, eingelegten Gurken und Ruben-Sandwiches nieder. Ein paar Häuser weiter liegt das „Tenement Museum“, das clever aufbereitet die Einwanderer-Geschichte von New York erzählt und einem ein Gefühl für den oft inflationär gebrauchten Begriff Schmelztiegel gibt, der diese Stadt noch immer wie nichts anderes ausmacht.
Im angeschlossenen Museumsshop gibt es herrliche Postkarten und hunderte Bücher, die um den Spirit von New York kreisen, zu kaufen. Durchaus eine Stippvisite wert ist das „Italian American Museum“ in „Little Italy“ in der Mulberry Street; Lieblingsexponat ist dort der Drohbrief eines Mobsters („You dirty pig, we will burn the face of your daughter, you goddam bastard...) aus dem 19. Jahrhundert. Kleiner Gag am Rande: Wir buchten sie später online via der Website Viator, die Mobster-Tour durch Little Italy, nur tauchten die Tourguides nie am vereinbarten Ort auf, unter der angegebenen Notfallnummer meldete sich nach 40-mal Läuten ein Mann aus einem Callcenter in Indien, aber die Ticketpreise wurden nach mafiawürdigen Drohgebärden meinerseits dann doch rücküberwiesen.

Abgesehen von zwei Theaterausflügen an den Broadway und dem obligaten Besuch des „MoMA“, holten wir uns das New-York-Gefühl mittels stundenlangen Wanderungen durch die dorfähnlichsten Viertel der Stadt – das East Village, Chelsea oder Williamsburg, jenem Stadtteil von Brooklyn, in dem man sie noch findet – die heruntergekommenen Waschsalons, Garagengalerien und Vintageläden, in denen man für ein paar Dollar Tweedsakkos, Trenchcoats und Clutches aus den vierziger Jahren kaufen kann. Auch in den Tiefen von Chinatown mit seinen Märkten, riesigen Fischgeschäften und oft hervorragenden Billigrestaurants (Liebling: „Joe’s Shanghai“ in der Pellstreet, reservieren sinnlos) wird der Hunger nach Authentizität noch gut bedient.
Die Kreditkarten glühen bis heute, dennoch kann man trotz des Ausverkaufs an das Turbokapital und der Hochglanzpolitur noch immer nicht genug kriegen von dieser Stadt. Die New Yorker halten sie am Leben. Und haben ihren Humor dabei noch nicht verloren.
„Was werden Sie machen?“ frage ich einen Schuster in der Lower East Side, dessen Laden demnächst von einer Coffee-to-go-Kette übernommen wird. „Ich gehe nach South Carolina.“ – „Was um Himmels Willen macht ein New Yorker in South Carolina?“ Da schickt er mir unter müden Robert-Mitchum-Lidern einen vor Galgenhumor triefenden Blick: „Mich endlich ausschlafen.“

Bubby’s

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Balthazar

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80 Spring Street, in Soho. Die französische Brasserie wirkt wie eine klassische Montparnasse-Location, die seit 120 Jahren besteht. Großartige Fritten, grantige Kellner. www.balthazarny.com

Jack’s Wife Freda
224 Lafayette Street. Turbulentes Bobo-Bistro mit herrlichem Frühstück.
jackswifefreda.com

"Strand“-Bar
33 West 37 Street. Hotelbar mit atemberaubender Aussicht vom Dachgeschoss in Midtown.
www.thestrandnyc.com


Vintage-Stores in Williamsburg
10ft Single
285 N 6th Street, Brooklyn.

Beacons Closet
74 Guernsey Street, Brooklyn.
www.beaconscloset.com

Essen in Williamsburg

Café Mogador
133 Wythe Ave, Brooklyn. Marokkanisch-mediterran und der Künstler-Hotspot.
www.cafemogador.com/williamsburg

Wythe Hotel
80 Wythe Ave, Brooklyn. Cocktails und Snacks in der Rooftop-Bar mit fantastischer Aussicht.
wythehotel.com

BONDST
6 Bond St, Soho. Hochklassige Sushis, Supermodel- und Filmstar-Klientel.
www.bondstrestaurant.com


Analogue
19 West 8th Street Herrlich altmodische Bar im West Village: Jazz-Musik, Bar-Food (der neue Gourmettrend in NYC), kunstvolle Cocktails. Eine Location wie aus einem Raymond- Chandler-Roman.
www.analoguenyc.com

Russ & Daughters

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Vergessen Sie Katz’s und das Carnegie: Das Deli-Mutterschiff auf der 179 E Houston, wo das gehobene jüdische New York seit 1914 seine geräucherten Fische kauft, hat eine kleine Schwester in der Orchard Street bekommen. Dort herrscht klassischer Restaurantbetrieb – diese Pastrami-Sandwiches und Bagel with lox gehören auf die Gottesbeweisliste. www.russanddaughters.com