It's only Rock 'n' Roll ...
Von Andreas Bovelino
Ich war ein sehr guter Sopran." Wenn Keith Richards an seine Zeit als Solist im Knabenchor der Dartford Technical High School zurückdenkt, lacht er laut rasselnd. Aber immerhin: Vor 60 Jahren sang er in der ehrwürdigen Westminster Abbey Georg Friedrich Händels „Messias“ für niemand Geringeren als die britische Königin. Brutal beendete der Stimmbruch diese frühe, vielversprechende Gesangskarriere. Der junge Keith musste den Chor verlassen, eine Zurückweisung, die ihn heute noch kränkt. „Die haben mich einfach rausgeschmissen“, sagt er.
Keith Richards beugte sich über seine Gitarre, saugte den Blues und den Rock’n’Roll seiner afroamerikanischen Vorbilder auf, revolutionierte mit seinem Stil die europäische Popmusik und wurde Vorbild für Punks und Rocker gleichermaßen. Auch und vielleicht ganz besonders als Ikone für quasi alles, was von den Altvorderen verboten worden ist. Das ganz große Scheinwerferlicht, das immer auf den Mann am Mikro gerichtet ist, überließ er seinem Kumpel mit der großen Klappe – auch wenn der ohne Keiths gellende zweite Stimme aus dem Hintergrund nur halb so sexy rübergekommen wäre.
Seine Ausflüge ins Zentrum blieben selten – und als Solo-Sänger wirkte der sonst so coole Gitarrero beinahe schüchtern. Aber jetzt singt er wieder. „Crosseyed Heart“ ist Richards erste Solo-Platte seit 23 Jahren. Die Stimme ist so dünn wie eh und je, immer wieder erstaunlich bei einem derart vom Rock’n’Roll-Leben gegerbten Mann. Gerade das macht diesmal aber den Charme der Songs aus: das endlos lässige, gut abgehangene Gitarrenspiel in Verbindung mit vergleichsweise zartem Gesang des ehemaligen Sängerknaben, der zum ersten Mal so wirkt, als wäre er endlich zufrieden mit dem, was er ist. Vielleicht hat Keith mit knapp 72 den traumatischen Rausschmiss während seiner Jugend endlich verarbeitet …
„Ich habe ein ausgezeichnetes Vokabular. Ich kann sehr gut mit Worten umgehen.“ Eh, ein Titel wie „Killed by death“ muss einem erst mal einfallen. An Selbstvertrauen hat es Herrn Ian Fraser Kilmister, der von Fans und Freunden „Lemmy“ genannt wird, noch nie gemangelt. Oder doch?
Versteckt sich eine zerbrechliche Seele hinter dem ruppigen Auftreten des Motörhead-Frontmans?
Einen herben Rückschlag musste jedenfalls auch er einstecken, als er mit 22 von Nord-Wales, wo er mit diversen Bands als Gitarrero die Pubs gerockt hatte, nach London kam: In der Hauptstadt wollte ihn niemand spielen hören. Sein Geld verdiente er als Roady, der für Jimi Hendrix die Gitarren trug. „Als Gitarrist war ich echt nicht gut. Das muss ich heute zugeben“, sagt Lemmy. Schließlich wurde er Bassist – erst bei den Prog-Rockern von Hawkwind, für die er auch deren einzigen Welt-Hit „Silver Machine“ sang, nach dem Rauswurf wegen seiner ungesunden Lebensführung machte er mit seiner eigenen Band weiter. Heute liegen ihm Superstars wie die Jungs von Metallica, AC/DC oder auch Dave Grohl beinahe ehrfürchtig zu Füßen. Mit knapp 70 hat Lemmy eine neue Scheibe herausgebracht: „Bad Magic“. Darauf covert er mit „Sympathy For The Devil“ zum ersten Mal einen Rolling-Stones-Song. „Besser als die Stones ihn je gespielt haben“, sagt er. Womit er schon durchklingen lässt, dass die Stones nicht ganz oben auf seiner Lieblingsband-Liste stehen. Lemmy gehörte immer schon zur Beatles-Fraktion...
Was Keith und er, die beiden unverwüstlichen Oldies, gemeinsam haben? Dass sie trotz ihres ultimativen Rock’n’Roll-Lifestyles noch am Leben sind natürlich. Ihre Liebe zu dem frühen King of Gitarren-Rock Chuck Berry – wobei nur Keith von sich behaupten kann, schon mal einen Kinnhaken von ihm bekommen zu haben. Ihr Faible für Devotionalien aus dem Zweiten Weltkrieg. Einen ausgeprägten Hang zu Hochprozentigem. Die Gemeinsamkeiten enden hier. Lemmy hatte laut eigenen Angaben Affairen mit 1.000 bis 2.000 Frauen, Keith galt immer als der zurückhaltendste Rolling Stone, ist seit 35 Jahren mit seiner Frau Patti Hansen zusammen. Und weder wenn’s um harte Drogen geht, noch bei Fragen zur Musik sind sich die beiden einig. Während es dem einen nicht laut genug sein kann, mag es der andere überraschend leise. „Metal ist Mist“, sagt Keith. Freunde waren sie nie – und werden sie wohl auch keine mehr.
Aber wir sind einfach froh, dass es sie gibt. Beide.
1943 Am 18. Dezember wird Keith Richards in Kent, südlich von London, geboren. Sein Vater, frustriert nach einer Kriegsverletzung, arbeitet in einer Fabrik. Sein Großvater mütterlicherseits war Gitarrist in einer Jazz-Band. Bis er elf ist, wohnt Keith in der Nachbarschaft von Mick Jagger, mit dem er auch in die Volksschule geht. Der Großvater bringt Keith Gitarre bei, seine Leidenschaft gilt rasch der Musik von Chuck Berry.
1961 Keith Richards studiert Kunst im Sidcup Art College und trifft zufällig seinen Volksschul-Kumpel Mick Jagger, der zu einer Vorlesung an der Wirtschafts-Uni in London unterwegs ist. Mick hat einen Haufen LPs von Muddy Waters und Chuck Berry dabei, die beiden verstehen sich auf Anhieb. Ein Jahr später verlässt Keith das College und zieht nach London, wo er sich mit Mick und Brian Jones ein Apartment teilt. Am 12. Juli spielen sie gemeinsam mit Dick Tailor (Bass), Tony Chapman (Schlagzeug) und Ian Stewart (Piano) ihr erstes Konzert als The Rollin’ Stones.
1964 „The Rolling Stones“, das Debüt-Album der Stones erscheint. Mit „Tell Me“ ist darauf der erste Song eines Autoren- Teams, das Geschichte schreiben wird: Jagger/Richards.
1965 Mit „The Last Time“ schreiben Keith Richards und Mick Jagger ihren ersten Nummer-1-Hit. Auch wenn Richards später zugibt, dass es sich eigentlich um eine verunglückte Cover-Version eines alten Gospels handelt. Egal, es sollten noch etliche „echte“ Jagger/Richards-Hits folgen. Einer ihrer allergrößten schon im selben Jahr: „(I Can’t Get No) Satisfaction“
1945 Am 24. Dezember wird Ian Fraser Kilmister in Stoke-on-Trent, Staffordshire, England, geboren. Sein Vater ist ein Ex-Royal-Air-Force- Captain, die Eltern trennen sich früh, „Lemmy“ wächst bei Mutter und Großmutter in Nord-Wales auf.
1967 Nach einigen Erfolgen mit lokalen Rock-Bands in Wales zieht Lemmy nach London. Als Musiker kann er sich vorerst nicht durchsetzen – er wird Roady bei Keith Emerson und Jimi Hendrix.
1971 Bei der Prog-Rock-Band Hawkwind bewirbt er sich als Gitarrist. Er wird nicht genommen, darf aber für den überraschend ausgefallenen Bassisten einspringen.
1972 Lemmy übernimmt das Kommando. "Der Sänger war einfach hoffnungslos", sagt er. Für „Silver Machine“ stellt er sich also kurzerhand selbst ans Mikro - und kommt mit Hawkwind auf Platz 3 der UK Charts. In Österreich wird’s immerhin Platz 9, in der Schweiz geht’s ganz an die Spitze.
1975 Sein unkontrollierter Alkohol- und Drogen- konsum führt zum Rausschmiss bei Hawkwind. Lemmy gründet seine eigene Band und nennt sie nach dem letzten Song, den er für Hawkwind geschrieben hat: „Motörhead“
1980 Nach Chart-Erfolgen mit Songs wie „Bomber“, „Overkill“ und einer Cover-Version von „Louie Louie“ festigt das vierte Album „Ace of Spades“ den Kult-Status seiner Band. 1987 Lemmy schreibt die Musik für die Komödie „Eat The Rich“ und übernimmt eine Gast-Rolle.
2005 Motörhead gewinnen ihren ersten Grammy.
2010 „Lemmy“, die knapp zweistündige Film-Doku über Mr. Kilmister kommt in die Kinos.