Oh, Pretty Woman! Outfits, die Geschichte schrieben
Von Julia Pfligl
Es gibt Momente, die kann man nicht planen, nicht einmal mit einem Drehbuch. So wie jenen, in dem sich die Welt in Julia Roberts verliebte. Als ihr Richard Gere alias Edward Lewis in der Lobby des noblen Regent Beverly Wilshire Hotels ein Diamantcollier überreicht und die Schmuckschatulle spontan zuschnappen lässt, bricht die blutjunge Schauspielerin in Gelächter aus. Das ungekünstelte Lachen von einem Ohr zum anderen sollte ihr Markenzeichen werden, sie wurde der größte Filmstar ihrer Generation – und „Pretty Woman“ die Königin der romantischen Hollywoodkomödien.
Dass die Szene legendär und der Film Kult wurde, liegt nicht nur an der Chemie der Darsteller. Die Abendrobe mit Carmen-Ausschnitt, zu der Julia alias Vivian Ward die Halskette aus 23 Rubinen ausführen soll, gilt als berühmtestes rotes Kleid der jüngeren Filmgeschichte und wurde, wie viele andere Outfits aus dem Film, vielfach kopiert. Lag es am Charme der jungen Roberts, am Gespür von Kostümbildnerin Marilyn Vance, an der modernen Märchensaga? Fest steht: Während der Inhalt – reicher Mann rettet Prostituierte von der Straße – im Schatten von #MeToo semi-gut gealtert ist, hat die Mode in „Pretty Woman“ nichts an Strahlkraft und Symbolik eingebüßt. Einen großen Anteil am Kultstatus trägt Vance, die – entgegen damaliger und heutiger Gewohnheiten – alle Outfits selbst entwarf und sie Julia Roberts persönlich auf den Leib schneiderte. Auch besagte Abendrobe, die beinahe schwarz ausgefallen wäre: Erst nach stundenlangen Farb- und Stofftests konnte Vance Starregisseur Garry Marshall überzeugen, dass Valentino-roter Chiffon die bessere Wahl für die damals 22-jährige Protagonistin war.
„Designer stellen ihre Kleider in den Vordergrund“, erklärte Vance anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums des Films vor zehn Jahren in einem Interview, „aber wir Kostümbildner kreieren einen Charakter. Das ist ein großer Unterschied.“
Kleider machen Leute
Vance’ Outfits erzählen die Geschichte des sozialen Aufstiegs der Sexarbeiterin Vivian Ward zum Mitglied der Upper Class: Zu Beginn wartet sie am Hollywood Boulevard mit Perücke, hohen Stiefeln und einem ikonischen Minikleid auf Kundschaft, für das sich Vance übrigens von einem skandalös-freizügigen Badeanzug des österreichischen Modemachers Rudi Gernreich aus den Sixties inspirieren ließ.
Im Laufe des Films und ihrer Affäre mit Edward Lewis werden Vivians Looks immer eleganter, reduzierter. Boots weichen Chanel-Heels, weiße Handschuhe und Hüte werden Dauerbegleiter. Legendär die Szene, als sie nach dem Rauswurf in einer Edel-Boutique auf dem Rodeo Drive total verwandelt zurückkehrt und von den Verkäuferinnen bewundernde Blicke erntet. Hier offenbart sich die Macht der Mode in der Gesellschaft: Vivan hat sich in ihrer stürmischen Persönlichkeit nicht verändert, wird ob ihres Designerkleids aber plötzlich wie eine Königin behandelt.
Very "couturig"
„Vivian benutzt Mode als Tarnung ihrer sozialen Situation“, sagt Yella Hassel, die an der Modeschule Hetzendorf Design unterrichtet und „Pretty Woman“ als „Lieblingsfilm aller Kostümbildnerinnen“ bezeichnet. „Ihr Weg in die feine Gesellschaft führt über Kleidung. Das Styling von Vance ist sehr couturig – hochwertige Materialien, die perfekt am Körper liegen. Vivian demonstriert mit jeder Facette ihrer Kleidung, dass Armut und soziale Ausgrenzung nicht bedeuten, dass man als Frau keinen Stolz haben kann.“
Das Motto „Von der Gasse zur Klasse“ funktionierte schon in „My Fair Lady“, weshalb auch einer der größten Modemomente in „Pretty Woman“ den klassisch-femininen Stil der Fünfzigerjahre spiegelt. Den Stoff für das braun-weiß getupfte Seidenkleid entdeckte Vance beim Stöbern im Keller eines Textilfachhandels. Aus Ermangelung an Material geriet es knie- statt wadenlang, wurde mit Taillengürtel, subtilen Perlen und passendem Hutband kombiniert und katapultierte die Ex-Prostituierte beim Besuch eines Poloturniers an der Seite ihres reichen Liebhabers endgültig in die Oberschicht von Beverly Hills. Als die Herzogin von Sussex in einem ähnlichen Aufzug bei einem Polospiel auftauchte, begann die Yellow Press zu hyperventilieren: Endlich hatten auch sie ihren Pretty-Woman-Moment.
Polkadots finden sich in aktuellen Kollektionen wieder, auch andere Film-Outfits schafften es mühelos in das neue Jahrtausend, sagt Hassel. „Man denke an die rote Abendrobe, das schwarze Spitzenkleid oder den Boyfriend-Look mit geknotetem Männerhemd.“ Am Ende des Films präsentiert sich Vivian als selbstbewusste Karrierefrau in dunkelblauem Blazer, Jeans und T-Shirt. „Zeitloser geht es nicht“, findet Hassel. „Kein Wunder, dass Hunderttausende BWL-Studentinnen diesen Look kopiert haben.“