Die Liebe zu den Störchen
Von Michael Horowitz
Untermieter, die auf dem Dach leben. Sommergäste, die die Altstadt beherrschen. Freunde, die immer wiederkehren. Sie gelten als Glücksbringer und sind Förderer des Fremdenverkehrs. Die Störche von Rust. Heuer ist der erste am 12. März gekommen. Und danach so viele wie noch nie. Beim 1995 gegründeten Storchenverein von Rust ist man begeistert, man freut sich über das beste Storchenjahr seit Langem. Dieser brütend heiße Sommer und kaum Regen brachte auch Vorteile: Für die 40 Jungstörche und 21 Brutpaare, die heuer in Rust zu Gast waren. Wenn es tagelang durchregnet, ertrinken die Babys im Nest. Dann werden sie von den Alten rausgeworfen, damit zumindest eines durchkommt. Heuer haben alle überlebt.
200 Störche gesundgepflegt
„Meine Storchenliebe hat früh begonnen“, erinnert sich Rudi Karassowitsch. Schon während er in die Schule ging. „Da war ein verletzter
Storch auf der Straße, er war vom Dach gefallen, ich hab´ ihn mit nach Hause genommen. Meine Eltern waren schon immer sehr tierliebend, wir haben dann den Storch gesund gepflegt. Später haben wir eine Pflegestation aufgebaut.“ Jedes Jahr helfen Storchenmutter Lydia und ihre Familie den klappernden Freunden: „Während der letzten drei Jahrzehnte haben wir mehr als 200 Störche umsorgt. Darunter gibt es auch Dauerpflegefälle wie Fußamputierte – die kann man nicht mehr auslassen.“
Beim Blick von der Spitze der Fischerkirche überprüfen die Storchenverein-Mitglieder genau, wie viele der Vögel in diesem Jahr gekommen sind und beobachten ihr Verhalten. Und erinnern mit ihren Feldstechern hoch über den Dächern der Altstadt ein wenig an
Konrad Lorenz. „Wir schauen, was passiert, wenn ein Partner stirbt, ob die Jungen weitergefüttert werden. Storchenpaare bleiben ewig zusammen. Sie verlieben sich nur einmal im Leben und paaren sich nie mit einem zweiten Storch. Daher beobachten wir, wenn einer stirbt, wie sich das zurückgebliebene Tier verhält“, erzählt Rudi Karassowitsch.
Ab Mariä Himmelfahrt, am 15. August, verlassen die eleganten Sommergäste Rust wieder. Vorher kreisen sie noch einmal einige Tage um die Stadt und probieren alle Tricks der Thermik aus. Sie sind mehr Segler als Flieger und nutzen Aufwinde wie Ballonfahrer oder Drachenflieger. Ihr Flug zum Winterquartier nach
Afrika, nach Mali oder Mauretanien dauert, nach einem Zwischenstopp in Südspanien, bis zu drei Monate.
Wenn man in Rust merkt, dass sie zu kreisen beginnen, dann sind alle Störche gleichzeitig in der Luft und fliegen wie einem geheimen Kommando folgend über Nacht weg. Am nächsten Morgen sind nur mehr vier zu sehen. „Die bleiben über den Winter da. Jene, die wir bereits seit fünf Jahren pflegen. Die Kälte macht den Störchen nichts, das Problem im Winter ist das fehlende Futter“, berichtet Lydia, „daher müssen wir die zurückgebliebenen über den Winter durchfüttern, mit Fischen und Fröschen, Mäusen und Würmern.“ Früher veranstaltete man für Touristen „Puszta-Fahrten“. Mit Boot und Kutsche. Zu Mittag von Rust nach Illmitz, von dort mit Pferdekutschen durch die magische Landschaft, dann ging’s zur wohlverdienten Stärkung in eine Puszta-Scheune und am Abend mit dem Motorboot wieder nach Hause.
Bereits 1957 hat
Herbert Vargyas sen. seine Bootsvermietung gegründet. Immer mehr Hobby-Kapitäne erkundigten sich später um ein Winterlager für ihre Boote, „derzeit betreuen wir zirka 180 Boote, darunter exklusive Segelyachten wie Sunbeam oder Jeanneau“, berichtet heute Sohn Herbert. Und immer wieder muss er auch Übermütige aus Seenot retten. Dann hört seine Frau einmal mehr „I bin scho´ wieder furt …“
Markus Wiesinger ist ein Original der Stadt. Ein Holzkünstler, der als Ein-Mann-Betrieb eine kleine Manufaktur betreibt. Aus alten, ausgedienten Weinfässern, die er den Winzern abkauft, produziert er seit zwei Jahren Unikate: Schneidbretter und Sushi-Stäbchen, Geldbörsen und Kochlöffel. Bald möchte er auch eine Handtasche bauen: Aus Akazienholz und Segeltuch. Die ältesten bearbeiteten Fässer sind aus den Jahren 1935 und 1937. Und ein Eichenfass von Feiler-Artinger, Pinot Noir, aus dem Jahr 1953. Schon als Bub hat Markus leidenschaftlich mit Matador gespielt und Holz geliebt – aus Akazienholz bastelt sich der kaum Zehnjährige Pfeil und Bogen. Holz zieht sich durch sein Leben: Nach einer Tischlerlehre arbeitet er in der Holzabteilung eines Eisenstädter Baumarkts. Jetzt verbindet er in Rust Handwerk mit Wein.
Nicht nur Schauspieler haben ihre Auftritte, sondern auch spektakuläre Kulissen Österreichs: Wie auf 3.000 Metern Höhe beim Spectre-James Bond in Sölden. Mit einem unbezahlbaren Werbewert von rund 100 Millionen. Dann kommen die Touristen: zum „Bergdoktor-Radwanderweg“ um den Wilden Kaiser, nach Gmunden ins Schlosshotel Orth, nach Kitzbühel, um sich auf SOKO-Spuren zu begeben oder ins Salzburger Land, um die „Stille Nacht, heilige Nacht“-Kapelle authentisch mitzuerleben.
Touristen sind Hauptdarsteller
Und ins Burgenland. An den Neusiedlersee. Nach Rust. Seit die erste Folge des „Winzerkönigs“ vor zwölf Jahren gesendet wurde, sind hier neben den Störchen die Touristen die Hauptdarsteller. 1681 erkaufte man sich in Rust den Status einer Freistadt. 62.000 Gulden und 500 Eimer (28.000 Liter) bester Beerenauslese opferten die Bürger dem von den Türken und aufständischen Ungarn bedrängten Leopold I. Es vollzog sich ein Wandel von in feudale Hierarchie eingebundener bäuerlicher Lebensform in die Freiheit unabhängiger, stolzer, selbstbewusster Bürger. Auch architektonisch: Giebelhäuser mit prächtigen Fassaden entstanden. Für Touristen von heute ein lohnendes Selfie-Motiv.
Susanne Michel, neben Harald Krassnitzer die Hauptdarstellerin der Erfolgs-Fernsehserie rund um den Winzerkönig, dessen Abenteuer weltweit – von Norwegen unter dem Titel Vinbaronen bis China – gesendet wurden, erinnert sich an ihr erstes Eintreffen in Rust. Vor vielen Jahren. An einem brütend heißen Sommertag: „Die Luft flimmert vor Hitze, und über allem der spezielle, leicht modrige Geruch des nahen Steppensees – hier werde ich viel Zeit verbringen. Wir wollen gerade unser Hotel betreten, Mooslechners Bürgerhaus, da hält ein Traktor an, ein stattlicher Mann in seiner blauen Arbeitsmontur. ,´I bin der Hermann und ihr seid’s die vom Film? Kennt’s ihr euch überhaupt aus mit Wein?’ Mein Versuch einer witzigen Antwort: ,Natürlich, es gibt weißen und roten’ wird mit einem matten Lächeln nicht einmal ignoriert: ,Du kommst jetzt glei´ amal mit!’ Und schon sitze ich neben ihm auf dem Traktor und hinaus geht’s in die Rieden. Der See still und weit, ein paar Segelboote und der Blick auf das malerische Städtchen. Es ist um mich geschehen. Hier fühle ich mich wohl ... Hermann Hammer und seine Frau sollten mir wie auch die Familien Feiler-Artinger und Mooslechner zu lieben Freunden werden.“
Rust, die kleine Stadt, hat viel Großes zu bieten: die alte Stadtmauer, der weitläufige Platz vor der Fischerkirche, verwinkelte Durchgänge und Gässchen, mittelalterliche und barocke Bürgerhäuser, Winzerhöfe und auf vielen Dächern die Störche. Einige der imposanten Holztore sind weit geöffnet und gewähren Einblick und Eintritt in das pannonische Lebensgefühl. Besucher werden auf ruhige, unaufgeregte Art willkommen geheißen, schon sitzt man mit einem Glas Wein in einem idyllischen, teils verwunschenen Innenhof, an mächtigen Steintischen, unter schattenspendenden Weinlauben, zwischen meterhohen Oleandern, alten Rosensorten, Hortensien und Feigenbäumen – und lässt den Herrgott einen guten Mann sein ... Stunden verrinnen gemächlich und der Rest der Welt scheint weit weg zu sein. Tiefe Entspanntheit, Entschleunigung. Balsam für gehetzte Stadtseelen. Reden mit Weinbauern, ein bisschen philosophieren über die Dinge des Lebens und – über das Wetter! Die Trockenheit, der Regen, der Hagel, der Frost und die alles entscheidende Frage: Wie wird der heurige Jahrgang?
Zurück ins Nest
Mein Rust. Nicht spektakulär, atemberaubend, nicht laut tönend Seht her, wie schön ich bin ... Für solche, die sehen und gesehen werden wollen, ist es der denkbar ungeeignetste Ort. Alle anderen jedoch werden wiederkommen, nach Hause. Zurück ins Nest.
Nach Rust. Wo früher auch von Rauchschwaden ständig umgebene Kaffeehausliteraten exotische Erlebnisse, Naturerlebnisse, erfahren haben. Wie Franz Werfel: „Hier bin ich das erste Mal der Natur begegnet. Das mannshohe Schilf war jetzt abgeerntet … schloß ich die Augen, war alles da wie im Mai und im Juni, wenn dichte tropische Dunsthitze über diesem gleichsam asiatischen Erdtiegel waltet … in giftgrünen Schilflücken sah ich den ägyptischen Ibis auf einem Bein stehn, denn nur am Nil und hier nistet er.“
KULTUR & GENUSS
- Jahrmarkt in der Altstadt 6. September 2018
www.rust.at
- Wein Winzer Wissenswertes. Kellerplausch, Weingut Storchenhof Widder 10. September 2018
- Wein Winzer Wissenswertes. Kellerplausch, Weinbau Wartha 17. September 2018
- Leinen los – Literaturfest auf dem Neusiedler See, Zwei Fahrten mit Lesungen und Weinverkostung, 23. September 2018
www.literaturhausmattersburg.at
- Ausstellung „The Value of Waterdrops“, 10 Jahre Kunsthaus Rust. Bis Ende Oktober www.kunsthausrust.at
- Ausstellung von Laura Chaplin Kremayrhaus - Stadtmuseum Rust bis 23. September
www.culturepublics.at
- Gans Burgenland Genuss Festival in Rust 12. - 14. Oktober 2018
- Ganslbuffet am Schiff 14. Oktober 2018
www.drescher.at
-Ruster Herbst Zeitlos Tage der offenen Kellertür 3. und 4. November 2018
- Jahrmarkt in der Altstadt 8. November 2018
- Martinikonzert Musikverein Rust, 17., 18. November 2018
- Ruster Adventmeile 23.11. – 23.12.2018
- Es wird scho glei roter! Jahrgangspräsentation, Rotweine 2017, 15., 16. Dezember, Bioweingut Schreiner
- Silvesterfischen der Hechtstutzer 31. Dezember 2018 Größte Weinschule Österreichs. Ganzjährig Veranstaltungen rund um den Wein, Verkostungen, Wine & More-Seminare, Weinschnuppertage, Winzerjahreskurse sowie Weinseminare.
www.rust.at