Fotoband Paris: Die Liebe eines Flaneurs
Von Bernhard Praschl
Fotograf müsste man sein! Sind wir ja dank Smartphone alle irgendwie, aber eben doch nicht so richtig. Nur ein echter Fotograf erhält so einen Anruf: „Fahren Sie nach
Paris und beobachten Sie für uns die Modewelt.“ Damit das dann nicht ganz so banal rüberkommt, sondern authentisch, kriegt man Expertinnen zur Seite gestellt. Models, super Models. Ein hochgewachsenes Mädchen aus Kalifornien und „eine Blondine aus Dallas mit sagenhaften Beinen“.
Der Mann, der sich über diesen Auftrag freuen durfte, heißt William Albert Allard. In seiner Heimat, den USA, ist er seit fünfzig Jahren gut im Geschäft. Seine Reportagen über Cowboys bei der Arbeit und das zurückgezogene Leben der Amish People machten ihn zu einem Pionier der dokumentarischen Farbfotografie. Und zu einer Legende. Seinen vor zehn Jahren erschienenen Bildband „Portraits in America“ adelte Pulitzer-Preisträger Richard Ford mit einem Vorwort. Highlife schaut dennoch anders aus. So wie in Paris nämlich. „Seit meinem ersten Aufenthalt in Paris im Jahr 1986 bin ich die Stadt des Lichts verliebt", erwähnt Allard.
Man sieht es seinen Fotos an. Zwischen dem Eiffelturm und dem Montparnasse lebt der 1937 in Minneapolis, Minnesota geborene Haudegen augenscheinlich erst so richtig auf. Und dazu braucht es eigentlich nicht einmal viel, schon gar keine Models.
„Am liebsten schlendere ich umher und beobachte“, erklärt der Meisterfotograf seinen Tagesablauf in der Fremde. Besser geht’s nicht, oder? Natürlich muss man einen Blick für spektakuläre Motive haben, mit Optiken, Brennweiten sowie dem Umgang mit wechselnden Lichtverhältnissen vertraut sein und – ganz wichtig – auch auf den Zufall vertrauen. Besonders in Paris. Denn, so Allard, „von allen Städten, die ich kennenlernen durfte, beschert keine dem Besucher so viele glückliche Zufälle wie Paris.“
Schon alleine deswegen kehrte der Mann, der sonst mit seiner Frau Ani und zwei Hunden in Earlysville, Virginia lebt, immer wieder zu dem Fluchtpunkt aller Flaneure zurück. Ist wahrscheinlich auch kein Zufall, warum gerade Paris einen so legendären Fotokünstler wie Man Ray hervorgebracht hat.
Um das näher zu erklären, bemüht Bill Allard den US-amerikanischen Essayisten Edmund White. Der behauptete einmal, dass Amerikaner den Gehsteig, die Wohnung des Flaneurs, lediglich als anonymen Backstage-Bereich erachten, während er für Franzosen die Bühne des Lebens darstelle.
Die beste Sicht auf die Bühne Leben, das fand Allard bald heraus, hat man von einem der unzähligen Straßencafes oder Bistros aus. „Deren Terrassen mit ihren eng nebeneinander stehenden Tischen und Stühlen bieten dem Betrachter einen Logenplatz“, freut er sich.
Dabei kam ihm ein Umstand zu Hilfe, den er von den Weiten der Vereinigten Staaten so gar nicht kennt. „Paris ist eine Welt, die ganz auf die Betrachtung durch den Spaziergänger abgestellt ist, denn nur wer drauflosgeht, kann die überreichen Details wahrnehmen.“
Das Paris der Müßiggänger mit den schönen Besuchern von Vernissagen, den Verliebten in den Gassen und dem quirligen Studentenleben im Quartier Latin hat es ihm dabei besonders angetan. Und natürlich das Paris der Modewelt. „Ich fühlte mich wie in einem Wirbelsturm der Schönheit“, erinnert er sich. Allard blickte backstage Yves Saint-Laurent über die Schulter, beobachtete, wie er in höchster Konzentration einem Model unmittelbar vor dem Auftritt den letzten Schliff verlieh. Die gelungensten Bilder sind jedoch Aufnahmen von Situationen, bei denen Allard dem Zufall etwas nachhalf. Etwa jenes Foto, auf dem das Model Tanya Pohlkotte, „die Blondine aus
Dallas mit sagenhaften Beinen“, ihrem Freund, einem Collagekünstler, gegenübersteht. „Mich reizte die Vorstellung, wie Tanja in ihrem Minikleid, dunklen Strümpfen und schwarzen High-Heels auf den über den Boden verteilten Collagen stand, während Eduard einfach in einem Stuhl saß und sie betrachtete.“ Wie raffiniert! Ein Flaneur wird zum Voyeur und schaut einem anderen dabei zu.
Nicht der einzige glückliche Zufall, der ihm die Arbeitstage in Frankreich versüßte. Vor fünf Jahren beauftragte ihn
National Geographic, eine Fotostrecke über die Seine im Stadtgebiet von Paris zu machen. In den ersten Tagen bezog Allard im Hotel Les Rives de Notre-Dame Quartier. Die Adresse: Quai Saint-Michel 15. So ein Zufall! Denn bei einem ersten Rundgang entdeckte der frankophile Ami, dass Henri Matisse – „der Maler, den ich am meisten verehre“ – nur vier Häuser weiter, im Haus Nr.19, sei Atelier hatte.
Es gibt sogar ein berühmtes Gemälde von Matisse, das ebendort entstanden ist und ein Aktmodell auf einer Chaiselongue samt Blick auf die Seine zeigt – Atelier, Quai Saint-Michel 1917.
Dieser Zufall war für Allard ein willkommener Anlass, sich auf die Pirsch nach einem willigen Fotomodell zu machen. In einer Modemetropole wie Paris kein allzu großes Problem. Auf der Straße lernt er eine junge Frau kennen, die, wie sich herausstellt, eben auf dem Weg zum Schwimmbad ist – ins Joséphine-Baker-Schwimmbad! Im Vorwort zum prächtigen, in Baden bei
Wien entstandenen Bildband „Paris – Mit den Augen eines Flaneurs“, der drei Jahrzehnte seines Schaffens dokumentiert, hielt Allard fest: „Ich machte einige Teilakte von ihr, doch die Aufnahmen, die mir am gelungensten erschienen, zeigt sie in einem bequemen grünen Kleid. Durch das Fenster hat man genau dieselbe Aussicht auf Paris, die auch Matisse 96 Jahre zuvor abgebildet hatte.“
Dass
William Albert Allard nach 31 Jahren der wiederkehrenden Aufenthalte in Paris ausgerechnet im niederösterreichischen Baden landete, ist kein Zufall. Der Kurort bei Wien beherbergt mit der Edition Lammerhuber nämlich den mehrfach zum besten Fotobuchverlag Europas gewählten Spezialisten für Bildbände. Und dessen beiden Machern, Silvia und Lois Lammerhuber, war natürlich nicht verborgen geblieben, dass für ihr schon seit Langem gehegtes Paris-Projekt wirklich nur einer in Frage kommen kann – dieser sympathische amerikanische Gentleman mit dem Westener-Akzent, der so nebenbei auch als einer der renommiertesten Fotografen der Welt gilt.
„So hat man Paris noch nicht gesehen!“, zeigen sich beide begeistert vom Ergebnis. Und nach der nicht einfachen Auswahl der Fotos für den Bildband „Paris – Mit den Augen eines Flaneurs“ kündigt der achtzigjährige Ami an, vielleicht doch noch zum Franzosen zu mutieren. Allard: „Ich mag die Pariser, ohne Zweifel. Ich habe nie in der Stadt gelebt und musste mich nie ihren Herausforderungen stellen oder mich mit ihrer berühmt-berüchtigten Bürokratie herumschlagen. Vielleicht im nächsten Leben. Dann lebe ich in Paris und bin, wie ich gerne zu Freunden sage, noch arroganter als ich euch jetzt schon vorkomme. Aber ich sage das mit einem Augenzwinkern, denn ich halte die Pariser nicht für arrogant.“
"Eine Fotoausstellung ist wunderbar. Aber sie dauert meist nur einen Monat lang. Ein Fotobuch hingegen hat den Vorteil, dass die Bilder darin immer zu sehen sind."
Voila!
William Albert Allard: Paris – Mit den Augen eines Flaneurs,
244 Seiten, 123 Fotos, Hardcover, Leinen gebunden, Edition
Lammerhuber, € 59,-