Leben

Der diskrete Charme der Côte d'Azur

„Bitte einsteigen, Madame“, sagt Pierrot, unser Fahrer, und schiebt die Tür des Kleinbusses derart lässig-elegant zur Seite, dass man glauben könnte, er öffne einem die Tür in ein besseres Leben. In so eines, wo das Champagnerglas immer voll ist und Cary Grant einen vom Nebensitz aus anlächelt.
Wir sind unterwegs in Südostfrankreich, an der Côte d’Azur. In Orten, die zwar nicht wie Cannes, Nizza und Monaco im Scheinwerferlicht des Medienrummels strahlen, aber längst mehr sind als die zweite Besetzung. Bieten sie doch, gerade mal einen Sidestep entfernt, den Blick von oben aufs Meer im Süden und auf die Seealpen (Alpes-Maritimes) im Norden, die bis zu 3.000 Meter in die Höhe ragen.
Es geht bergauf – auf der berühmten Grande Corniche. Jener Serpentinenstraße mit Aussicht, die aus „Golden Eye“ bekannt ist, als James Bond in seinem Aston Martin einem Ferrari nachjagt. Oder aus „Über den Dächern von Nizza“, dem 60 Jahre alten Klassiker mit Grace Kelly und Cary Grant. An dieser Mauer sind sie entlanggefahren, dort drüben nach der nächsten Kurve in die Parkbucht gefahren, und dann, mon dieu, hat sie ihn geküsst. Alle paar Meter könnten wir stehen bleiben und küssen, pardon, schauen. Spätestens in La Turbie auf 480 Meter Höhe ist es dann so weit. Hier ragt das römische Siegesmonument „Tropaeum Alpium“ in den Himmel – lässt den staunenden Archäologen fast vergessen, den Blick auch mal Richtung Süden schweifen zu lassen und auf Monacos Prinzenpalast und Monte-Carlo runterzuschauen. Kleine weiße Punkte cruisen auf dem Meer, sind gerade noch als Yachten zu erkennen, ein Kreuzfahrtschiff macht sich auf den Weg ins offene Meer.

Es bleibt nicht der einzige beeindruckende Ausblick auf dieser Tour der schönen Aussichtspunkte. Mindestens genauso imposant ist der Blick vom mittelalterlichen Bergdorf Èze, das nur elf Kilometer von Nizza entfernt liegt. Grace Kelly, Monacos ewig geliebte Fürstin Gracia Patricia (†1982), gibt es gemalt auf altem Gemäuer und natürlich auf Postern in den Galerien. Im Hotel Chèvre d’Or, der goldenen Ziege, der ersten Adresse am Platz zum Wohnen und Essen, empfiehlt der Kellner dann auch den Princess Cocktail. Ein Mix aus Bourbon, Grenadine, Obers und Granatapfelkernen. Chin-Chin, Santé – ein euphorischer Toast aus über 400 Meter Höhe Richtung Mittelmeer muss sein. In Sichtweite das Cap Ferrat, die Halbinsel der Superreichen zwischen Monaco und Nizza. Stars wie einst Lauren Bacall oder Jack Nicholson waren auch schon da. Und sind natürlich länger geblieben als einen Cocktail auf der Terrasse.

Das muss man sich erst einmal leisten können. Scheinen sich doch die Zimmerpreise an den Höhenmetern des Bergdorfes zu orientieren. Aber egal, auch die kleine Luxuspause nach dem Spaziergang durch das wohlriechende Dorf hat was für sich. Die meisten der 38 Zimmer sind übrigens über die verwinkelten Gassen des Dorfes verteilt. Hübsch, aber nicht immer direkt an der Rezeption, dem Pool oder dem Restaurant gelegen. Man teilt sich die gepflasterten Wege mit den Touristen, die schon auch mal als Reisegruppe unterwegs sind. Èze ist beliebt, nicht nur in der Hochsaison. Das Personal des Chèvre d’Or hat übrigens einiges zu tun in dem autofreien Dorf. Jede Wasserflasche, jeder Wein, jeder Champagner muss über steile Stiegen und enge Gassen herauf- sowie hin- und hergeschleppt werden. Beliefert werden das Hotel und seine Restaurants deshalb auch per Helikopter.

Èze besitzt übrigens einen paradiesischen Kakteengarten. Und das erinnert an die Fahrt nach Menton. Die Stadt liegt direkt an der Grenze zu Italien, dem östlichsten Punkt der französischen Riviera, wie die Côte d’Azur auch gerne genannt wird. Menton hat ein subtropisches Mikroklima, im Winter mild und vor scharfen West- und Nordwinden geschützt durch das Gebirge, im Sommer meist besonders verwöhnt von einer sanften Brise. Prahlen andere Orte mit 300 Sonnentagen im Jahr, Menton kommt sogar auf 316. Palmen, Zitronen- und Bananenbäume, Jasmin und andere exotische Pflanzen überstehen da locker den Winter. Auch ein Drachenbaum wächst unter freiem Himmel. Und Zitronen pflückt man hier direkt vom Baum.
Ein englischer Arzt sorgte im 19. Jahrhundert dafür, dass Menton zeitweise den Ruf als Kurort erlangte. Englische Gäste sowie russische Aristokraten kamen, um gesund zu werden, manche blieben für immer, auch wenn sich bald herausstellte, dass die hohe Luftfeuchtigkeit gar nicht so gesundheitsfördernd war wie gedacht. Paläste und Luxusvillen entstanden neben Parks und Gärten, die Engländer sind ja bekannt für ihren grünen Daumen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts kamen Reisende vor allem im Winter an die azurblaue Küste. Denn wer es sich leisten konnte, flüchtete aus den kalten, grauen Großstädten wie Paris und London. Der sagenumwobene Train Bleu brachte die betuchten Touristen mitsamt ihrer sperrigen Koffer damals erst im Oktober ins mildere Klima. Sommerbräune war einfach nicht gefragt. Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelte sich die Küste rund um Nizza zum Reiseziel im Sommer. Heute haben die meisten Hotels im Winter zu.
Die schönste Zeit für viele Touristen unseres Jahrhunderts ist der September. Mehr Platz, weniger Hitze. Wer sich jetzt auf den Weg macht, wird vielleicht bei Mauro Colagreco und seiner Ehefrau Julia einkehren, er gebürtiger Argentinier, sie Brasilianerin; gemeinsam haben sie in Menton das Restaurant Mirazur gegründet – natürlich mit Meerblick. Anfang November werden Mauro und Julia, seit kurzem auch Eltern eines Sohnes, wie jedes Jahr in Brasilien überwintern. So war zumindest der Plan, kurz bevor das Mirazur im Sommer an 11. Stelle der Top 50 Restaurants der Welt landete. Spätestens im März, wenn das berühmte Zitronenfest in Menton unter azurfarbenem Himmel über die Bühne geht, werden sie jedenfalls wieder da sein. Dann werden die Umzugswagen mit Zitrusfrüchten geschmückt sein und der Duft aus den Straßen Mentons wird aufs Meer hinausziehen.

Ein Ort, wo es genauso nach Zitrone duftet, aber auch nach Verbene, Jasmin, Lavendel und vielen anderen Nuancen, existiert in Grasse, der Welthauptstadt des Parfums. Auch Patrick Süskinds Romanfigur Jean-Baptiste Grenouille, der für die Herstellung eines außergewöhnlichen Duftes sogar tötet, treibt es hierher, in die alte Gerberstadt, in der die Verarbeitung von Tierhäuten im 17. Jahrhundert Haupteinnahmequelle war. „Die Häuser standen in manchen Vierteln so dicht, dass für die Durchlässe und Treppchen nur noch eine Elle weit Platz blieb“, heißt es in SüskindsParfum“. Und ja, diese Gassen gibt es. Doch wir wollen in eines der Parfum-Museen der 40.000-Einwohner-Stadt Grasse und landen bei Fragonard. Dort sollen wir unter Anleitung ein eigenes Parfum herstellen. Zur Verfügung steht eine Mischung aus drei Essenzen – herb, blumig und zitronig. Das ist absolutes Minimum. Ehrgeizige können einen richtigen Workshop buchen, mit mehr Essenzen, mehr Pipetten und mehr Zeit für die Eigen-Kreation. Meisternasen probieren übrigens nicht einfach drauflos, sondern tragen in ihrem Geruchsgedächtnis eine Idee spazieren, um sich dann an den Geruch heranzutasten. Die Ausbildung zur Nase in Grasse ist sehr angesehen und begehrt. Wer diese absolviert hat, sollte am Ende bis zu 3.000 Gerüche auseinanderhalten können. Nach dem Museumsbesuch ist man berauscht von guten Gerüchen und hofft, im Museumsshop, in dem die Verkäuferinnen Blümchenblusen tragen, Seife oder Parfum mit dem Duft zu ergattern, den man sich auch wirklich wünscht.
Wer Parfum als Mitbringsel möchte, sich aber weder für Süskind noch die Herstellung von Düften interessiert, fährt gleich weiter nach Saint-Paul de Vence. Gleich in der Nähe des Fragonard-Shops kann man dem provençalischen Boulespiel auf dem „berühmtesten Pétanque-Platz der Welt“ zuschauen. Yves Montand soll hier ganze Nachmittage seinen Auftritt mit den Boule-Kugeln gehabt haben. In weißem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Das mittelalterliche, romantische Künstlerdorf mit seinen gut erhaltenen Befestigungsanlagen aus dem 16. Jahrhundert rühmt sich zudem mit keinem Geringeren als Marc Chagall, der die letzten beiden Jahrzehnte bis zu seinem Tod, 1985, in Saint-Paul de Vence lebte. Der Maler hinterließ dem Ort einige Werke und liegt dort auf dem Friedhof begraben. Sein schlichtes Grab ist heute Pilgerstätte.
Was Chagall für Saint Paul de Vence, ist Pablo Picasso für Mougins. Der hatte die letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1973 sein Atelier hier, eine Viertelstunde von Cannes entfernt. Ein hübsches, aufgeräumtes Dorf, das wirkt, als wären seine Straßen gerade frisch aufgewaschen worden, keine Fassade blättert, nicht ein welkes Blatt ist in den Blumentöpfen vor den Häusern zu sehen. Selbst die rote Katze, die sich durch einen Eisenzaun schiebt, wirkt wie frisch geföhnt.
Mougins ist ein Ort, der Kunst und Kulinarik miteinander vereint. Insgesamt gibt es dreißig Galerien. Und an jeder Ecke, auf jedem Platz steht, schwebt oder hängt ein Kunstwerk. Restaurants gibt es noch mehr, und zwar die besten. Schon viele Stars und Prominente wurden vom guten Essen hergelockt, kehrten bei den Filmfestspielen für ein paar Stunden der Croisette den Rücken.
Auch wir lassen Cannes links liegen und fahren stattdessen nach Antibes. Und plötzlich pulsiert das Leben. Bis mittags hat der Markt geöffnet. Gegen Abend wird er zum Schanigarten – die Stände eingepackt, Stühle und Tische rausgestellt. Wir sind neugierig, schauen noch in die kleine schummrige Absinth-Bar unterhalb eines Shops beim Markt, in dem wir Olivenöl und Gewürze gekauft haben. An einem der Tische sitzen zwei Männer und eine Frau mit hoch auftoupierten blonden Haaren. Sie schweigen und rauchen, vor ihnen eine Karaffe mit Wasser, Gläser mit milchiger Flüssigkeit und eine Art Destilliergerät, das an Chemie-Unterricht erinnert. Hat es sogar gezischt? Ein bisschen schräg das Ganze. Lieber raus hier und doch weiter durch Antibes streunen.
An der nächsten Querstraße öffnet sich plötzlich der Blick aufs Wasser. Nein, es ist der Himmel. Azurblau. Und dahinter dann doch auch das Meer in der gleichen Farbe. Da ist er, der beste Blick auf die Côte d’Azur – in diesem Moment.

AUFESSEN
Restaurant l' Amandier Terrasse mit Aussicht Richtung Grasse, außerdem gibt es hier Kochkurse im Programm. Place des Patriotes, Mougins
www.amandier.fr


Mirazur
Essen im elftbesten Restaurant der Welt. Für den Blick aufs Meer Platz am Fenster reservieren!
30 Avenue Aristide Briand, Menton
www.mirazur.fr

AUSSCHLAFEN
Le Mas de Pierre
Luxus-Hideaway mit Park, Orchideenzucht und Kräutergarten. Rasen betreten erwünscht, Kinder gern gesehen. Ruhe gibt es auch. Urlaub mit Hund ist möglich.
2320 Route des Serres, Saint-Paul-de-Vence
www.lemasdepierre.com

Chateau de la Chèvre d’Or
Luxuriös wohnen in alten Mauern. Blick auf Cap Ferrat.
6 Rue du Barri, Èze Village
www.chevredor.com

Le Saint Paul
Im Künstlerdorf Paul-de-Vence romantisch schlafen und romantisch frühstücken. Nettes Fünfstern-Hotel mit Pomp. Relais & Chateaux.
86 Rue Grande, Saint-Paul-de-Vence
www.lesaintpaul.com


La Bastide Saint-Antoine
Verwunschener Park aus dem 18. Jahrhundert mit kostbaren Rosensträuchern und 5 Hektar Olivenbäumen. Im hauseigenen Shop gibt es Olivenöl aus eigener Produktion. Der Hauskatze auf dem Kanapee gefällt’s auch.
48. Avenue Henri Dunant, Grasse
www.jacques-chibois.com


AUSTRINKEN
Absinth Bar
Wer’s schräg mag, traut sich! Ein Blick in die winzige Absinth-Bar im Keller lohnt. Direkt am Marktplatz von Antibes. Rein in den Delikatessen-Shop und hinten rechts die Treppen abwärts.
25, Cours Massena, Antibes.

ANSCHAUEN
Musee d’Art Classique de Mougins (MCM)
Sehenswerte Kunstsammlung in ebenso sehenswertem Gebäude.
32 Rue Commandeur, Vieux Village de Mougins
www.mouginsmusee.com

Parfumerie Fragonard
Eintauchen in die Welt des Parfums, schauen & shoppen.
Rue Jean Ossola, Grasse,
Filiale in Saint-Paul de Vence, Shop & Museum auch in Èze,
www.fragonard.com

Noch mehr Infos:
www.relaischateaux.com
www.frenchriviera-tourism.com sowie Auskünfte bei Atout
France unter info.at@rendezvousenfrance.com oder  01/503 28 92,
www.rendezvousenfrance.com