Konrad vor der Rad-WM: "Ich bin kein Eislaufpapa"
Von Barbara Reiter
Herr Konrad, wann war Ihnen klar, dass Ihr Sohn das Zeug zum Profisportler hat?
Statt des Vaters antwortet der Sohn.
Patrick Konrad: Als ich auf die Welt gekommen bin.
Wahrscheinlich sind Sie schon mit Trikot geschlüpft.
Wolfgang Konrad: Nein, er ist mit dem Fahrrad vorgefahren. Im Ernst: Ich weiß nicht mehr, ab wann wir vom Spitzensport gesprochen haben. Aber er ist schon bei seinen ersten Rennen gut gefahren. Das haben auch andere gesagt.
Radprofi ist kein leichter Job. Die starke Konkurrenz, Sturzgefahr, hartes Training – haben Sie Ihrem Sohn die Idee nicht ausgeredet?
Wolfgang: Die Anstrengung ist sein Problem, darum muss ich mir keine Sorgen machen. Was die Stürze betrifft, bekommt man einen eigenen Blick. Ich kann schnell abchecken, wer gestürzt ist und wer nicht. Aber Inge, meine Frau, hat Angst, vor allem bei Massen-Sprints.
Im August ist Patrick bei der Deutschland Tour bei einem Massen-Sprint gestürzt. Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ich habe es live im Fernsehen mitverfolgt. Im ersten Moment hab ich mir gedacht, okay, statistisch gesehen musste dieser Sturz einmal kommen. Als ich gesehen habe, dass er am Popo und dann auf dem Rücken gelandet ist, hab ich mir gedacht, zum Glück nicht auf die Schulter, sonst wäre womöglich das Schlüsselbein gebrochen.
Wie geht es Ihnen, Patrick? In einer Wochen starten Sie als Kapitän bei der Rad-WM in Österreich. Hat Sie der Sturz in Deutschland aus dem Tritt gebracht?
Patrick: Es geht mir sehr gut. Ich bin ja schon am Tag nach dem Sturz wieder auf den neunten Etappenplatz bei der Deutschland Tour gefahren. Meine Motivation ist riesig. Das Glück, eine WM im eigenen Land fahren zu dürfen, werde ich als aktiver Radprofi wohl nur ein einziges Mal haben.
Der 7. Platz beim Giro d’Italia heuer war Ihr bisher bestes Ergebnis ...
Patrick: Bei einer Grand Tour schon. (Anm.: Die drei Hauptrennen der Profis in Europa: Tour de France, Giro d'Italia und Vuelta a España)
Im Fernsehen sah das streckenweise verdammt gefährlich aus.
Patrick: Speziell beim Giro sind die gefährlichen Zielankünfte schon öfter kritisiert worden. Wir hatten zum Beispiel beim Auftakt des Giro in Israel auf einem sechs Kilometer langen Abschnitt sechs Kreisverkehre bergab.
Wolfgang: Und ihr wart da mit 70 km/h unterwegs.
Patrick: In Sizilien sind wir nach einer Abfahrt mit 85 km/h in einen unbeleuchteten Tunnel hineingefahren – mit Brille. Da bleibt keine Zeit, um sich auf die neuen Sichtverhältnisse einzustellen.
Warum achten die Veranstalter nicht besser auf die Sicherheit der Fahrer?
Patrick: Mangelndes Interesse.
Wolfgang: Man muss aber auch sagen, dass Straßen nicht für Radfahrer gebaut werden, sondern für den Individualverkehr. Der Veranstalter sagt: „So ist es.“ Damit muss man sich abfinden.
Sie waren in den 1980er-Jahren wie Ihr Sohn Profi-Sportler. Hindernislauf ist nicht alltäglich. Wie kamen Sie dazu?
Wolfgang: Das ist sogar eine olympische Disziplin. Man ist Mittelstreckenläufer und irgendwann heißt es, wir brauchen einen, der bei den Tiroler Meisterschaften beim 1500-Meter-Hindernisrennen mitläuft. Wenn du dann bei 3000-Meter-Hindernis österreichischen Rekord läufst, das bleibt dir dann.
Das heißt, Sie waren einfach zu gut?
Wolfgang: Genau, ich hatte keine Chance, dem zu entkommen.
Glauben Sie, es gibt einen Zusammenhang zwischen Ihrer sportlichen Karriere und der Ihres Sohnes?
Wolfgang: Absolut, und das sollte auch einmal in der hohen Politik diskutiert werden. Alle guten Sportler in Österreich sind deshalb gut geworden, weil sie von zuhause die notwendige Unterstützung und Förderung bekommen haben. Als der Patrick noch keinen Führerschein hatte, ist der Papa mit ihm pro Jahr 12.000 Kilometer zu den Rennen gefahren. Spitzensportler kommen nie aus den Strukturen der Verbände, es ist immer das Elternhaus. Vielleicht stecken auch ein paar Gene von mir in ihm.
Hatten Sie nie das Gefühl, dass Sie vom Vater gepusht wurden, Patrick?
Patrick: Ich habe mich immer gerne bewegt und einfach alles ausprobiert.
Wolfgang: Ich bin sicher kein Eislauf-Papa. Und das Rennrad hat er gehabt, weil ich gefahren bin.
Patrick: Ich hab mir gedacht, ich fahre einfach los. Mein erstes Rennen war ein Hobby-Kinderrennen in Ebreichsdorf ohne Lizenz. Da habe ich auch meinen ersten Pokal gewonnen. Dann bin ich zu einem Verein in Pottendorf gegangen und bei meinem ersten Lizenzrennen nur abgehängt worden. Da war klar: So leicht wie beim Kinderrennen ist es dann doch nicht, da muss ich schon hart arbeiten dafür.
Als Sie in den Radsport eingestiegen sind, war Doping ein Riesen-Thema. Hat Sie das nicht abgeschreckt?
Patrick: Natürlich haben die Medien damals nur gepusht, dass der ganze Radsport verseucht ist und eh alle Fahrer manipuliert sind. Aber ich habe trotzdem gewusst, dass es nicht so ist. Das sieht man ja, sonst würde ich solche Leistungen wie den 7. Platz beim Giro nicht zusammenbringen. Aber es war manchmal schwierig, weil ich mir speziell mit 17, 18 viel anhören musste.
Womit hat man Sie konfrontiert?
Patrick: Zum Beispiel war es ein Problem, dass ich „nur“ Rad fahre. Ich musste mir überlegen, wie ich erkläre, dass mein Beruf angehender Radprofi ist. Mittlerweile hat sich aber vieles geändert. Radfahren ist quasi das neue Golf. Jeder hat ein Radl um ein paar tausend Euro daheim, Radlwäsch’, Helme, Brillen, Schuhe ... Der Sport wird immer populärer. Das ist meine Chance als Radfahrer, den Leuten nicht nur große Rennen näherzubringen, sondern auch die Österreichische Meisterschaft am Kahlenberg.
Ihr Vater weiß am besten, wie man Leute an die Strecke bringt. Kann man die Erfolgsstrategien des Wien-Marathon auf den Radsport übertragen, Herr Konrad?
Wolfgang: Natürlich ist das möglich. Als ich als 17-Jähriger durch Innsbruck gelaufen bin, war ich der Depp. Dann hat es die Generation mit Millonig, Nemeth und mir gegeben und die Meinung zum Laufen hat sich geändert. Der Patrick ist in eine blöde Zeit hineingeraten, wo die Seuche, wie ich sie bezeichne, am schlimmsten war. 2008 hast du nach dem Fall Kohl keine Chance gehabt, international in einen Profi-Rennstall zu kommen, heute gibt es zehn Profis in Österreich, die bei der World Tour (Anm.: Champions League der Radfahrer) mitfahren. Wenn die Sportler beweisen, dass sie was können, werden die Medien wieder mitspielen und das Publikum wird wieder kommen.
Begleiten Sie Ihren Sohn regelmäßig zu den Rennen?
Wolfgang: Vergangenes Jahr war ich beim Finale der Tour de France in Paris und beim Giro am Stilfser Joch. Heuer war ich nirgendwo, weil ich das nervlich wahrscheinlich nicht ausgehalten hätte. Ich rege mich immer so auf.
Ist es wirklich so schlimm?
Wolfgang: Ja, außerdem sieht man vor dem Fernseher einfach mehr. Wenn du irgendwo stehst, macht es schwupp und das ganze Feld ist vorbei. Und ich denke mir: Wo war jetzt der Patrick? Dann bin ich 1.000 Kilometer umsonst gefahren.
Haben Sie den Aufstieg Ihres Vaters zum großen Veranstalter des Wien-Marathon als Kind wahrgenommen, Patrick?
Patrick: Ich war als Kind immer gerne beim Wien-Marathon. Mir hat der Riesen-Trubel gefallen. Aber mittlerweile ist mein Rennkalender so dicht, dass ich die letzten drei Jahre nicht dabei sein konnte.
Es gibt ja mittlerweile auch schon Radrennen in Dubai und im Oman ...
Patrick: Die großen Veranstalter schauen sich nach neuen Veranstaltungsorten und Geldgebern um. Dann gibt es eben die Abu Dhabi Tour, wo wir auf der Formel-1-Rennstrecke fahren.
Bei 178 Grad.
Patrick: In Abu Dhabi regnet es nur an etwa sieben Tagen im Jahr. Und wir haben vergangenes Jahr vier davon erwischt. Aber das war bei 50 Grad gar nicht mal so unangenehm.
Sind solche Temperaturen nicht schlicht eine Quälerei?
Patrick: Dann fahren die Fahrer halt langsamer – und du brauchst jede halbe Stunde zwei Liter Wasser. Einen leerst du dir über den Kopf, den anderen trinkst du.
Trotzdem brutal. Man nennt ja auch die Tour de France „Tour der Leiden“.
Patrick: Und Paris-Roubaix „Hölle des Nordens“.
Wolfgang: Derzeit ist das stärkste Thema bei Veranstaltungsorten aber Asien, weil dort Geld absolut keine Rolle spielt.
Patrick: Vergangenes Jahr hat es zum ersten Mal ein World-Tour-Rennen in China gegeben, heuer auch in Japan. Die haben unglaublich viel Geld investiert, um die Landschaft entlang der Rennstrecke zu verschönern.
Wolfgang: Und die Fassaden.
Patrick: Die Häuserfassaden wurden über Hunderte Kilometer neu gemacht. Aber nur auf der Seite, die man beim Rennen im Fernsehen gesehen hat. Die Rückseite ist grau geblieben.
Wolfgang: Wie in Hollywood.
Patrick: Es hat auch Streifen gegeben, wo nichts gewachsen ist. Die wurden einfach grün angesprüht, damit es nach Gras aussieht. Anscheinend wurden 30 Millionen Dollar investiert.
Aufgesprühtes Gras ist skurril, Fassaden sind immerhin etwas Bleibendes.
Patrick: Es ist auch so, dass in Sizilien Straßen vor dem Giro neu asphaltiert werden. Bei der Tour de France auch.
Patrick Konrad nippt an seinem Kaffee.
Dürfen Radfahrer Kaffee trinken?
Patrick: Natürlich dürfen sie das.
Wolfgang: Patrick hat sogar eine Barista-Ausbildung.
Patrick: Keine Ausbildung, ich habe einen Kurs gemacht.
Und was lernt man da?
Patrick: Wie man guten Kaffee macht und worauf es dabei ankommt. Es fängt bei den unterschiedlichen Bohnen an. Je nach Röstung verändert sich der Geschmack, auch das Wasser ist wichtig. Die kleinste Veränderung kann den Geschmack des Kaffees stark beeinflussen. Nicht bei einer Kapselmaschine natürlich, aber bei einer Siebträgermaschine, wie ich sie zuhause habe.
Sind Sie mit dem Kaffee, den uns Ihre Mutter gemacht hat, zufrieden?
Patrick: Ja, er ist für eine Kapselmaschine ganz in Ordnung.
Wolfgang: Patrick hat bei der Österreich-Rundfahrt 2014 sieben oder acht Kaffeemaschinen gewonnen.
Patrick: Es waren 16, ich habe jeden Tag zwei gewonnen. Das waren Giveaways von einem Sponsor. Jeder Trikotträger hat jeden Tag eine Maschine bekommen. Ich hatte vom ersten Tag an das Trikot des besten Österreichers und das des besten Jungprofis und beide bis zum letzten Tag nicht mehr abgegeben. Eine Maschine habe ich meiner Mutter geschenkt. Den Rest dem Team und wenn jemand in meinem Umfeld Geburtstag hat, bekommt er auch eine.
Was glauben Sie Herr Konrad: Wie groß ist Ihr Anteil an Patricks Erfolgen?
Wolfgang: Gering. Ich wurde einmal gefragt, ob ich Patricks Manager bin und er hat darauf geantwortet: „Nein, der Papa ist der Berater in schwierigen Situationen.“ Denn da hat es immer geholfen, wenn wir uns ausgetauscht haben. Aber die Entscheidungen hat er getroffen und die Leistung, die er heute abruft, ist auch nicht auf meinem Mist gewachsen.
Können Sie sich noch an eine schwierige Situation erinnern, in der Sie sich ausgetauscht haben?
Patrick: Ja, das war zu der Zeit als ich bei der Tour de l'Avenir (Anm.: „Tour der Zukünftigen; Mini-Tour-de-France für die Altersklasse U23), Dritter geworden bin. Ich war auch bei der WM unter den Top Ten und bei den U-23-Rennen immer vorne mit dabei. Früher hat man gesagt, wenn einer all das vorweisen kann, wird er Profi. Aber ich musste damals trotzdem wieder nach Österreich zurück. In diesem Jahr haben einige Teams zugesperrt und plötzlich sind hundert Profis auf dem Markt gewesen. Da ist es für einen österreichischen Fahrer extrem schwierig, sich für ein Team zu empfehlen. Damals war ich 23 und habe gesagt: Okay, dann geh ich eben zurück und fahre in einem drittklassigen Profi-Team.
Wolfgang: Das Gespräch war ein bissel anders. Du warst extrem enttäuscht, weil du keinen Profi-Vertrag bekommen hast. Ich habe dir dann geraten, wieder nach Österreich zurückzugehen, aber du hast gesagt: „Sicher nicht, da will ich nimma hin.“
Patrick: So war es jetzt bitte auch nicht.
Wolfgang: Genau so war es. Da drinnen im Wohnzimmer sind wir gesessen. Dann habe ich gesagt: „Gut, dann musst du eben aufhören.“ Aber das wolltest du schon gar nicht hören.
Patrick: Ja stimmt. Dann haben wir beschlossen, dass ich die Österreich-Rundfahrt als Kapitän fahre. Nach dem 3. Platz auf der Glockner-Etappe habe ich dann meinen Profi-Vertrag bei BORA hansgrohe bekommen. Deshalb war dieses Rennen das Entscheidendste meiner Karriere. (Anm.: Konrad belegte Platz 4)
Für einen Österreicher kein schlechtes Omen, den Grundstein für die Karriere bei der Österreich-Rundfahrt zu legen. Wie wäre es in Zukunft mit sieben Tour-Siegen wie einst Lance Armstrong?
Patrick: Das wäre eine schlechtes Vorbild ....
Wolfgang: ... und wird am besten gar nicht erwähnt.
Wolfgang Konrad:
Der Tiroler wurde 1958 in Imst geboren. In seiner Kindheit begann er zu laufen und kam über Umwege zum Hindernislauf. Bereits als 19-Jähriger verbesserte er 1978 in Berlin erstmals den österreichischen Rekord über 3000 Meter Hindernis, war später bei Olympia und erreichte 1982 bei den Europameisterschaften in Athen den 5. Platz. In seinem letzten Rennen als Leistungssportler bestritt er 1988 in einer Zeit von 2:23:17 den Vienna City Marathon, übernahm 1989 dessen Führung und machte ihn zur teilnehmerstärksten Sportveranstaltung Österreichs. Konrad ist mit Inge verheiratet und hat mit ihr die Söhne Dominic und Patrick.
Patrick Konrad:
Der Niederösterreicher wurde 1991 in Mödling geboren. Mit dem Radsport begann er, weil auch sein Vater ein Rennrad hatte und gewann bei seinem ersten Rennen, ein Hobby-Kinderrennen in Ebreichsdorf, gleich einen Pokal. Erfolge bei der Tour de l’Avenir 2013 als Gesamtdritter, als Sieger der Oberösterreich-Rundfahrt 2014 und als Gesamt-Vierter bei der Österreich-Rundfahrt, führten ihn an die Spitze des Radsports in Österreich und der Welt. Seit 2015 fährt Konrad in der World Tour für den Profi-Rennstall BORA hansgrohe und erreichte heuer als Gesamt-Siebter des Giro d’Italia seine beste Platzierung. Konrad lebt in einer Beziehung.