Leben/Gesellschaft

Früher war nicht alles besser: Sagmeister zeigt, wie gut es uns geht

Mit dem Glück und der Schönheit hat er sich schon eingehend beschäftigt, nun will Stefan Sagmeister der viel bemühten Einstellung „Früher war alles besser“ mit seinen neuen Arbeiten entgegenwirken.

Der in Vorarlberg aufgewachsene und heute weltbekannte Grafiker hat sich schon vor einigen Jahren auf philosophisch-erkenntnisorientierte Reisen begeben. Das Fazit präsentiert er anschließend eindrucksvoll in Kunstausstellungen.

Dabei gibt er sich uneitel und nahbar wie nur wenig andere seiner Zunft. Mit jungen Kollegen tritt der 58-Jährige via Instagram in Kontakt, deren Designs er für alle öffentlich zugänglich rezensiert.

In persönlichen Gesprächen überlegt der Allround-Künstler seine Antworten gründlich, Sagmeister reflektiert und analysiert gerne – ist dabei aber zugleich unverstellt ehrlich und geradlinig. Die freizeit hat mit ihm über das Thema Nachhaltigkeit und sein neues Projekt gesprochen, das die Gegenwart in ein gutes Licht rückt.

Sie meinten unlängst, in New York ändert sich durch die Pandemie auch etwas zum Positiven: mit Schanigärten zum Beispiel, die es bislang nicht gab. Glauben Sie, dass sich auch das Konsumverhalten dadurch verändert, weil nun der Alltag daheim bewusster gelebt wird?

Stefan Sagmeister: Wir werden die eigenen vier Wände viel sorgfältiger gestalten, da wir im vergangenen Jahr am eigenen Leib miterlebt haben, wie nachhaltig sich die Schönheit unserer unmittelbaren Umgebung auf unser Gemüt und unser Verhalten auswirkt.

Wie macht man Ihrer Meinung nach nachhaltige Designs? Sie sind ja dafür bekannt – wenn man Nachhaltigkeit direkt als „längerfristig anhaltende Wirkung“ beschreibt.

Schöne Dinge sind viel nachhaltiger, weil sie sorgsamer behandelt werden und öfters repariert werden als hässliche. Ich glaube, dieser Aspekt wird in der Nachhaltigkeitsdiskussion stark unterbewertet.

Das nachhaltigste Gebäude der Welt ist das Pantheon in Rom, das seit 2.000 Jahren ununterbrochen verwendet wird – das heißt, pro Person und Stunde den größten Nutzen hervorgebracht hat. Es tat dies durch seine Schönheit, es wurde wegen seiner wunderbaren Form nie abgerissen - obwohl Bernini das Kupferdach des Pantheons für seinen Baldachin im Petersdom wiederverwendete.

Haben Sie auch noch ein persönlicheres Beispiel?

Ich verwende seit 30 Jahren die gleiche schöne Ledertasche, sie wird alle fünf Jahre beim Schuster repariert und ist damit um einiges nachhaltiger als jegliche Jute- oder Baumwoll-Umhängetasche.

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Viele haben das Gefühl, in Umweltfragen ständig etwas falsch zu machen. Das schlechte Gewissen wird größer, weil man Avocados isst (Wasserverbrauch) oder durchs Fliegen am CO2-Ausstoß mitverantwortlich ist. Wie gehen Sie damit um?

Ich selber habe beim Verspeisen von Guacamole (Anm. Dip mit Avocado) kein schlechtes Gewissen. Ich glaube, dass ich bei der Kommunikation von innovativen Strategien brauchbarer sein kann.

Interessant für mich ist es, aus CO2-Emissionen Carbonfaser-Produkte preisgünstig herzustellen. Sie können in der Architektur als leichte, dünne Säulen verwendet werden.

Sehr erfolgversprechend ist auch das Manipulieren von Genen bei Weizen oder Mais, sodass sich deren Wurzeln in die Tiefe statt wie bisher in die Breite entwickeln. In der Tiefe können Pflanzen mehr Kohlenstoff für einen längeren Zeitraum unterirdisch speichern. Auf diese Weise kann klimaschädliches CO2 in der Atmosphäre reduziert werden.

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Sie sind öfters in ihrer Heimat Vorarlberg, auch wenn Sie in New York leben. Welche Unterschiede gibt es in Sachen Nachhaltigkeit zwischen den USA und Österreich?

Die Nachhaltigkeit und der Zugang zur Erderwärmung wird in Österreich meist ein bisschen religiös betrieben: Sie ist verknüpft mit einer gewissen Selbstzüchtigung, man schränkt sich ein und ist stolz auf das eigene Fasten. Das gibt’s in New York natürlich auch, aber hier wird vermehrt auch auf Innovation gesetzt.

An welchem Projekt arbeiten Sie derzeit, was beschäftigt Sie?

Ich sehe mir gerade die Entwicklungen der Menschheit über einen langen Zeitraum an und greife dazu auf Daten der letzten 200 Jahre zurück. Auf die lange Sicht gesehen, hat sich fast alles positiv entwickelt. 

Die allermeisten Menschen - ein paar Zyniker ausgenommen - sind sich darüber einig, dass das Leben besser ist als der Tod, gesund sein besser ist als krank sein, die Demokratie feiner als Diktatur. Es ist besser gebildet zu sein als ignorant zu sein und es ist auf jeden Fall besser etwas gegessen zu haben als zu hungern. 

Alle diese Dinge wurden über die letzten 200 Jahre gemessen, es gibt ausgezeichnete Daten von der UN und der Weltbank - und alle sind heute im Durchschnitt viel besser als früher. 

Ein Beispiel aus meiner eigenen Erinnerung: Das grauenhafte Essen im Österreich der siebziger Jahren. Fettige Schnitzel mit schlimmem Kartoffelsalat. Hundert Jahre davor regierte der Grießbrei und die Kartoffeln. Keine Orangen, kaum Früchte, nichts frisches, weil: Keine Kühlschränke. 

Ich habe erstaunlich viele Freunde, die glauben, dass früher alles besser war, die Welt kurz vor dem Untergang steht, dass wir in der schlechtesten Zeit der Menschheitsgeschichte leben. Aber die Fakten zeigen genau das Gegenteil. Diese Zahlen zeige ich in meiner neuen Ausstellung "Beautiful Numbers", in der Hoffnung, daran zu erinnern, dass die täglichen Skandale den tatsächlichen Zustand unserer Welt schlecht repräsentieren.

Neue Ausstellung: Beautiful Numbers

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Stefan Sagmeister, 1962 in Bregenz geboren. Er studierte an der Angewandten in Wien – mit einem Stipendium auch in New York. Danach zog es ihn nach Hongkong  in die Agentur von Leo Burnett. 1993 gründete er Sagmeister Inc. in New York.

Mit seinen Plattencovers für Lou Reed, Aerosmith oder den Talking Heads wurde der Grammy-Gewinner bekannt. 2012 holte er Jessica Walsh als Firmenpartnerin ins Boot. Zuletzt  hat der Bregenzer mit Ausstellungen über Glück und Schönheit gezeigt, dass er längst ein Allround-Künstler ist.

Am 10. April startet die Ausstellung „Beautiful Numbers“ über die Geschichte der Gesellschaft in den vergangenen 200 Jahren  in der Thomas Erben Gallery (New York).

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