Eiliger Abend auf der Geburtenstation
100 Prozent Glück in seinen Augen: Papa Bel Neffati hält seinen vor wenigen Minuten geborenen Sohn wie einen Schatz im Arm. Sein drittes Kind, sagt er. Er strahlt übers ganze Gesicht. „Unglaublich, er ist am Heiligen Abend geboren. Und er ist gesund.“
Das war in der Früh auf der Geburtenstation im Allgemeinen Krankenhaus Wien alles andere als gewiss. Die Leben von Elias und seiner Mutter Sarra hingen da an einem seidenen Faden. Der Mutterkuchen hatte sich zuvor schon gelöst und lag extrem ungünstig. Frau Neffati litt höllische Schmerzen. Auf Anraten der Hebamme und der beiden Ärztinnen entschied sie sich mit ihrem Mann für einen Kaiserschnitt.
Ein Christkindl
„Heuer sind 2.780 Kinder auf unserer Station zur Welt gekommen.“ Das hatte Facharzt Johannes Ott bei seinem Dienstantritt um 8 Uhr aus dem Geburtenbuch der Station 9C herausgelesen. Das jüngste Kind war um 2.03 Uhr gekommen, ein Mädchen.
Elias ist Nummer 2.781. Er hatte es besonders eilig. Neun Minuten nach dem Schnitt in die Bauchdecke seiner Mutter erblickte er das Licht der Welt. Mehr als zwei Wochen vor dem Geburtstermin, aber schon 3.120 Gramm schwer, 50 Zentimeter groß und wie seine Mutter gesund.
Elias ist kein Einzelfall, betont Arzt Johannes Ott. „Jedes zweite Baby auf unserer Station hat eine Risikoschwangerschaft hinter sich.“
Und doch ist der Bub etwas Besonderes. „Ein Christkindl“, wie sein Vater, der als Küchenchef für eine österreichische Hotelkette arbeitet, erleichtert anmerkt.
Aus der Sicht des Arztes ist wiederum der Dienst am 24. Dezember „etwas Besonderes“. An seinem Berufsethos als Geburtshelfer würde sich an diesem Tag nichts ändern, dennoch ortet Johannes Ott heute eine „gelöstere Stimmung auf der Station“.
Spricht es, und zieht sich die Handschuhe an. Wieder ein Kaiserschnitt. Dieses Mal wird seine Kollegin Marlene Hager Hand anlegen, und er wird ihr assistieren. Wieder dauert es nur wenige Minuten, und ein Kind schreit zum ersten Mal in seinem Leben.
Gegen 19 Uhr trifft die Ablöse ein. Hebamme Christina Piller macht heute zum ersten Mal Dienst am Heiligen Abend. Adrenalin zu Weihnachten sei für sie aber nichts Außergewöhnliches: „Ich habe fast vier Jahre lang als Flugbegleiterin gearbeitet. Einmal hatte ich Bereitschaftsdienst, da vibrierte mein Mobiltelefon in der Kirche. Eine Stunde später war ich am Flughafen draußen.“
Ein Weihnachtdienst
Sie möchte ihre Arbeit im Krankenhaus auch in der Weihnachtsnacht bestmöglich erledigen. Dabei wehrt sie sich gegen ein Klischee: „Hebammen halten und wiegen nicht nur die Kinder. Oft genug müssen wir um ihr Leben und das Leben ihrer Mütter kämpfen.“ Kollegin Stefanie Schaffer nickt zustimmend, um dann doch hinzuzufügen: „Aber wenn ich auf der Glückwunschkarte des Spitals das Datum eintrage, ist das irgendwie schön.“
Irgendwann kehrt Ruhe ein auf der Station. Während anderswo Weihnachtslieder angestimmt oder Geschenke ausgepackt werden, setzen sich die Mitarbeiter von 9C für unbestimmte Zeit zusammen. Arzt Ott schenkt alkoholfreien Punsch aus, Hebamme Piller serviert mitgebrachte Kürbiscremesuppe, Kollegin Schaffer steuert ihr Tiramisu bei. Stille Nacht, zwischendurch. Bald ist der nächste Notruf zu hören.
Am nächsten Morgen geht Stefanie Schaffer zur U-Bahn-Station. Sofort fällt die Anspannung ab. Und wie immer nach einem Nachtdienst beginnt sie in der U6 gegen das Einschlafen zu kämpfen. Auf sie wartet ihre Familie, auf Professor Ott seine sechsjährige Tochter.
Frohe Weihnachten! Wie hatte doch der aus Tunesien stammende Papa von Elias gesagt: „Der Bub gehört nicht uns, er gehört Österreich.“