Christian Seilers Gehen: Schneebrunzer und QAnon in der Donaustadt
Von Christian Seiler
Es ist immer wieder ein Erlebnis, die Alte Donau zu umrunden, und damit meine ich gar nicht unbedingt die zahlreichen Schwimmerinnen und Schwimmer, die ich dabei antreffe, wie sie bibbernd ihre formatfüllenden Körpertattoos ins Wasser verfügen, wo der Strand frei und die Alte Donau noch nicht zugefroren ist.
Klar, die Winterschwimmer nötigen mir fröstelnd Respekt ab, allerdings stören sie mit ihren lauten Rufen und spitzen Schreien auch empfindlich die Ruhe des Tages, so dass die Möwen, die weit draußen am Eis sitzen, aufschrecken, weil sie die merkwürdigen Haubentaucher mit dem bunten Federkleid nicht genau einzuschätzen wissen.
Ich gehe von der U-Bahnstation Alte Donau den Fischerstrand entlang, passiere die „Alte Kaisermühle“, eine der unzähligen Schiffsmühlen, die bis zur Donauregulierung hier ihr Werk getan hat und anschließend in eine Gaststätte verwandelt worden ist, ich bemerke mit feinem Näschen für tektonische Veränderungen, dass in die Baulücken und Brachen inzwischen Immobilienentwickler vorgedrungen sind, die ja längst keine „Wohnungen“ mehr bauen, sondern nur noch „Residenzen“ – angesichts der aufgerufenen Preise mehr als verständlich. Merkwürdig nur, dass der Augenschein meistens doch nur „Wohnungen“ hergibt, wenn überhaupt. Vor allem aber treffe ich Menschen. Nein, mir laufen nicht lauter Bekannte in die Arme, gar nicht, aber der Lockdown will es, dass jeder Spaziergang an einer einigermaßen belebten Stadtlandschaft einen tiefen Einblick in das Wienertum vermittelt, aufgeschreckte Möwen inklusive.
Wo die Kiwara spielen
Da die Wochenendausflügler von allen anderen Erdteilen fehlen, müssen wir uns derzeit eben mit unsereins begnügen, was, ich spreche dabei zuallererst über mich selbst, keine leichte Aufgabe ist. „Do spün de Kiwara“, erklärt ein Herr seinem Sohn angesichts der wunderschönen Polizeisportanlage auf dem Dampfschiffhaufen, die ich auf der „Brücke zum Polizeibad“ voll im Blick habe. Der Bub dreht den Kopf und nickt anerkennend, während es dem Vater ein Bedürfnis ist, ein präzisierendes Detail nachzuschicken: „De Trotteln ...“ Eine etwas größere Familienherde schiebt sich auf mich zu, keinesfalls coronakonform, und mir genügen wenige Sekunden, um mitzukriegen, dass die Herrschaften – jedenfalls die, die gerade den Mund offen haben – die Coronabestimmungen für „Bledsinn“ halten, nämlich für etwas, was „de se ausdenkt hom“, QAnon in der Donaustadt.
Ich frage mich angesichts der schwatzenden Paare, deren Wienerisch ich nicht gut verstehe, weil es zu viele kroatische oder slowakische Worte enthält, ob auch sie in diesem Augenblick der Muße verhandeln, wer einen besonderen Pascher hat oder längst einen „Tritt in Oasch“ verdient. Könnte sein, denke ich mir, während ich beim „Imbiss zum Seestern“ vorbeigehe, um in die lange Gerade „An der unteren Alten Donau“ einzubiegen. Dort kommen mir in reizvoller Winterlandschaft all die autochthonen Wiener entgegen, die mir Trottel, Vollweh, Schneebrunzer, freundlich zulächeln, wenn sie mich grüßen und angeregt schimpfend der Jause entgegenspazieren.
christian.seiler@kurier.at