Hand im Glück mit Nadel, Garn, Feder und Ton
Von Annemarie Josef
Schauspieler Ryan Gosling liebt es zu stricken, Kickboxer Maurice Greene nennt sich selbst „The Crochet-Boss“, den Häkelboss. Das kreative Werken mit den eigenen Händen ist längst nicht mehr nur Omis Sache und poppt immer wieder neu auf. Jetzt gerade erst das Bananenbrotbacken, der letzte Schrei in den sozialen Medien.
Plötzlich einfach da. Immer mehr Menschen haben Lust, etwas auch mit Stoff, Faden oder anderen Zutaten zu gestalten, selber zu machen. Ein Blick auf das Online-Portal www.etsy.com, quasi das eBay der kreativen Selbermacher, zeigt: Do it yourself ist mehr, als sich Ringelsöckchen zu stricken, eigentlich auch mehr als ein Trend.
Schlaraffenland der Autodidakten
So genannte DIY-Kits, also Bastelsets, die alles enthalten, was man für sein kreatives Handarbeitsprojekt braucht, erleichtern Anfängern den Start und helfen Fortgeschrittenen, mit Neuem zu experimentieren. Zu diesem Zweck gibt es etwa supercraftlab.com, der „Selbermach-Spaß für viele kreative Stunden!“ Dieser Anbieter liefert im Abo alle zwei Monate eine neue Herausforderung mit der Post, inklusive Anleitung und Material. Und wer wissen will, wie sein selbstgehäkelter Sommerpullover aussieht, wenn er fertig ist, kann sich aus dem großen Angebot bei www.woolandthegang.com ein Modell auswählen und dazu Zutaten und Rezept bestellen. Einfach nach Anleitung fertigen. Und die Masche läuft. Und überhaupt, wer sich selbst die ersten Basics des Stickens, Aquarellmalens, Hand Lettering oder der Kalligrafie lehren will – das Schlaraffenland für Autodidakten findet sich auf YouTube und in oft gut gemachten Blogs.
Ein positives Gefühl
Wer heute nicht schon schöpferisch mit den eigenen Händen tätig oder anders kreativ ist, denkt vermutlich zumindest darüber nach. Ein ähnliches Phänomen wie mit der täglichen Dosis Bewegung. Mal einen Teig kneten, Gitarre spielen, Tagebuch schreiben, diese kleinen Aufnäher, die jetzt so hip sind, selber sticken. Ja, man müsste mal.
Warum ist die Sehnsucht nach eigener Handarbeit so groß? „Sie vermittelt uns ein positives Gefühl“, sagt Psychologin Petra Erasin. Und nennt dafür mehrere Faktoren: „Wer seine Zeit kreativ verbringt, kann sich nicht stressen. Es macht einfach zufrieden, wenn wir sehen, wie mit jeder Masche oder mit jedem Pinselstrich etwas Neues entsteht, wir etwas Ganzes erschaffen.“ Das tut gut und stärkt das Selbstwertgefühl.
Zudem sei es eine Aufgabe, der man sich freiwillig stellt. Und das Schöne daran ist, passen Herausforderung und Können zusammen, spüren wir auch gleich die Belohnung: den Flow. Erasin: „Stress wird reduziert, der Puls verlangsamt sich und der Blutdruck sinkt. Auch das Glückshormon Serotonin wird ausgeschüttet, die Atemfrequenz ruhiger und der Schlaf besser.“
Gerade in unserer digitalen Welt sei es eine gute Übung, sich auch mal auf eine einzige Sache zu konzentrieren: „Der Gegenstand – das Material, das Muster – bestimmt mein Handeln. Beim Handarbeiten kann ich mich nicht durchschummeln, ich muss aufpassen, kann nicht schnell mal bei Google fragen, komme nicht mit Halbwissen durch.“ Es gilt, sich ganz auf etwas einzulassen. Manche vergleichen es mit Meditation.
Nur um ein Gespür zu bekommen: Knapp 27 Millionen Beiträge gibt es zum Thema Häkeln (#crochet), rund 16 Millionen zum Thema Stricken (#knitting), das Werken mit Schriften (#lettering) hat die 15 Millionen mittlerweile geknackt und Sticken (#embroidery) folgt auf den Fuß.
Lisa Schumi, Petra Gschwendtner und Anouk Siedler, alles Frauen um die 30, kennen dieses Gefühl. Die eine stickt, die andere liebt es Möbel und Dinge zu erfinden und zu gestalten und die Dritte töpfert. So unterschiedlich ihre Fertigkeiten sind, gemeinsam ist ihnen die Begeisterung. Und dass alle drei ihr Einkommen damit bestreiten.
„Wer einmal beim Sticken Feuer gefangen hat, bleibt dran“, sagt die Grazerin Lisa Schumi, die auf ihrer Website www.kreampack.com Sticksets verkauft und Tipps gibt. Mit den Sets will sie es Anfängern leicht machen. Das Lama ist das Lieblingsmotiv ihrer Kunden. Da sie mit ihrem Stick-Knowhow auch Workshops gibt und auf Märkten unterwegs ist, weiß sie, was viele Menschen antreibt: „Sie wollen etwas mit den Händen erschaffen, das individuell ist.“
Geht es darum, die Welt greifbarer zu machen? „Vielen ist es wichtig, ein Ergebnis in den Händen halten zu können“, sagt Petra Gschwendtner. „Die meisten sind in Jobs, wo sie vor sich hinarbeiten, da gibt es nichts, was man am Schluss sehen kann.“ Gschwendtner hat mit ihrer einstigen Studienkollegin schon vor Jahren das DIY-Thema in Österreich professionell aufgezogen. In ihrem Shop im dritten Bezirk gibt es vielseitige Inspiration. Derzeit beliebt: Online-Kalligrafie-Kurse, aber auch das Sticken sei Thema und Aquarell wird immer gefragter. Unter https://welovehandmade.at/onlinekurse/ wird in Zukunft über Onlinekursangebote informiert.
Handarbeit fürs Hirn
Zum kreativen Output der Handarbeiterinnen gehört, mit Neuem zu experimentieren. „Sonst wird’s langweilig“, meint die Grazerin Lisa Schumi. „Das ist auch gut fürs Gehirn“, sagt Psychologin Petra Erasin. „Durch kreative Prozesse entstehen neue synaptische Verbindungen.“ Es sei die „fluide Intelligenz“, die profitiert, wenn wir ausprobieren und dazulernen, jene, die uns wendig und flexibel im Kopf hält. Auch im Alter. Wissenschaftliche Zahlen gefällig? 60 Prozent des Gehirns werden bei kreativen Tätigkeiten angeregt. Und regelmäßige Handarbeit kann die Gefahr, im Alter an Demenz zu erkranken um bis zu 50 Prozent reduzieren.
Das geht auch wunderbar mit Ton. „Die Lust zu lernen, wie man mit Keramik umgeht, ist sehr groß“, sagt Anouk Siedler, die mit Freundinnen 2018 die Keramikwerkstatt Rami im zweiten Bezirk gegründet hat. Wer kommt? „Es sind tolle Menschen, die das machen – frisch von der Schule, gerade nach Wien gezogen oder Pensionisten.“ Töpfern, glaubt sie, wird so wie Yoga, für viele bald nicht mehr wegzudenken sein und zum Alltag gehören. So sehen das auch Lisa und Petra für ihre Handarbeit-Leidenschaften.
Viele Menschen hätten durch die Phase, die wir gerade erleben, noch mehr den Drang, ihre Zeit gut für sich zu nutzen, so der Tenor. Anouk Siedler: „Das Handy abschalten, etwas lernen, eine gute Zeit haben. Es sind jetzt mehr die kleinen Dinge, die zählen.“ Und beim Arbeiten mit der Hand schaltet man automatisch ab – nicht nur das Handy.