Leben/Gesellschaft

Freud für Dummys

Die Couch war ein Sessel. Und hinlegen musste Margarete Lutz sich auch nicht. 1936 verschlug es das damals 18-jährige Mädchen aus gutem Haus – Eigendefinition: „Kindlich, unaufgeklärt und nach den Werten von 1880 erzogen" – in die Berggasse 19. Gretl, das Einzelkind, dessen Mutter bei der Geburt gestorben war, hatte eine traurige Kindheit: „Ich bin außerordentlich einsam und sehr streng aufgezogen worden“, erinnerte sie sich 1999 in einem Interview. Folge: Rückzug in eine Fantasiewelt.

Eingewickelt in Großmutters lange Kleider aus dem 19. Jahrhundert gab sie abwechselnd Tristan und Isolde – am Fenster zur Wiener Wimbergergasse. Die Leute, die herauf gafften, meldeten Gretls Vater, dass seine Tochter verrückt geworden sei. Da er vermögend war, kam zur weiteren Behandlung nur Dr. Freud – „der Beste“ – in Frage.

Tanzschule statt Psychoanalyse

Freud erkannte sofort, dass Margarete kein Fall für die Psychoanalyse, sondern für die Tanzschule und den Sportverein war. Er habe sie gelehrt, „dass man nicht über sich verfügen lassen darf. Er hat mich frei gemacht“, sagte sie.

Wie im Fall von Margarete Lutz stellte Freud generell die persönlichen Lebensgeschichten ins Zentrum. Das ist mit ein Grund, warum die wissenschaftliche Leistung des Begründers der Psychoanalyse heiß umstritten ist: Die empirische Basis, auf der Freud seine Lehre zur Erklärung der menschlichen Psyche aufbaute, fußte auf einer überschaubaren Anzahl von Patienten, die zufällig den Weg zu ihm in die Wiener Berggasse gefunden hatten.

Penisneid und Über-Ich

Trotzdem ist neben Albert Einstein und Charles Darwin kaum ein anderer Wissenschafter derart in der Massenkultur des 21. Jahrhunderts verankert wie Sigmund Freud. Von ihm geprägte oder bekannt gemachte Begriffe wie narzisstisch, Verdrängung, Penisneid, Über-Ich und Ödipus-Komplex sind Allgemeingut.

Hier ein paar Fakten über Freud, die Sie vielleicht noch nicht kannten und die beim Smalltalk anlässlich der neuen Netflix Serie „Freud(ab Sonntag im ORF) nützlich sein könnten – zum Angeben.

  • Sigmund Freud war ein brillanter Schüler und maturierte mit Auszeichnung.
  • Beim Medizinstudium ließ er sich Zeit – 15 Semester. Seine erste wissenschaftliche Arbeit drehte sich um Aal-Hoden, nachdem er Hunderte der Fische auf der Suche nach ihren Geschlechtsorganen seziert hatte.
  • Irgendwann war es unumgänglich, Geld zu verdienen. Die seit Jahren wartende Verlobte Martha Bernays wollte geheiratet werden. Er versuchte sich in der Chirurgie, fand sich aber zu ungeschickt. In der inneren Medizin hielt er die Todkranken nicht aus. Auch kranke Kinder schlugen ihm aufs Gemüt. 1886, frisch zurück aus den Flitterwochen, eröffnete Freud seine neurologische Privatpraxis. Er behandelte vor allem Frauen. Hysterie war die Modediagnose jener Zeit.
  • Seine „Narren“ behandelte Freud anfangs nach den damals gängigen Methoden: Elektrotherapie, Massagen und Heilbäder. Auch Hypnose war dabei, eine Technik, die er in Frankreich gelernt hatte. Erfolg: mäßig. Später lehnte er die Hypnose ab, weil er dachte, dass sich Patientinnen als Nebenwirkung in den Therapeuten, also Freud, verlieben. Also führte er in den Sitzungen Gespräche, in denen er die Erinnerungen der Patienten bis zum unheilbringenden Geschehen zurückverfolgte.
  • Wenn ihm die Kraft ausging, energetisierte er sich mit einer Dosis Kokain. Freud schätzte die Droge auch als Hausmittel gegen Kopfschmerzen und Erkältungen.
  • Freunds berühmte Couch ist heute übrigens in seiner Londoner-Exilwohnung, einem Museum, zu sehen.
  • Für den Feminismus war Freud, der Mädchen als „diese kleinen Wesen ohne Penis“ bezeichnete, verständlicherweise ein rotes Tuch.
  • Für Woody Allen nicht: Er griff Freuds „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ mehrfach in Filmen auf.
  • Übrigens war Freud bei weitem nicht der Erste, der über die Macht des Unbewussten nachdachte, das hatte schon Platon um 400 vor Christus getan. Sigmund Freuds Buch Die Traumdeutung aber wurde zu einem der meistgelesenen, -zitierten und -diskutierten Bücher des 20. Jahrhunderts.

Die Psychoanalyse wuchs von einer Außenseitertheorie zu einer Bewegung. Verschiedene Schulen zerstritten sich untereinander und mit dem Übervater Freud. Seine Schülern bügelten seine gröbsten Irrtümer aus. Weil sie ein Produkt ihrer Zeit waren, gelten heute viele seiner Ansätze als überholt. Dennoch geht ein Gros des heutigen therapeutischen Instrumentariums auf Freud zurück.

Sein wahres Verdienst dürfte aber sein, die Sprachlosigkeit des 19. Jahrhunderts in Hinsicht auf die Sexualität überwunden zu haben. Dies gelang ihm, weil er ein brillanter Schreiber war. Sogar seine erbittertsten Gegner gestehen ihm zu, dass er einen Nobelpreis verdient hätte – nicht für Medizin, sondern für Literatur.