Leben

Jäger des geraubten Schatzes

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"Altaussee?", aus dem Mund eines Amerikaners hört sich das so gar nicht nach Salzkammergut an. Doch Frank Stokes kümmert sich nicht um dieses Altaussee, wo immer das auch liegen mag. Für den Kunstexperten geht es an diesem Wintertag des Jahres 1945 um den Fotoband, den er vor sich liegen hat, und das, was diese Bilder zeigen: Eines der wahrscheinlich wichtigsten Kunstwerke des europäischen Spätmittelalters, den Genter Altar, der Brüder van Eyck. Und dieser einzigartige gotische Flügelaltar, der soll in diesem Altaussee liegen, das hat der Amerikaner gerade erfahren. Doch dort, in den österreichischen Alpen soll nicht nur der Altar versteckt sein, sondern viel viel mehr: Hitlers persönliches Museum, zusammengetragen, geraubt, abgepresst, gekauft in ganz Europa, der größte Schatz aus all der Raubkunst der Nazis.

Spurensuche: In den Archiven der Museen nehmen die "Monuments Men" die Fährte der versteckten Kunstwerke auf.

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Es ist ein Schlüsselmoment in "Monuments Men", dem historischen Monumentalfilm, der kommende Woche in unseren Kinos startet, und für den Hollywood eine Handvoll seiner besten Männer in den Krieg geschickt hat: George Clooney, Matt Damon, Bill Murray sind die Köpfe einer Truppe, die mit Waffen nicht allzu gut umgehen können, und doch eine der heikelsten Missionen in diesem allmählich zu Ende gehenden Weltkrieg zu erfüllen haben: Das Aufspüren, Retten und Sichern all der Raubkunst, die Hitlers Regime aus Museen, Galerien und privaten Sammlungen zusammengetragen und jetzt unter die Erde gebracht hat.

In Bergwerken soll die Kunst vor den Bombenangriffen der Alliierten, die eine deutsche Stadt nach der anderen in Trümmer legen, geschützt werden – und die größten dieser Lager sind in Österreich. Das wichtigste unter ihnen, von Hitler persönlich für seine Sammlung reserviert, ist im Sandling, dem Salzberg hoch über Altaussee, aus dem seit Jahrhunderten Salz gewonnen wird. Seit Winter 1944 sind in diese Stollen, aus denen sonst die Hunte mit dem Salz herausrollen, die Kunstwerke eingefahren: Rembrandt, Da Vinci, Michelangelo. Zug um Zug, vollbeladen mit all diesen Meisterwerken, aber auch kostbaren Möbeln, Schmuck, Juwelen ist draußen am Bahnhof von Bad Aussee angerollt. Von dort hat man die kostbare Ladung mit Kettenfahrzeugen hinauf auf den Berg geschafft.

Das Hollywood-Epos nimmt mit den Monuments Men die Jagd nach der Raubkunst auf, begleitet sie von der Landung in der Normandie bis ins Herz des untergehenden Dritten Reiches. Informationen des französischen Widerstands bringen sie auf die Spur dieser Schätze, führen sie in Bergwerke im deutschen Harz, in bayerische Schlösser, in Klöster, unterirdische Lager – und schließlich nach Altaussee. Und es wäre nicht Hollywood, würden diese Kunstexperten nicht mindestens ebenso heldenhaft handeln wie die Männer, die an der Front, ein paar Kilometer vor ihnen, gegen die sich bis zuletzt verbissen zur Wehr setzende deutsche Armee kämpfen. Doch die Geschichte hat diesem Heldenepos das Finale verpatzt, denn der Schatz von Altaussee, Hitlers Führermuseum, wurde nicht von den Monuments Men gerettet.

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Als die ein paar Tage nach Kriegsende im Salzkammergut aknommen, haben andere bereits ihr Leben riskiert, um diese Kunst, vor allem aber das Salzbergwerk zu retten. Österreicher, die in diesem Film keinen Platz haben, einfach weil sie den Filmhelden auf ihrem Siegeszug im Weg stehen würden. Es sind die Männer, nach denen ich mich auf die Suche begeben habe, in meinem Buch "Mission Michelangelo". Ihre Geschichte spielt sich gerade einmal ein paar Tage vor dem Eintreffen der Amerikaner in Altaussee ab. Sie ist ebenso dramatisch, verlangt ihren Helden ebenso den Einsatz ihres Lebens ab wie den Monuments Men – und sie hat sich, ganz anders als das große Hollywood-Filmfinale, bis ins Detail tatsächlich so abgespielt. Ob es nun um den Genter Altar geht, den Clooneys Frank Stokes auf den besagten Fotos entdeckt, oder um Michelangelos Brügger Madonna, die ebenfalls in dem Film eine Hauptrolle hat: All diese Kunstwerke lagerten im Stollen von Altaussee, doch sie hätten, als die Amerikaner eintrafen, nicht mehr existiert, wenn diese anderen Helden, die der Film einfach übersehen hat, nicht gewesen wären. Denn im Stollen mitten unter den Kunstwerken lagerten acht Bomben. Der Gauleiter von Oberdonau, ein fanatischer Nazi, hatte sie ins Bergwerk schaffen lassen. Die Kunst, davon war dieser Alois Eigruber überzeugt, dürfe nur eines nicht, dem Feind in die Hände fallen. Also war er entschlossen, die Bomben zu zünden und sie zu zerstören. Hatte nicht sein Idol Hitler noch vor wenigen Wochen den Befehl gegeben, dass – egal ob Straßen, Brücken, Fabriken oder eben Kunstwerke – alles vernichtet werden müsse?

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Als Nero-Befehl sind diese Anweisungen, die Hitler im Frühjahr 1945 aus dem Führerbunker in sein zerfallendes Reich ausschickte, in die Geschichte eingegangen. Der Diktator, längst in der Endphase seines Wahns angelangt, sollte kurz danach diese Befehle widerrufen. Aber war er das tatsächlich noch selbst? Der Gauleiter jedenfalls glaubte nicht daran, er wollte im Geist seines Führers handeln, alles vernichten. Mitte April ’45 waren die Bomben in den Berg geschafft worden, von da an begann der Wettlauf gegen die Zeit und gegen die bereits fix programmierte Vernichtung. Es ist eine unglaubliche Mischung von Akteuren, die sich in diesen entscheidenden Tagen gegen den Gauleiter und seine Pläne stellte: einfache Bergleute, manche davon Gegner, manche naive Mitläufer des Nazi-Regimes, die Führungsmannschaft des Bergwerks, Kunst-Experten, die in der Mine für die Einlagerung und Restaurierung der Werke verantwortlich waren und nicht zuletzt einer der schlimmsten Bluthunde des Nazi-Regimes, der meinte, als Retter der Mine vor den Siegern besser dazustehen. Es sollte Ernst Kaltenbrunner nichts nützen, dass er sich in einem nächtlichen Schreiduell gegen den Gauleiter durchsetzte, er wurde in Nürnberg gehängt. Vieles in dieser atemlosen Geschichte, an deren Ende die Auslagerung der Bomben aus dem Bergwerk, am 4. Mai, also gerade einmal vier Tage vor Kriegsende, steht, ist mehr als glücklicher Zufall, vieles aber auch erstaunlicher Heldenmut Einzelner: Einfache Bergleute, die nach Kriegsende wieder in die Mine einfuhren, als ob nichts gewesen wäre, denen niemand dankte – und für die niemand ein Heldenepos fürs große Kino schrieb.

Wer ab nächster Woche ins Kino geht, erlebt eine Auswahl von Hollywoods besten Schauspielern, eine dramatische Jagd und ein perfektes, wenn auch nicht wirklich historisches Finale. Die Geschichte, die Altaussee wirklich aus diesen letzten Kriegstagen zu erzählen hat, steht in "Mission Michelangelo". Wer wirklich erleben will, wo Hitlers Museum einst lag, wo die Bombenkisten standen und wo in diesem Dorf im weltfernsten Winkel des Salzkammerguts Nazi-Verbrecher und Widerstandskämpfer Haus an Haus wohnten, fährt selbst nach Altaussee und nimmt den Weg ins Salzbergwerk. Die Kisten – für die Kunst und für die Bomben – stehen noch dort, die echten, nicht die, die man fürs Kino nachgebaut hat.

DAS DRAMA VON ALTAUSSEE ALS DOKU IM TV:

"Bombensicher", Servus TV, 20.2. 20.15 Uhr,

"Hitlers Madonna", Arte, 26.2., 21.30 Uhr

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Es war Hitlers Traum von Jugend an: Ein Museum in seiner Heimatstadt Linz. Bis zu seinem Ende im Bunker saß er vor dem Modell des gigantomanischen Bauwerks. Die Kunstwerke aber, die er dafür überall in Europa geraubt, gekauft, den Eigentümern abgepresst hatte, lagerten in diesen letzten Kriegstagen in den Stollen des Salzbergwerks von Altaussee – und mitten unter ihnen acht Fliegerbomben. Ein fanatischer Gauleiter war entschlossen, das "Führermuseum" lieber zu vernichten, als dem Feind zu überlassen. Das Buch "Mission Michelangelo" (Residenz Verlag) folgt dem Weg von Hitlers Raubkunst von den Villen der Rothschilds bis zu ihrer Rettung in letzter Minute durch den wagemutigen Einsatz einer Handvoll Ausseer Bergleute. Aus Archiven, Nachlässen und bisher unveröffentlichten Berichten der Akteure entsteht ein einzigartiger Kunstkrimi vor dem Hintergrund des untergehenden Dritten Reiches.

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