Leben

Kira Grünberg exklusiv: "Ich war überrascht, wie hart es zugeht"

Frau Grünberg, wir hatten gerade einen enorm heißen  Sommer. Wie ist es Ihnen mit der Hitze ergangen?

Für mich ist das unglaublich angenehm. Ich liebe Wärme, weil ich seit meinem Unfall sehr leicht friere. Ich spüre ab dem Brustbein abwärts nichts mehr. Dort nimmt  mein Körper deshalb die Temperatur nicht mehr wahr.

Ihr Unfall liegt  drei Jahre zurück  und Ihr Körper hat sich massiv verändert. Wissen Sie mittlerweile, wie er tickt?  

Zum großen Teil. Aber ich bin immer wieder von Veränderungen überrascht. Meine Spastik zum Beispiel ist in diesen Jahren irgendwie aggressiver und widerspenstiger geworden als früher.   

Das klingt unangenehm.

Aber ich lerne dadurch meinen Körper wieder besser kennen. Wenn mich zum Beispiel ein Schuh drückt, beginnen meine Beine zu zappeln. Das Positive an der Spastik ist auch, dass die Muskeln erhalten bleiben. Deshalb bin ich froh, dass ich sie habe. Manche können   mit ihrer Hilfe  sogar stehen, weil die Beine steif werden. Man muss nur herausfinden, wie man die Spastik aktivieren kann. Ich bin gerade dabei, zu üben, wie ich vom Rollstuhl ins Bett komme. Ohne Spastik wäre das nicht möglich.

Sie haben in einem Interview mit Radio SWR1 erzählt, dass Sie mit einem amerikanischen Arzt zusammenarbeiten. Wie kann er Ihnen helfen?

Dr. Milan Dimitrijevic kommt aus  Ex-Jugoslawien und gilt als der Querschnittspapst. Er lebt seit Jahrzehnten in den USA und lehrt an  vielen Universitäten. Unterhalb der Lähmung sterben die Nerven ab, weil der  Körper sie nicht mehr verwendet.  Ihm ist ganz wichtig, die Nerven mit Strom zu stimulieren, um das zu verhindern. Wenn die Medizin irgendwann etwas gegen Querschnittslähmung tun kann, müssen diese Nerven vorhanden sein.

Bis dato gibt es aber keine Heilung.

Im Moment nicht, aber ich bin mir  sicher, dass Querschnittslähmung irgendwann heilbar  sein wird. Ob in zwanzig oder in hundert Jahren weiß aber niemand.

Die Querschnittslähmung hat Ihr Leben auch beruflich  auf den Kopf gestellt.  Sie sind seit 2017 Behindertensprecherin der ÖVP. Wie viel Zeit wenden Sie dafür auf?

Viel Zeit für anderes bleibt nicht. Das war mir bewusst. Wenn ich etwas mache, will ich es richtig machen.

Trotzdem mussten Sie viel Kritik einstecken. Haben Sie eine dicke Haut?

Schon, ich versuche aber, dass sie nicht zu dick wird. Ich möchte für bestimmte Situationen sensibel bleiben. Aber ein dickes Fell  ist manchmal von Vorteil.

In der Politik dauert die Schonzeit für Neueinsteiger meist hundert Tage ...

Die Schonzeit war bei mir viel früher vorbei. Das ist auch gut so, denn es ist ein neues Kapitel in meinem Leben und ich will meiner Position gemäß behandelt und beurteilt werden.  Auch wenn ich gleichzeitig überrascht war, wie hart es zugeht. Aber das gehört einfach dazu.

Hat Sie Bundeskanzler Sebastian Kurz darauf vorbereitet?

Er hat mir gesagt, dass es nicht einfach werden wird, vor allem,  wenn man etwas verändern will. Der erste Gegenwind kommt schon, wenn  man sagt, dass man etwas verändern will. Wenn es dann wirklich so weit ist, ...

... kommt der Sturm.  

Dann kommt der Sturm. Es ist natürlich auch so, dass man nicht mehr jedem zu Gesicht steht, wenn man sich für eine Partei entscheidet und das öffentlich macht. Aber das nehme ich auf mich und bin froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe.

Was antworten Sie Kritikern, die  meinen, dass man bis dato als Behindertensprecherin zu wenig von Ihnen gehört hat?

Am Anfang war es für mich wichtig, mich  in die Materie einzuarbeiten, politisch, parlamentarisch, generell. Ich habe gerade eine Tour durch Tirol hinter mir, bei der ich circa 40 Einrichtungen, Vereine und Institutionen  besucht habe. Das Thema Behinderung ist sehr sensibel und nicht jeder möchte, dass man weiß,  mit wem er sich getroffen hat. Viele wollen keine Partei ergreifen. Deshalb rede ich vor Ort  mit den Leuten, ohne es nach außen zu tragen. Wenn man die Presse dabei hat, erfährt man meist  nicht die ganze Wahrheit. Es wird viel geschönt. Ich möchte erfahren, was gut läuft, aber genauso, was nicht so gut läuft. Auf Basis dessen arbeite ich gerade drei bis vier Schwerpunkte heraus, auf die ich  mich in meiner politischen Arbeit konzentrieren werde.

Würden Sie den Umgang mit behinderten Menschen als unbefangen bezeichnen?

Teils, teils. Es gibt Menschen, die sehr offen sind, vor allem, wenn sie im Umfeld mit behinderten Menschen zu tun haben. Aber viele sind auch distanziert. Man merkt es bei Kleinkindern, die immer interessiert sind, wenn sie einen Rollstuhl sehen. Manche Eltern fragen dann, ob das Kind den Rollstuhl angreifen darf, andere sagen: „Geh nicht hin.“ Das ist dann traurig. Ich habe ja nichts falsch gemacht. Eine Querschnittslähmung ist schließlich auch nicht ansteckend.

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Seit 2006 gibt es das Behindertengleichstellungsgesetz. Finden Sie, es greift?

Es gibt viele Gesetze, die zum Ziel haben, Menschen mit Behinderung gleichzustellen. Manche greifen gut, manche nicht. Wenn es um  Arbeitsplätze geht, müssen Firmen ab 25 Personen  ja  behinderte Menschen einstellen. Aber viele zahlen lieber eine Ausgleichstaxe. Da muss man sich überlegen, wie man das ändern könnte. Der Kündigungsschutz schreckt viele Firmen ab. Dabei sagen gerade jene, die Menschen mit Behinderungen eingestellt haben, dass sie nur davon profitieren. Das Arbeitsklima ist ganz anders. Und wenn man zum Beispiel Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung herausnimmt, können sie  viele Dinge besser als andere – ob mit oder ohne Behinderung.

Was ist Ihr größtes  politisches Anliegen?

Die Persönliche Assistenz. Im Arbeitsbereich ist sie schon bundesweit einheitlich geregelt, aber sie beinhaltet nur den Weg zur Arbeit und alles, was den Arbeitsplatz betrifft.  Hingegen das Aufstehen in der Früh, duschen, Essen machen – all das beinhaltet sie  nicht. Wenn mir aber  in der Früh niemand beim Aufstehen hilft, kann ich nicht zur Arbeit gehen. Da hilft der beste Job der Welt nichts. Deshalb benötigt es unbedingt auch in der sogenannten Persönlichen Assistenz in der Freizeit  einheitliche Mindest-Standards in Österreich.

Wer kümmert sich um Sie?

Das sind viele Menschen. Ich habe mittlerweile ein ganzes Team, das mich in der Freizeit und am Arbeitsplatz betreut. Ohne sie könnte ich mein Leben nicht führen und meinen Beruf nicht ausüben. Auch meine Familie, mein Freund und meine Schwester machen viel. Ich bin von vielen Menschen abhängig, versuche aber, dass es ein Geben und Nehmen ist.

Ist es schwierig, um Hilfe zu bitten?

Schon. Ich kann auch nie sagen, dass ich spontan in die Stadt fahre. Ich brauche immer jemanden, der mich fährt. Flexibilität ist nicht mehr vorhanden. Ich versuche trotzdem, so spontan wie  möglich zu sein.

Ihnen wurde nach Ihrem Unfall ein Auto geschenkt, das Sie erst in Ihrer aktiven Zeit als Politikerin erhalten haben. Das wurde Ihnen vorgeworfen. Warum ist das Thema jetzt  wieder hochgekocht?

Das hat mich auch überrascht, weil ich dachte, das Thema wäre erledigt. Es hat eine anonyme Anzeige gegeben. Daraufhin hat sich die Korruptions-Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Und sie muss  aktiv werden, wenn eine Anzeige eingeht.

Macht eine anonyme Anzeige wütend?

Ich bin nicht wütend oder böse, nur eben überrascht. Seit ich im Rollstuhl sitze, sehe ich zwar viele Dinge gelassener, aber wenn es  heißt, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen dich, erschrickt man anfangs schon. Ich werde in dieser Sache aber alles Notwendige tun, um alle offenen Fragen zu beantworten.

Frau Grünberg, gibt es etwas in Ihrem Leben, das sich  verbessern sollte?

Ich bin zufrieden und habe keine großen Wünsche. Es freut mich, dass es mir inzwischen so gut geht und ich gesund bin.

Kann man lernen, so positiv zu sein?  

Mein Weg ist nach dem Unfall so positiv verlaufen und es ist manchmal nicht einfach, zu trennen, was ich aktiv dazu beigetragen habe und was automatisch gekommen ist. Möglicherweise ist auch einiges angeboren. Der Unfall hat vieles verändert. Wenn etwas nicht so klappt, versuche ich schon aktiv, das Positive in einer Situation zu sehen. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, seine Sichtweise auf Dinge zu verändern.

Was würden Sie machen, wenn Sie morgen wieder gehen könnten?

Ich würde bei einem Wettkampf mitspringen – oder gerade Urlaub machen, weil ich bei der Leichtathletik-Meisterschaft in Berlin eine Medaille gemacht hätte. Aber selbst wenn es eine Heilung gäbe,  wären die Dinge  nicht wie vor dem Unfall. Wenn, würde ich sofort wieder springen.

Sie waren zuletzt bei 4,45 Metern. Wie hoch würde es wohl jetzt gehen?

Das frage ich mich auch oft. 2015 hatte ich Sprünge, nach denen klar war, dass es  noch höher geht. Ich werde nie erfahren, wie hoch. Vielleicht ist es auch gut so!

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BEWUNDERNSWERT OPTIMISTISCH

Kira Grünberg, 25, wurde 1993 in Innsbruck geboren. Sie war sieben Jahre alt, als sie die Leichtathletik-WM im Fernsehen verfolgte und beschloss, Stabhochspringerin zu werden. Sie startete mit Kinderturnen, absolvierte danach eine Leichtathletikausbildung und spezialisierte sich auf Stabhochsprung. Seit 2014  hält sie mit 4,45 Metern den österreichischen Rekord. Grünberg hatte auch die Aussicht, sich für die  Olympischen Spiele 2016 in Rio zu qualifizieren. Bei einem Trainingsunfall am 30. Juli 2015 kam sie aber zu Sturz und ist seither querschnittsgelähmt. Bewundernswert ist ihre positive Lebenseinstellung, mit der sie seither ihr Schicksal meistert. Seit 2017 ist die Tirolerin, die in Kematen lebt, ÖVP-Behindertensprecherin und sitzt im Nationalrat. Grünberg lebt in einer Beziehung und möchte einmal Kinder haben.

Info: Kira Grünberg schildert ihr bewegendes Schicksal im Buch „Mein Sprung in ein neues Leben“, edition a. www.kiragruenberg.com