Leben/Gehen

Drah di ned um

Ich gehe quer durch den Verteilerkreis Favoriten und bin beeindruckt. Rund um mich fahren in erstaunlich engem Radius erstaunlich viele Autos. Rechts von mir ragen die Flutlichtmasten des Stadions der Wiener Austria in den Himmel. Hinter mir liegt melancholisch das Sommerbad am Laaerberg. Direkt vor mir aber ist die eben erst eröffnete Station der U1 mit dem idyllischen Namen "Altes Landgut" in die Landschaft gewuchtet, ein glänzendes Gebäude aus Glas und Stahl, das über eine schwindelerregende Rolltreppe hinunter in die Unterwelt des öffentlichen Nahverkehrs führt.

Mit der U1, die bisher am Reumannplatz Endstation hatte, bin ich bis nach Oberlaa gefahren, um von dort zurück in die Stadt zu spazieren. Ich habe den Kurpark durchwandert und habe in der "Kurparkdiele" an einer Fritteuse mit weltrekordverdächtigem Duft geschnuppert. Ich saß auf einer Parkbank und betrachtete die Flieger, die sich hier tief und bombastisch im Landeanflug auf Schwechat befinden. Manche der Maschinen flogen so tief, dass ich mühelos erkennen konnte, zu welcher Fluggesellschaft sie gehörten. Ihr Sound war animalisch und laut, eine brutale Ergänzung zum Verkehrslärm, der von der Laaer-Berg-Straße herüberdrang.

Dann spazierte ich durch die Holzknechtstraße, wo schöne alte Gemeindebauten und feine Einfamilienhäuser Spalier stehen, und der Lärm schien zu versiegen. Ich freute mich an der Tatsache, dass die Kleingartensiedlung am Unteren Gaisberg den schönen Namen "Frohsinn" trägt – solche Klischees kommen sonst nur in Kabarettprogrammen vor – und holte mir beim "Multimarkt" einen türkischen Joghurtdrink, frisch und salzig.

Mir gefielen die Gasse und ihre heitere, friedliche Stimmung, bis ich das große Kreuz passierte, das an einen Bombenangriff im Jahr 1944 erinnert, bei dem an dieser Stelle 46 Menschen getötet wurden.

Von der Holzknechtstraße bog ich in die Endlichergasse ein, die zum Verteilerkreis Favoriten führt. Nach Süden fällt hier der großzügige "Volkspark Laaerberg" mit seinen alten Bäumen und weitläufigen Lichtungen ab. Im Skatepark gut gelaunter Betrieb. Ich konnte weit in den Süden Wiens schauen, trotzdem blieb mein Blick ununterbrochen an Laternenmasten und Verkehrschildern hängen, wo irgendwer Abziehbilder mit dem berühmten Gesicht von Falco angebracht hatte. Was hatte Falco hier verloren? Ich nahm die Bilder unter die Lupe und entdeckte eine Aufforderung, die ich sofort als sinnvoll erkannte: "Don’t listen to bullshit. Listen to Falco". Vienna calling: Aus dem Frieden Favoritens stieg ich ins Gemetzel des Verteilerkreises. Aufgerissener Asphalt, Reste der gewaltigen U-Bahn-Baustelle. Ich versuchte mir vorzustellen, wie dieser Platz einmal aussehen muss, um seinen Benutzern Spaß zu machen. Der Verkehrslärm hüllte mich ein, bis ich die lange Rolltreppe betrat und in den Schlund, in die Unterwelt hinunterfuhr, die der Künstler Yves Netzhammer mit Gesichtern ausgestaltet hat, von denen ich nicht weiß, ob sie mir gut gesinnt sind. Drah di ned um, denke ich mir, dann kommt auch schon die U1.

christian.seiler@kurier.at