Andrea Händler über Offenheit
Von Barbara Reiter
freizeit: Frau Händler, Sie sind derzeit mit Ihrem Kabarett „Ausrasten“ auf Tour – Ihr neuntes Soloprogramm. Haben Sie schon einmal Müdigkeitserscheinungen verspürt?
Andrea Händler: In 30 Jahren Arbeit kommt schon was zusammen. Es gab kein Jahr, in dem ich nicht gearbeitet habe. Ich konnte mir ein Leben ohne Job nie vorstellen, jetzt kann ich es langsam.
Womit hat das zu tun?
Ich war immer getrieben. Das habe ich vor allem in Urlauben gespürt. Während ich zum Beispiel in Bali war, habe ich vom Safari-Urlaub im nächsten Jahr geträumt. Ich war alles, nur nicht im Jetzt. Und als ich versucht habe, mit Gewalt so zu leben, hat es erst recht nicht funktioniert.
Und dann?
Habe ich mir eine Kabane an der Alten Donau genommen, was mich unglaublich beruhigt, und mir außerdem eine Therapeutin gesucht. Mit ihr bin ich im hohen Alter von 47 Jahren noch einmal in meine Kindheit gekrochen. Das hat sich ausgezahlt. Denn heute kann ich sagen, dass ich zufrieden bin.
Was war das Thema Ihrer Kindheit?
Ganz sicher die Klostererziehung im Internat, in dem ich fünf Jahre lang war. Ich war erst sechs Jahre alt und noch nicht einmal einen Meter groß. Samstagmittag durfte ich heim, musste aber einen Tag später wieder rein. Santa Christiana war ein düsteres, kleines Schlössl in der Willergasse im 23. Bezirk. Es war immer eine Tortur für mich, sonntagabends wieder zurückzukehren.
Warum mussten Sie ins Internat?
Meine Mutter war 30 und lebte in Trennung von meinem Vater, der wesentlich älter war als sie. Sie wollte halt ein bissl leben, was ich heute verstehe. Und sie wollte eine gute Erziehung für mich. Das war sicher gegeben, denn was hätte ich im Internat schon machen können, außer lernen? Man sieht ja, was aus mir geworden ist: Kasperl.
Meine Eltern hätten sich wohl eher gewünscht, dass ich Anwältin werde. Wäre das ein Beruf für Sie gewesen?
Auf keinen Fall. Da darf man nie sagen, was man denkt. Dann lieber Kasperl, obwohl ich manchmal das Gefühl habe, dass ich eigentlich nicht wirklich was kann.
Sie sind seit 30 Jahren Kabarettistin und können von Ihrem Job gut leben. Das können nicht viele in diesem Beruf von sich behaupten.
Ja, aber die Zeiten haben sich geändert. Ich sammle alle Berichte, die über mich erscheinen und klebe sie in eine Mappe. Da sehe ich, dass meine Pressekonferenz zu „Ausrasten“ heuer nicht so gut besucht war. Vor drei Jahren sind noch sehr viele Berichte von mir erschienen, heuer waren es nur einige kleinere Beiträge, im Fernsehen kam überhaupt nichts. Es kommen viele junge Journalisten nach, die mich nicht mehr kennen und an mir vorbeirennen. Damit muss ich mich anfreunden.
Klappt das?
Nicht erkannt zu werden ist in meinem Beruf ungünstig. Es stört meinen Job und da denke ich mir schon manchmal: Kruzifix, wieso muss ich mir ein Interview mit zwei anderen Kabarettistinnen teilen? Früher habe ich drei Seiten doch auch alleine gefüllt. Es wurde mir angeboten, mit „Flüsterzweieck“, einem Kabarett-Duo das ich gar nicht kenne, eine Geschichte über Frauenkabarett zu machen. Auf dieses Thema bin ich sowieso allergisch. Es heißt ja auch nie, wir machen einen Beitrag über Männerkabarett. Das macht mich traurig.
Sind Ihre Kabaretts zu frauenlastig?
Ganz sicher nicht. Ich lasse meine Programme jedes Mal vor der Premiere von Alfred Dorfer lesen. Der hat ein gutes Gefühl und würde mir das sagen.
Alfred Dorfer kennen Sie aus Ihrer Zeit mit der Kabarettgruppe „Schlabarett“. Haben Sie mit den anderen Protagonisten von damals auch noch Kontakt?
Mit Eva Billisich habe ich heuer schon gespielt. Sie macht auch die Regie bei mir. Man braucht jemanden, der unten sitzt und schaut, wie das Programm wirkt. Und mit dem Reinhard Nowak bin ich sowieso befreundet. Der darf auch zu mir an die Alte Donau kommen, weil er mein Gemüt erheitert. Es heißt immer, für Schauspieler sei es schwierig, auf der Bühne gegen Kinder und Hunde zu bestehen – und gegen den Nowak, sage ich immer. Es ist schwierig, mit ihm mitzuhalten.
Und Roland Düringer?
Der Roland ist auf einem eigenen Trip, der nicht ganz meiner ist. Wir waren nie so die großen Freunde. Im Kabarett waren wir uns von der Art zu spielen und verschiedene Figuren darzustellen sehr ähnlich. Deshalb waren wir bei „Schlabarett“ ein bissl Konkurrenten. Jetzt ist er, glaube ich, Vortragskünstler. Mein Anliegen ist nach wie vor, die Leute auf einem guten Niveau zum Lachen zu bringen. Und zwar so, dass sie zwei Stunden den Schmarrn, der sie am nächsten Tag eh wieder belastet, vergessen können. Ich will keinen erhobenen Zeigefinger im Programm drinnen haben.
Sie sind bei vielen Themen sehr offen.
Ich war immer so und habe aus vielem kein Geheimnis gemacht. Ich finde, dass Geheimnisse schwer zu hüten sind. Es reicht mir schon, dass ich die von anderen Menschen hüten muss, da will ich nicht noch eigene haben. Ich tue mir gut mit Schweigen, aber Lügen liegt mir nicht so. Deshalb habe ich 2004 auch ganz offen über meine Depressionen gesprochen. Mittlerweile sprechen sehr viele Menschen über ihre Schicksale.
Warum haben Sie sich damals dazu entschieden?
Ich werde oft als Betroffene zu Ärztesymposien eingeladen, um über den Umgang mit Depressionen zu reden. Ich will den Leuten sagen, dass man etwas dagegen tun kann. Ich habe mir einmal in den Kammerspielen bei einem schweren Unfall die Schulter gebrochen. Da haben sich weniger Menschen gemeldet als nach dem Depressions-Outing. Da habe ich kapiert, wie sehr die Menschen das Thema beschäftigt.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich nehme noch immer Tabletten, bin aber so gut eingestellt, dass ich nichts davon merke. Nach meinem ersten Schub war das anders. Meine Libido war quasi nicht mehr existent. Da dachte ich mir: Jetzt habe ich zwar keine Depressionen mehr, dafür aber mein Freund. Das kann es nicht sein. Aber ein guter Arzt findet das richtige Medikament.
Haben Sie Angst, dass die Krankheit zurückkommen könnte?
Große Angst, denn das ist schlimmer als alles andere, was ich erlebt habe. Ich leide bis heute unter meiner verschraubten Schulter, sie tut noch immer weh. Aber lieber noch drei Mal das durchmachen, als noch einmal Depressionen kriegen.
Sie haben von Ihrem Freund gesprochen. Warum haben Sie nie geheiratet oder Kinder bekommen?
Wenn ich welche hätte haben wollen, hätte ich sie. Mein Gynäkologe sagt jedes Mal, wenn ich bei ihm bin: „Schau Andrea, ein Ei.“ Und ich sage: ‚Noch eines, das keiner mehr braucht.‘ Mein Freund, der Franz, mit dem ich seit 14 Jahren zusammen bin, hat damals eine Frau gesucht, die keinen Hund und kein Kind hat. Das war dann ich. Und heiraten wollte er mich nicht. Schuld ist eigentlich die Gerda Rogers. Sie hat mir 2006 gesagt, dass er mich 2007 fragen wird. Da dachte ich, es wäre günstig, rechtzeitig eine Location zu suchen und Gäste einzuladen. Viele meiner Freunde sind Künstler und müssen eineinhalb Jahre vorher Bescheid wissen, um Zeit zu haben. Als der Franz das erfahren hat, hat er sich hintergangen gefühlt. Dabei hatten wir darüber gesprochen, dass, falls er vor mir geht, ich als arme Künstlerin dann Witwenrente bekomme.
Ist das Thema nun endgültig vom Tisch?
Für mich hat sich das erübrigt, weil es jetzt mit 50 wirklich vorbei ist mit dem weißen Kleid. Die Peinlichkeit hat ihr Limit erreicht. Vor einigen Jahren hätte ich das mit einem cremefarbenen Outfit noch hinbekommen. Aber in Taubengrau mit Hut zu heiraten: Darauf pfeif’ ich! Außerdem wollte ich eine große Hochzeit mit 150 bis 200 Leuten. So viele Menschen krieg’ ich nicht mehr zusammen.
Sind Ihnen Freunde abhanden gekommen?
Früher bin ich öfter fortgegangen. Das freut mich nicht mehr so. Und ich habe immer wieder in Filmen gespielt. Da trifft man viele Leute. Die kommen einem abhanden, wenn man nicht mehr so umtriebig ist.
Und Freunde fürs Leben?
Es gibt ein paar, aber die kann ich an einer Hand abzählen. Ich habe mich auch von einigen verabschiedet. Wenn es für mich einmal vorbei ist, ist es vorbei. Mit den Depressionen war das halt auch eine schwierige Zeit.
Sie haben Ihr Alter angesprochen. Wie ist es Ihnen heuer mit dem 50er ergangen?
Eigentlich gut. Falten stören mich nicht. Wenn ich nicht gerade spiele, lasse ich mir einfach vom Worseg ein bisserl Botox spritzen. Was mich aber stört ist, dass ich nicht mehr so gut sehe wie früher und eine Brille brauche. Und im Job wird es für eine Frau ab 50 auch nicht leichter. Da gibt es eine Hörbiger und vielleicht noch eine Neubauer. Das ist es dann.
Was haben die Damen, was andere nicht haben?
Glück. Was anderes kann es nicht sein. Denn es gibt viele Frauen, die ihren Job gut machen. Aber wenn man so etwas sagt, ist man gleich eine Raunze. Das will ich gar nicht sein. Es ist eben so. Deshalb habe ich auch die Therapie gemacht. Damit ich im Job älter werden kann, ohne unglücklich zu sein. Weil: Was ist, wenn kein Hahn mehr nach mir kräht?
Eine gute Frage, die sich viele stellen. Aber es heißt doch immer: Alles wird gut.
Das ist etwas, das mir sehr hilft. Auch wenn ich nicht gläubig bin, denke ich mir: Ein bissl mehr Gottvertrauen, dann wird es schon gehen.
Obwohl sie in Wien geboren wurde, wuchs Andrea Händler, 50, die ersten Lebensjahre in Eisenerz in der Steiermark auf. Sie nahm Schauspielunterricht bei Herwig Seeböck, nachdem sie am Reinhardt Seminar abgelehnt worden war. Dort traf sie auf Kollegen wie Alfred Dorfer oder Roland Düringer, mit denen sie 1984 die Kabarettgruppe „Schlabarett“ gründete. Nebenher arbeitete sie als Souvenirverkäuferin am Wiener Flughafen. Seit 1995 ist sie als Solo-Kabarettistin erfolgreich und derzeit mit ihrem neuen Programm „Ausrasten“ auf Tour.
Termine unter: www.andreahaendler.at