Leben

Happy Birthday, Willi Resetarist! Der "Kurtl" wird 70

Drei Dinge, die Willi Resetarits am besten beschreiben?
Erstens: Stimme.
Zweitens: Witz.
Drittens: Herzensbildung.

Ich fange mit Drittens an. Es hat einen Grund, warum Willi Resetarits, kroatischer Südburgenländer aus Stinatz, Bezirk Güssing, aufgewachsen am Humboldtplatz, Wien Favoriten, wohnhaft in Floridsdorf, Transdanubien, so beliebt ist wie das Christkind (und nicht etwa, weil er am 21. Dezember Geburtstag hat, in der längsten Nacht des Jahres): Man muss ihn einfach lieben.

Nicht nur, weil er mit den Schmetterlingen schon einmal in Deutschland berühmt war, bevor er als Ostbahn-Kurti auch in Österreich zur Kultfigur wurde. Auch nicht, weil er mit wechselnden Formationen bis heute hinreißende Auftritte hinlegt, davon gleich mehr. Es geht insgesamt weniger um die Außen- als die Innenwelt dieses besonderen Menschen.

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Sein Charme ist überwältigend. Sein Interesse an Menschen ist ein Reflex, den man nicht ausschalten kann. Er hat ein großes Talent zur Freundschaft, ohne diesen Muskel speziell trainieren zu müssen. Er kann  nicht zuschauen, wenn es jemandem schlecht geht und bindet sich mit einer Selbstverständlichkeit aufwendige Aufgaben um, wie die Flüchtlingshilfe oder die Gründung des Integrationshauses, weil es gemacht gehört und wenn es niemand sonst macht, machen es halt er und seine Freunde.
 

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Ostbahnmäßige Unschärferelation

„Der Resetarits tut etwas“, sagt voller Anerkennung André Heller über den Willi, der nur deshalb nicht von allen beim Vornamen genannt wird, weil sie nicht wissen, ob sie Willi oder Kurtl sagen sollen, sprich: ostbahnmäßige Unschärferelation.


Zweitens: der Witz. Bilden Sie einen Satz mit Finanzlandesdirektion.
„Ziagts den Delfin ans Land des Tier regt si ohnehin nimma mehr.“
Die Aufgabe stammt aus der Radiosendung „Trost und Rat“, mit der Willi Resetarits eine Brücke zwischen lautem Rock ’n’ Roll, Schüttelreimen und Caterina Valente geschlagen hat, und zwar so, dass die Zuhörer gar nicht merkten, dass hier Schlager gespielt wurden, die sie bestimmt pfui gefunden hätten, wenn sie nicht Willi persönlich einmoderiert hätte. Die durchaus fragwürdigen Songs wurden aber nicht nur witzig angesagt, sondern auch liebevoll: Musik, findet Willi Resetarits, ist ja immer auch eine Heimat, und Schlager sind die Heimat jener Menschen, die sie in ihrer Jugend im Radio gehört haben, tagaus, tagein, zum Beispiel er selbst, damals als Kind am Humboldtplatz in den Fünfzigerjahren. Weil er aber schon zuvor in Stinatz die Kunst des „Zuwesingens“ erlernt hatte, die Fähigkeit, jeder Melodie naturgemäß eine zweite Stimme hinzuzufügen, sang er gleich mit, wenn Frau Valente vergessen hatte, eine zweite Stimme auf ihre Platte mitzunehmen.
Allein, wie der Willi zu seiner Radiokarriere kam. Er saß in der Kantine vom ORF-Funkhaus, trank Gespritzte und erklärte dem stets reichlich vorhandenen Publikum, das im Funkhaus vorwiegend aus Radiomachern bestand, wie man Radio wirklich machen soll. Mit Studiogästen, die singen, Hörerpost, die der Briefträger bringt und ohne lästige Zeitbeschränkung.
Es hörte ihm dabei jemand mit Umsetzungsbefugnis zu, der Willi aus der Kantine loseiste und ins Büro des Intendanten eskortierte. Dort erzählte er alles noch einmal, dann hatte Willi Resetarits seine erste Radioshow, sonntags zwischen eins und zwei auf Radio Wien, samt der Lizenz zum Überziehen.
Rekord war, dass der arme Nachrichtensprecher die 14-Uhr-Nachrichten um 14 Uhr 40 ansagen musste.

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Schließlich erstens: die Stimme. Es wäre zu wenig, würde man sie charakteristisch nennen. Sie ist epochal, denn sie prägt ein langes, umfangreiches Kapitel der österreichischen Rockmusik. Vielleicht hilft es dem Verständnis nach, wenn man die musikalische Sozialisierung von Willi Resetarits mitverfolgt, von den kroatischen Volks- und Klageliedern, die er als Bub in Stinatz gelernt hat, über die Schlager, die in Favoriten aus dem Radio strömten, bis zu den Vorboten der Beatmusik, die er im Humboldtpark hörte, wo die Halbstarken batteriebetriebene Plattenspieler besaßen und die Single „Tuttifrutti“ von Little Richard so lange spielten, bis die Batterien den Geist aufgaben.
Willis älterer Bruder Lukas war der erste, der eine Band hatte, aber Willi zog bald nach. Mit Klassenkollegen gründete er 1965 „The Odds“ und spielte die Musik, die Mitte der sechziger Jahre wie ein Tsunami über das Land hereinbrach und zweimal pro Jahr die Musikgeschichte von Neuem umkrempelte.
Zuerst Beat-, dann Soul- und schließlich Folkmusik. Weil die Folkies der späten Sechziger die angenehmeren Typen waren als die coolen Beatmusiker, wechselte Willi Resetarits die Szene und gründete eine neue Band, deren große Stärke der Harmoniegesang war.  Die Band sollte „Zitronenfalter“ heißen, ein mittelmäßiger Witz über einen Studentenjob in der Limonadenfabrik, wo man vor dem Auspressen die Zitronen falten muss. Aber der Ansager im Folkclub Atlantis vermasselte es, indem er „irgendwelche Schmetterlinge“ ankündigte.
Das war die Geburtsstunde der Schmetterlinge, die bald über die traditionelle Folkszene hinauswuchsen, sich politisierten und spätestens mit der „Proletenpassion“ stilprägenden, geschichtsbewussten Folkrock machten – und als Studiomusiker den Chorgesang zu allen möglichen Austropop-Produktionen beisteuerten, von Waterloo & Robinson über Wilfrieds „Ziwui Ziwui“ bis zu André Hellers „E la nave va“.
Es lohnt sich, mit dieser Information noch einmal „Good old Hollywood is dying“ zu hören: Willis Auftritt als Soulshouter am Schluss des Songs entschädigt für den müden Rest.

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Die Schmetterlinge füllten in Deutschland große Hallen und waren die Hausband der gesamten linken Szene. Gleichzeitig traten sie aber auch in Musicals auf und fuhren für Österreich zum Song Contest. Sie oszillierten zwischen ergreifenden Politprogrammen mit Texten von Jura Soyfer und „Comedian Harmonists“-Parodien in ihrer „Beschwichtigungsshow“. Als Weltorchester Nr.1 machten sie auch Rockmusik, weil, wie Willi sagt, „das Rock’n’Roll-Herz noch nicht erlöst war“.
 Als ein Wiener Musikjournalist namens Günter Brödl bei Willi Resetarits anrief und ihn für einen practical joke gewinnen wollte, trat der Ostbahn-Kurti in Willis Leben, Stichwort: weiterführende Erlösung des Rock’n’Roll-Herzens. Brödl hatte eine Handvoll Rocksongs ins Wienerische übersetzt, dafür das Pseudonym Ostbahn-Kurti gewählt und wollte, nachdem besagter Ostbahn-Kurti schon in Anthologien und Theaterstücken aufgetreten war, nun ein Livekonzert veranstalten. Der Ostbahn-Kurti, für den sich Brödl schon eine lange Legende ausgedacht hatte, sollte dabei erstmals leibhaftig auf der Bühne stehen – und jetzt wollte Brödl von Willi wissen, welcher leibhaftige Musiker den Kurti wohl darstellen könnte. Willi hörte sich die Songs an, die Brödl auf einer C-60-Kassette aufgenommen hatte, las die Texte dazu, die er in einer dünnen Plastikmappe abgeheftet hatte, und gab dann die einzig mögliche Antwort: „Ich.“
 

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Es war ein bedeutungsvoller Moment, denn die muskelbepackte, etwas grobschlächtige Rockmusik, Günter Brödls außerordentliche Texte und die Stimme von Willi Resetarits, verschmolzen zu dem Amalgam, das den Ostbahn-Kurti ausmachte, wild, lyrisch, vorstadttauglich und voller Witz und Sehnsucht.
 Es gab ein legendäres Konzert im Schutzhaus am Schafberg, bei dem die erste Platte präsentiert wurde. Andere Konzerte waren weniger gut besucht, weil der Veranstalter vergaß, das Publikum zu informieren. Ostbahn-Kurti & die Chefpartie waren eine reine Spaßpartie, jeder einzelne Musiker verdiente sein Geld anderswo. Es machte allerdings allen so viel Spaß, dass neue Texte geschrieben und neue Platten aufgenommen wurden, und plötzlich, ohne dass sich etwas Gravierendes verändert hätte, kamen statt zwei- oder dreihundert Leuten tausend in die Konzerte oder zweitausend und der Ostbahn-Kurti war keine literarische, sondern wirklich echte Legende.

 Klar hatten auch die Liedermacher und Austropopper dieser Zeit charaktervolle Stimmen, aber wie Willi Resetarits die Lieder des Ostbahn-Kurti anlegte, war von einer ganz anderen Qualität. Nicht nur, dass seine Stimme allein den Rhythmus jedes Songs tragen konnte, ihr wohnte der ganze Schmerz und die Verheißung der Rockmusik inne, die Medizin, die jede Beschwerde für wenigstens drei oder vier Minuten heilen kann. Interessanterweise klingt der Ostbahn-Kurti, wenn man ihn aus einem offenen Fenster in der Reindorfgasse hört, nicht nach Wien, sondern nach Rockmusik in der Originalverpackung, etwas, was keiner anderen Band aus Österreich beschieden ist. Wenn ich also die Stimme von Willi Resetarits als epochal bezeichne, ist genau das damit gemeint: Sie ist nicht nur virtuos und musikalisch, sondern ganz und gar welthaltig.

 Ich lernte Willi Resetarits kennen, als der Ostbahn-Kurti gerade begann, mit Goldenen Schallplatten überhäuft zu werden. Das Treffen war wie aus dem Ostbahn-Kurti-Bilderbuch: Café Europa bei Tageslicht, eine Band, die schon ein paar Seideln Vorsprung hatte, ein Sänger mit Lederjacke, Sechstagebart und ungefähr einem Doppelliter Schlagfertigkeit unter dem Tisch. Es brauchte ein paar Seideln, weil ich mich ein bisschen vor der wilden Rockband fürchtete, bevor ich begriff: Aha. Stimme, Witz, Herzensbildung.

 Auf ziemlich vielen Konzerten erlebte ich dann, wie der Kurtl sein Publikum liebevoll unter Kontrolle hatte – „hengts ma kane Tian aus und speibts ma ned and Wand“ – und selbst die größten Massen, zum Beispiel die 17.000 beim Open Air auf dem Ostbahn XI-Platz, zu zartesten Momenten vereinte, er  selbst nennt die Intimität, wenn ein paar tausend Menschen zum Beispiel „Arbeit“ singen, diese grandiose Übertragung der Spring-steen-Ballade „Factory“ ins Wienerische, gern „zierlich“. Okay, zierlich.

Der Ostbahn-Kurti schaffte, was Rockmusik nur in ihren großen Momenten vermag: Seine Geschichten waren wahr. Sie waren deine Geschichte und meine. Der Kurtl erzählte sie so, dass sie jeder verstand. Als ich im letzten Sommer bei einem Klassentreffen der Ostbahn-Fans auf der Kaiserwiese war, berührte es mich zutiefst, wie die auch schon fünfundzwanzig Jahre älteren Ostbahn-Fans von damals noch immer jeden Song mitsingen können, textsicher und inbrünstig, weil keine Geschichte an Wert und Wahrheit eingebüßt hat.

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Der Ostbahn-Kurti wurde zum Massenphänomen, wechselte die Band, schlug neue, intimere Wege ein, dann starb im Oktober 2000, völlig überraschend, Günter Brödl mit nur 45 Jahren. Willi Resetarits gab darauf das Ende des Ostbahn-Projekts bekannt. Die Stille wird nur durch vereinzelte „Klassentreffen“ und „Pensionsvorsorgekonzerte“ unterbrochen, zu denen tausende Fans zusammenkommen, weil es, wie der Kurtl weiß, „nie zu spät für eine glückliche Jugend ist“.
 Willi Resetarits bekam also wieder Zeit für seine musikalische Neugier. Die Liste seiner Projekte ist so lang wie vielfältig (und schon gar nicht vollständig). Mit Wolfgang Puschnig sang er Jazzklassiker, mit dem Pianisten Rainer Keuschnig Lieder von Friedrich Cerha. Er gründete mit Salzburger Bergkameraden den Stubnblues und bekehrte Ernst Molden dazu, Lieder im Wiener Dialekt zu schreiben – Molden war Gast in Willis Radiosendung gewesen und hatte empathisch gefragt, ob er etwas für Willi tun könne. Willi hatte geantwortet: Schreib mir ein Lied. Molden schrieb die „Hammerschmidgossn“, sein erstes Lied im Wiener Dialekt. Das Lied markierte den Beginn einer neuen Schaffensperiode von Molden, an der Willi Resetarits seit zehn Jahren auch aktiv teilnimmt, als Mitglied der Viererbande  Molden Resetarits Soyka Wirth, die miteinander das Projekt einer emotionalen und poetischen Vermessung Wiens fortschreibt – und ansonsten ganz wunderbare Lieder zur Darbietung bringt.

Willi Resetarits wird heute siebzig. Sein Leben ist eine Geschichte der Zweiten Republik. Mitglied einer österreichischen Minderheit, Kindheit in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs, beseelt von der zuerst musikalischen, dann politischen Revolution der sechziger Jahre, Musiker, politischer Aktivist, Rockstar, Menschenfreund, Identifikationsfigur, ironischer Mahner und, immer wieder und in wechselnder Gesellschaft, berückender Sänger und Entertainer, auf der Bühne zu Hause und mit dem mildesten Lächeln ausgestattet, das zwischen dem südlichen Burgenland und Floridsdorf hergestellt wird. Wie sagt er selbst: „Ich glaube, ich bin glücklich.“ Nichts weniger hat er verdient.

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Die Konzerte
Willi Resetarits & seine Bands seit 1965

4. 1. 2019, Wiener Stadthalle, Halle F: THE ODDS 1965-1967, Ostbahn 1983-2003, Stubnblues ab 2004, String Fizz 2007, BasBariTenori 2009
5. 1. 2019, Wiener Stadthalle,
Halle F: Die Schmetterlinge ab 1968, Ostbahn 1983-2003, Resetarits-Puschnig Quintett – RP5 1999,
Molden, Resetarits, Soyka, Wirth ab 2009, Familienbande 2018

Autobiografie: Willi Resetarits: „Ich lebe gerne, denn sonst wäre ich tot“, CSV, 312
Seiten, 24,90 Euro