Schlussverkauf am Praterstern
Von Christian Seiler
Ich gehe die Praterstraße zweimal entlang, zuerst vom Praterstern Richtung Innenstadt, dann von der Innenstadt Richtung Praterstern. Der Blick Richtung Stadt ist prächtig. Die Straße ist breit, je zwei Fahrbahnen werden von einem begrünten Mittelstreifen getrennt, und die Häuser links und rechts geben der Straße ihre Façon. Die Praterstraße könnte, zieht man ihre Topografie in Betracht, ein prächtiger Boulevard sein, dem entlang man von der Innenstadt ins Grüne schlendert, vielleicht hier oder da an einem Kaffee nippt und aus einem der Geschäfte etwas Hübsches mitnimmt.
Aber was? Vom Praterstern aus gesehen stoßen hier Ein-Euro-Läden, außerirdische Modegeschäfte und Fitnesscenter aneinander, mehrere Läden, wo Muckibudenbenutzer ihr Kraftfutter kaufen, und zahlreiche Schnellimbisse, deren Angebot alles andere als vertrauenserweckend aussieht. Doch auf der drüberen Seite macht das Gasthaus „Hansy“ mit seiner gekachelten Fassade noch immer einen gastlichen Eindruck, und das „Supersense“ im Dogenhof ist vielleicht ein cooler Vorbote der Eroberung der Praterstraße durch kreative Geister.
Aber ansonsten sieht es hier, weit über den Nestroyplatz hinaus, nach Schlussverkauf aus, nach Zwischenzeit: nach einem Ort, der auf die Entscheidung wartet, was einmal mit ihm passieren wird, und der deshalb sicherheitshalber die Zweier-Panier angezogen hat, nicht die Feiertagswäsche.
Ganz anders präsentiert sich diese klassische Verbindung von ganz drinnen nach ganz draußen von der anderen Seite. Abgesehen von Jean Nouvels Sofitel-Turm, der den Eingang der Praterstraße landmarkmäßig einrahmt (und den ich wegen der bunten Decken von Pipilotti Rist richtig gern mag), sind hier nicht nur die Fassaden prächtig und die Trottoirs breit, sondern es hat auch ein Leben Besitz von der Praterstraße ergriffen, wie es der lebendigen Innenstadt einer Wanna-be-Weltstadt gut zu Gesicht steht. Das schickste Kleidergeschäft der Stadt von Frau Song, zwei großartige Lokale, Ansari und Mochi, Kunst, Mode, Verführungen, und natürlich das berührend schöne Haus auf Nummer 17, vor dem die Büste von Johann Nestroy Aufstellung genommen hat.
Ich mache eine Pause, um dem krispindeligen Nestroy mit seinem Hut unter dem Arm meine Reverenz zu erweisen und hole mir, um mich zu stärken, aus dem Take-away-Laden des Mochi ein Mochi, diese köstliche Süßigkeit aus Reismehl und Bohnenpaste.
Plötzlich gut gelaunt gehe ich weiter, lasse die Innenstadtidylle am Anfang der Praterstraße liegen und habe Nestroys Spruch im Ohr, der mich den abgerissenen Rückweg zum Praterstern in einem neuen Licht sehen lässt: „Warum soll die Gegenwart dem ihre Blicke schenken, der immer mit der Zukunft kokettiert?“
Gut gesprochen. Ich nehme die Praterstraße also, wie sie ist – und mag sie augenblicklich in ihrer urbanen Schäbigkeit, in ihrer Zwischenlösungsromantik. Und weil ich plötzlich so guter Stimmung bin, falle ich in die Aida auf Nummer 78 und gönne mir einen Vorstadtkaffee und den schönsten Faschingskrapfen, der in der Vitrine liegt.