Österreichischer Kinderarzt im Regenwald
Von Uwe Mauch
Es ging an diesem Abend und in dieser Nacht im unwegsamen Regenwald der philippinischen Insel Mindanao um Leben oder Tod. Der Tamsweger Kinderarzt Werner Waldmann war in einem zur rollenden Klinik umfunktionierten Geländewagen unterwegs. Mit ihm im Wagen: „Ein zwölfjähriger Bub mit offener, stark eiternder Bauchdecke und neben ihm ein Neugeborenes mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.“
Ein plötzlich einsetzender Regenguss hatte den Krankentransport jäh gestoppt:„Es gab für uns plötzlich kein Vor und kein Zurück mehr. Und es wurde langsam dunkel“, erinnert sich der Arzt heute noch mit Schrecken. Denn er wusste damals einzig eine Schachtel Aspirin und ein Fläschchen mit Elektrolyt in seinem Notfallkoffer.
Späte Prüfung
Es war allerdings auch genau jene Situation, die Werner Waldmann in seiner Pension aktiv angestrebt hatte. Heute begründet der 92-Jährige diesen Wunsch in seinen Memoiren und im Gespräch mit dem KURIER so: „Ich hatte großes Glück in meinem Leben. Ich habe als junger Mensch den Krieg überlebt. Ich habe dann eine schöne Karriere als Kinderarzt in Salzburg machen dürfen. Mit sechzig wollte ich wissen, wer ich wirklich bin und ob ich tatsächlich ein guter Arzt bin. Dazu musste ich an meine Grenzen gehen.“
Im dritten Drittel seines Lebens wurde Waldmann ehrenamtlich für die deutsche Organisation „Ärzte für die Dritte Welt“ und später für die „Austrian Doctors“ tätig.
Bei seinen monatelangen Einsätzen in einem Armenviertel von Kalkutta lernte er, „Gott zu bitten, dass er mich die Misserfolge des Lebens akzeptieren lässt“. Das war nötig: „Dort kann es dir passieren, dass du eine Frau kurz vor dem Tod rettest, und am nächsten Tag liegt sie wieder hilflos auf der Straße.“
In Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, hat der zuvor erfolgsverwöhnte Mediziner die Erfahrung gemacht, dass Entwicklungshilfe nur dann sinnvoll ist, wenn man – wie in der Medizin inzwischen üblich – nicht nur Symptome bekämpft, sondern auch vorbeugend wirkt.
Seit 1991 sammelt Werner Waldmann Geld für den Bau von Schulen in Bangladesch – und er hilft bis heute bei deren Errichtung.
Ein „bunter Hund“
Es gab Nachbarn in seiner Heimatgemeinde im Lungau, die haben sich über den Buben einer Wirtsleutefamilie vorsichtig formuliert gewundert, als dieser mit 60 nicht in den Ruhestand gehen wollte. Einige haben ihn dann als „bunten Hund“ bezeichnet. Das konnte den derart Titulierten allerdings nicht abhalten. Wichtiger war ihm, dass viele bald ihre Herzen und ihre Geldbörsen öffneten.
Sein Engagement hat der Arzt inzwischen auf den Bildungsbereich verlagert. Dort verfolgt er konkrete Pläne: „Bangladesch liegt nur knapp über dem Meeresspiegel. Man geht bereits davon aus, dass ein Viertel des Landes aufgrund des Klimawandels im Meer versinken wird. Daher werden kluge Ingenieure benötigt, die sich praktikable Lösungen einfallen lassen.“
Als spät berufener Autor hat Werner Waldmann verfügt, dass der Großteil des Bucherlöses dem Schulprojekt der „Austrian Doctors“ in Bangladesch zugutekommen soll. Das Buch hat er aber auch für seine 14 Enkelkinder geschrieben: „Damit sie wissen, was ihr Großvater einmal gemacht hat. Und damit sie, wenn sie einmal nach Orientierung suchen, für sich Anhaltspunkte finden können.“
Als Kind im Krieg
Der Tamsweger schreibt in seinen Memoiren auch über seine Zeit als Hitler-Junge am Ende des Kriegs. Und erklärt plausibel, warum er später zum Demokraten gereift ist. Er vergisst auch nicht seiner Frau zu danken, mit der er seit dem Jahr 1954 verheiratet ist: „Sie ist eine starke Frau, eine kluge Frau.“ Zu Recht vergisst er das nicht. Auf die Frage, warum sie ihren Mann nach der Pensionierung ziehen ließ, antwortet sie: „Weil er bei meinem Veto ebenso gegangen wäre.“
Am Ende erinnert sich ihr Mann an seinen Landsmann Viktor Frankl, der einmal sinngemäß erklärt hatte, dass nicht das Problem das Problem sei, sondern die Sicht darauf: „Daher habe ich während des Unwetters im Regenwald die Ruhe bewahrt.“
Dem Buben mit der offenen Bauchdecke im Urwald hat er am Ende das Aspirin verabreicht, dem Baby das Elektrolyt. „Um zwei Uhr in der Früh hat dann der Fahrer gemeint, dass wir jetzt eine Weiterfahrt probieren können. Wenig später haben wir alle lebend das Dorf erreicht.“
Zum Nachlesen
Das Buch: Erschienen sind die Memoiren von Werner Waldmann – nahe liegend – in der Tamsweger Verlagsbuchhandlung von
Wolfgang Pfeifenberger
Für den guten Zweck: Ein Teil des Bucherlöses geht in ein Schulprojekt der „Austrian Doctors“ in Bangladesch
Austrian Doctors: Seit 30 Jahren leisten Ärzte aus Österreich gemeinsam mit den „German Doctors“ ehrenamtliche medizinische Hilfe in den ärmsten Ländern der Welt.
Infos: www.austrian-doctors.at