"Ich habe 40 Jahre im Pop-Business überlebt"
Von Barbara Reiter
Er war der Schöne. Und das Biest? Über Dieter Bohlen und „ Modern Talking“ müssen wir mit Thomas Anders dringend sprechen. Mit Samtstimme und Wallemähne eroberte er Mitte der 1980er-Jahre Mädchenherzen. „You’re my Heart. You’re my Soul“ eben. Nun steht er in der Suite eines Wiener Hotels und sieht so ganz „Anders“ aus als früher. Die Wallemähne gibt’s nicht mehr, auch die Goldkette mit dem Namen seiner damaligen Frau Nora ist längst passé. Die Gegenwart heißt Claudia, mit der Anders seit 18 Jahren verheiratet ist. Und die Zukunft? Ist sein neues Album, für das er gerade Promotion macht. Anders hat sich als Solo-Künstler etabliert und ist auch als Moderator top. In seiner Sendung im ZDF geht es um Ahnenforschung. Um Forschung geht es bei uns auch: Anders-Forschung ...
Herr Anders, neue CD, neues Glück, wobei CD das falsche Wort ist. Musik ist heute meist nicht greifbar.
Ich tu’ mir immer schwer beim Wort Schallplattenfirma. Das gibt’s ja eigentlich nicht mehr. Sagen wir einfach neueste Veröffentlichung.
Sie heißt „Ewig mit Dir“. Das ist auch mein Lieblings-Song auf dem Album.
Was glauben Sie, warum das Album so heißt? Das ist schon ein toller Song. Er war auch der erste, den ich vergangenen September aufgenommen habe. Ich wusste zwar nicht, welche Songs noch kommen, aber als ich ihn eingesungen habe, sagte ich zum Produzenten: „Ich könnte mir gut vorstellen, dass das auch der Name des Albums ist.“
Ein bisschen kitschig klingt der Titel „Ewig mit Dir“ aber schon.
Ich finde, die Aussage „Ewig mit Dir“ hat etwas Besonderes. Man kann nicht genau greifen, was Ewigkeit ist. Sie hat keinen Anfang und kein Ende. Wie definiert man Ewigkeit? Das Thema hat mir gefallen.
Im Schlager geht es oft um die „heile Welt“. Erstaunlich, dass Sie im Text zu diesem Lied sogar einen Streit besingen.
Was viele vom Schlager lange abgehalten hat, war doch dieses permanent rosarote Denken und in den Sonnenuntergang reiten. Das Leben ist nicht nur schön. Streit ist gut, solange man Streitkultur hat. Man darf nur nicht so weit gehen, sein Gegenüber zu verletzen oder respektlos zu „bestreiten“. Aber streiten darf man.
Würden Sie sagen, dass Ihre Dispute mit Dieter Bohlen respektvoll waren?
Ich bin kein Streiter, aber wenn ich beschuldigt werde, für Dinge, die ich nicht getan habe, werde ich in eine Defensiv-Rolle gedrängt. Ich musste mich wehren. Sonst hätten die Medien gesagt: Da muss was dran sein, sonst hätte er sich gewehrt.
In Ihrer 2011 erschienenen Biografie haben Sie private Details Ihrer Ehe mit Nora thematisiert, zum Beispiel ihre Verschwendungssucht. Bereuen Sie das?
Das ist jetzt sehr persönlich und ich will auch nicht über die Interna berichten. Aber ich habe damals für das Buch nur zusammengetragen, was bereits öffentlich war. Ich habe auch mit allen Mitteln versucht, meine Ex-Frau verständlich zu machen. Sie hatte in Zusammenhang mit „Modern Talking“ nicht das beste Image und hat damals sicher einige Dinge falsch gemacht. Aber sie hat „Modern Talking“, wie es oft geheißen hat, nicht unbedingt zur Trennung gebracht. 2003 gab es nämlich keine Ex-Frau und „Modern Talking“ hat sich trotzdem getrennt.
Wie ist der Status quo mit Dieter Bohlen?
Die Medien leben davon, zu propagieren, dass ein erfolgreiches Duo auch befreundet sein muss. Wir hatten unser Arbeits-Verhältnis, haben uns respektiert und jeder hat sein Ding geleistet. Von den Medien wurde es immer als Freundschaft dargestellt, die es aber nie gegeben hat. Wenn ich mit jemandem nie eng befreundet war, kann ich mich folglich auch nicht streiten, um mich zu entfreunden. Wir haben eine ganz neutrale Ebene. Er macht seinen Job hervorragend, ich mache meinen sehr erfolgreich. Wenn es um das „Modern Talking“-Erbe geht, gibt es eine Korrespondenz. Man kann mailen, man kann mal telefonieren: Und das war’s!
Warum glauben Sie, dass Ihnen nach „Modern Talking“ eine Solo-Karriere gelungen ist? Andrew Ridgeley von „Wham“ etwa wäre ein Beispiel dafür, wo das nicht geglückt ist.
Ich glaube, dass die Historien von „Modern Talking“ und „Wham“ sehr unterschiedlich sind. Ich stand als Sechsjähriger zum ersten Mal auf der Bühne, wollte Musik machen und erfolgreich sein. Als ich 18 war, gab es einen Dieter Bohlen, der mich produziert hat. Was man von „Wham“ aus Erzählungen weiß, war Andrew Ridgeley ein Verkäufer, der berühmt werden wollte und den schüchternen George Michael deswegen gepusht hat, weil er ihn als Sänger gebraucht hat. Ridgeley selbst war kein Sänger, sondern wollte nur Karriere machen. Bei mir war ja nach dem Ende von „Modern Talking“ die Leidenschaft für die Musik nicht vorbei.
Es gab zwei „Modern-Talking“-Äras. Die erste von 1984 bis 1987, die zweite von 1998 bis 2003. Wie war sozusagen die Zwischen-„Modern-Talking“-Zeit?
Natürlich war es in der ersten Phase sehr schwierig, weil dieser Mega-Erfolg mit 60 Millionen Tonträgern über allem stand. Heute ist mein Rückblick darauf sehr entspannt. Ich habe die letzten 40 Jahre im Musikbusiness überlebt und gebe noch heute weltweit Konzerte. Ich würde vielleicht anders argumentieren, wenn ich danach nicht mehr Fuß gefasst hätte. Deshalb ist es subjektiv, was ich sage. Aber so ist mein Leben eben verlaufen und ich bin dankbar dafür.
Sie haben Ihre Karriere mit sechs Jahren begonnen und konnten einen Nachwuchswettbewerb für sich entscheiden. Hatten Sie je Gesangsunterricht?
Ich war einmal eine Stunde bei einer Gesangslehrerin, die mir beibringen wollte, wie man einen Ton richtig formt. Da hab’ ich zu meinen Eltern gesagt: „Ich geh’ da nie wieder hin! Ich weiß, wie man einen Ton formt.“ In der klassischen Musik ist das etwas anderes. Man muss die Töne aus der Stütze, dem Bauch und dem Zwerchfell herausbringen. In der Populär- Musik ist das eher hinderlich, weil die Stimme gekünstelt wirkt. Aber das ist gerade das Tolle an der Unterhaltungsmusik: Jede Stimme hat ihre Eigenart und darf nicht mit einer Technik angepasst werden.
Als der Erfolg von „Modern Talking“ begann, waren Sie erst 21 Jahre alt. Hatte man in dem Alter überhaupt die Reife, so eine Karriere zu verarbeiten?
Wenn man in diese Branche geht, sollte man grundsätzlich selbstbewusst sein. Sonst kommt es zu Abstürzen, wie man sie aus den Medien kennt. Aber die tiefen Täler, die man durchschreitet, machen einen auch stark. In unserer Geburtsurkunde steht nicht, dass unser Leben einfach ist. Deshalb müssen wir sehen, wie wir mit Rückschlägen fertig werden. Man muss – auch wenn es weh tut – analysieren, Kraft schöpfen und den Weg weiterführen.
Wie ist Ihre Analyse ausgefallen, als Ihre Solo-Karriere anfangs nicht lief?
Man muss mit sich selbst ins Reine kommen und sich fragen: Was ist wichtig? Eine Chart-Platzierung oder dass ich mich mag, ein tolles Umfeld habe und nicht am Hungertuch nage? Das sind Dinge, die den Blickwinkel auf die vielleicht zu diesem Zeitpunkt ungeliebte Situation ändern.
Ist Ihnen das Star-Leben jemals zu Kopf gestiegen? Sie hatten in den 1990er-Jahren so viele Groupies.
Ach, das sind doch immer diese Klischees. So viele Groupies gab es nicht.
Fast jedes Mädchen hatte Ihr Poster an der Wand hängen.
Das waren Fans. Groupies sind diejenigen, die versuchen, im Hotel den Portier zu bestechen, damit sie deinen Zimmerschlüssel bekommen. Das ist aber nicht meine Welt, da bin ich ganz ehrlich. Ich empfinde keinen Kick, mit irgendeiner Frau ins Bett zu gehen. Wenn ich mit jemandem sexuell zusammen sein möchte, brauch’ ich den Eroberungskampf. Mit dem Finger zu schnippen und zu sagen: „Mädel zieh dich aus!“, bringt mir gar nix.
Waren Sie glücklich als Star?
Die erste Phase „Modern Talking“ war sicher nicht die glücklichste Zeit meines Lebens. Man hat ja die Vorstellung, dass das Leben von Künstlern mit einem Nummer-eins-Hit nur aus Champagner, Partys, tollen Autos, Frauen und Reisen besteht. Hauptsächlich geht es aber um Arbeit, Arbeit, Arbeit. Man hat kaum Freizeit und wird von Fans und Fotografen verfolgt. Damals hat uns ein Fotograf täglich begleitet, weil wir ein Jahr lang in jeder Bravo waren. Dazu kamen Promos, Videos, Auftritte. Der Körper braucht irgendwann eine Auszeit, die es diese drei Jahre nicht gab. Als es dann mit „Modern Talking“ vorbei war, war ich ehrlich gesagt erleichtert. Die Einschätzung, dass meine Solo-Karriere nicht so erfolgreich war, wie ich es mir vorgestellt hatte, kam später.
Wie alt waren Sie damals?
Ich war zu dem Zeitpunkt 24. Damals saß ich auf einem großen Bauernhof mit 8.000 Quadratmetern Land mit einem Rotweinglas in einem riesigen Wohnzimmer vor einem altenglischen Kamin und dachte mir: War es das jetzt mit der Karriere? Okay, du bist ziemlich abgesichert finanziell, aber statistisch gesehen hast du noch 50 Jahre zu leben. In solchen Momenten werden die Weichen gestellt. Ich habe weitergearbeitet, weil ich Musik liebe. Im Endeffekt waren es dann fünf Jahre meiner 40-jährigen Profi-Laufbahn, die nicht so liefen. Danach ging es wieder bergauf.
Die Zeiten im Musikbusiness haben sich geändert. Was halten Sie von Musik-Shows, in denen Sänger durch Reifen springen und übers Feuer laufen?
Die Menschen wollen diese Rundum-Shows haben. Ich bin aber davon überzeugt, dass meine Shows einen anderen Dreh haben. Ich möchte mein Publikum, das Geld ausgegeben hat, um einen schönen Abend zu verbringen, mitnehmen auf eine Reise. Ich möchte Geschichten erzählen und nehme gerne den Dialog mit dem Publikum auf.
Wie viele Auftritte haben Sie absolviert?
Ich bin zwischen 7000- und 8000-mal auf einer Bühne gestanden und habe die Fähigkeit, das Programm zu leiten. Durch Reifen springen kann man lernen, aber die Königsklasse besteht für mich darin, im Rampenlicht zu stehen und ein paar tausend Leute zu fesseln. Das ist die hohe Kunst des Entertainments.
Wissen Sie, dass Sie einen durchdringenden Blick haben?
Da muss ich fairerweise sagen, dass das eine Technik ist. Ich kann sehr gut mit der TV-Kamera spielen. Es gibt Menschen, da hört der Blick vor der Kamera auf. Bei mir hat es den Anschein, dass ich durch den Bildschirm ins Wohnzimmer schauen kann. Für mich ist das der Ausdruck gelebter Musik. Ich fühle, was ich singe. Das kann vielleicht nicht jeder.
Vielleicht sind Sie deshalb auch als Moderator gefragt. Ihre neue ZDF-Sendung heißt „Du ahnst es nicht“. Glauben Sie, dass Ahnenforschung ein Thema fürs Fernsehen ist?
Wussten Sie, dass Ahnenforschung das drittliebste Hobby der Deutschen ist? Das weiß man nur nicht, weil es jeder im stillen Kämmerchen macht. Aber im Grunde interessiert es ja auch keinen, welche Vorfahren die Nachbarn haben.
Warum soll man sich Ihre Sendung dann überhaupt ansehen?
Weil sie hochfaszinierend ist. Man lernt viel über Geschichte. Was ich auch mitgenommen haben ist, dass hinter jedem Menschen eine Geschichte steckt. Manchmal ist sie gruselig, manchmal abenteuerlich und manchmal emotional.
Und Ihre Ahnen?
Das sehen Sie in der Sendung.
Sie tragen einen Siegelring. Womöglich sind Sie nicht nur Schlager-Pop-König?
95 Prozent der Menschen glauben, dass sie von einem Königshaus abstammen. Dann wären wir fast alle Königs. Den Ring hat meine Frau entworfen. Ein Ahnenforscher hat mir gesagt, dass man sich sein eigenes Wappen eintragen lassen kann.
Werden Sie das machen lassen?
Das geht nicht, weil meine Frau den Kreativfehler begangen hat, eine Krone einzubauen. Und das steht nur Königshäusern zu. Darum geht es aber nicht. Es ist ein Schmuckstück, das Zusammengehörigkeit symbolisiert. Wir tragen beide denselben Ring. Ich könnt’ nicht ohne.
EINFACH ANDERS
Thomas Anders, 55, wurde 1963 als Bernd Weidung bei Koblenz geboren. Als Kind gewann er einen Nachwuchswettbewerb und trat danach 300-mal mit Kinderliedern und Schlagern auf. Nach dem Abitur lernte Anders den Produzenten Dieter Bohlen kennen. Bohlen fand Gefallen an Anders’ Stimme und gründete 1984 mit ihm „Modern Talking“. Den ersten von fünf Nummer-eins-Hits landete das Pop-Duo 1985 mit „You’re My Heart, You’re My Soul“. Nach der Trennung 1987 kam es 1998 zu einem erfolgreichen Comeback und 2003 erneut zur Trennung. Seither ist Anders als Solo-Künstler erfolgreich. Er ist seit 2000 mit Claudia verheiratet und hat mit ihr einen 15-jährigen Sohn.
Das neue Album von Thomas Anders „Ewig mit Dir“ ist soeben bei Warner Music erschienen.