Leben

Heinz Fischer: "Das Leben wird immer schön und immer schwierig sein"

Dienstag, zehn Uhr Vormittag. Heinz Fischer arbeitet auch zwei Jahre nach dem Ende seiner Zeit  als Bundespräsident in der Hofburg. Mittlerweile koordiniert er von seinem neuen Büro aus  das Gedenkjahr „100 Jahre Republik“. Ein Bücherregal, eine Sitzecke, ein Hollegha an der Wand, ein Schreibtisch, von dem sich Fischer zur Begrüßung erhebt: „Muss ich jetzt nachschauen, was für ein Termin das ist oder sagen Sie es mir?“ Wir sind hier, weil wir wissen wollen, wie Heinz Fischer, der 56 Jahre Politiker war, seine Zeit danach verbringt, was ihn beschäftigt und vor allem: Was für ein Mensch er ist.   Der Altbundespräsident beeindruckt. Er spricht druckreif, jongliert mit Geschichtsdaten, zitiert aus dem Stegreif Ovid – und wartet mit wachem Blick auf die erste Frage.

Herr Altbundespräsident, Sie hatten in Ihrem Leben sehr viele Aufgaben: als Politiker als Autor, als Vortragender. Man könnte fast ein Leben damit verbringen, Ihr Leben zu recherchieren.

Aber Sie haben einen anderen Beruf und das ist gut so. Ich habe meine Aufgaben und bin sehr zufrieden.

Trotzdem bleibt die Frage, wie man so viele Dinge in ein Leben packt.

Viele Menschen sind vielseitig interessiert.  Politik hat mich seit der Mittelschulzeit fasziniert. Ich wollte eigentlich Rechtsanwalt werden, wurde dann aber in die Politik engagiert und habe das nie zu bereuen gehabt. Ich bin immer gut behandelt und nie aus einer politischen Funktion hinausgeschleudert worden. Meine Mutter war dennoch bemüht, mir zuzureden, nicht von der Politik abhängig zu werden. Darum habe ich versucht, ein zweites Standbein zu entwickeln. Das ist mir mit der Habilitation an der Universität Innsbruck auch geglückt.

Politik alleine ist schon ein Fulltime-Job. Ihr Zeitmanagement dürfte stimmen.

Ich glaube, das haben mir meine Eltern beigebracht. Pünktlich zu sein heißt auch, auf andere Menschen  Rücksicht zu nehmen. Das hat aber nichts mit der Politik zu tun. Bruno Kreisky war keiner der Pünktlichsten und ich glaube, den Ruf als unpünktlichster Politiker weltweit hat der russische Präsident Putin. Wenn der mal pünktlich ist, kann das nur ein Irrtum sein.

Zu spät zu kommen kann auch bedeuten: Ich habe die Macht!

Das wäre mir unangenehm. Wenn irgendein Verkehrsstau, für den ich überhaupt nichts kann, mich hindert, pünktlich zu sein, macht mich das unrund. Ich möchte pünktlich sein und das gelingt auch in den meisten Fällen.

Einen Steinwurf von Ihrem Büro entfernt, ist die Präsidentschaftskanzlei. Werden Sie da manchmal wehmütig?

Ich schaue jetzt hinüber, während ich mit Ihnen spreche, aber nicht wehmütig.

Welches Fenster ist es?

Sehen Sie das Licht im ersten Stock? Das gehört zum Büro des Bundespräsidenten. Ich schaue gerne hinüber und wüsste wirklich  nicht, warum ich wehmütig sein sollte. Zwölf Jahre ist eine sehr lange Zeit.

Hat Sie Bundespräsident Van der Bellen schon zu sich eingeladen?

Öfters. Wir haben sehr guten Kontakt.

Wie nennen Sie ihn?

Schauen Sie, ich habe Alexander Van der Bellen Ende der 1960er kennengelernt, als wir beide an der Diskussion um die Hochschulreform teilgenommen haben und hatte mit ihm auch Kontakt, als ich Wissenschaftsminister war und dann im Parlament. Ich kenne ihn also sehr lange. Er sagt Heinz zu mir, ich sage in der Regel Sascha oder Alexander. In der Öffentlichkeit werde ich eher Herr Bundespräsident zu ihm sagen.

Apropos Heinz: Sie hatten als Bundespräsident einige Spitznamen wie Bundes-Heinzi oder Heifi. Fanden sie das nie respektlos?

Nein, ich glaube, man drückt Respekt heute anders aus. Ich habe jetzt Enkelkinder. Wenn ich ihnen erzähle, dass meine Großeltern in einer Zeit aufgewachsen sind, in der man zur eigenen Mutter noch Sie gesagt hat, sind sie ganz erstaunt. Die Gesellschaft hat sich, wenn man so will, demokratisiert, die Umgangsformen sind andere. Auch Regierungschefs reden sich nicht wie vor 40 Jahren mit „Herr Bundeskanzler“ oder „Mister Primeminister“ an. Sie sind von der ersten Begegnung an per Du. „Hello Sebastian!“ oder „Guten Morgen, Christian“. Zu mir sagen meine Enkelkinder nicht Opa, sondern Heinz.

Sie sind offenbar sehr tolerant.

Man kann heutzutage Respekt ausdrücken, indem man jemanden mit entsprechender Wertschätzung und Hochachtung behandelt. Da braucht es keine Titel oder übertriebenes Zeremoniell.

Ich hätte statt Stoffhose getrost Jeans zu unserem Treffen tragen können?   

Ich finde es zum Beispiel unangebracht, wenn man im Ruderleiberl ins Restaurant geht, aber ein Unterschied zwischen Jeans und Stoffhose wäre mir nicht aufgefallen.

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Was ist das für eine Figur dort drüben?

Das bin ich. Stermann und Grissemann haben mir das geschenkt.

Ihre Frau und Sie wurden während Ihrer Amtszeit als Präsident von den beiden in „Willkommen Österreich“ parodiert. War das nicht manchmal harter Tobak?

Keineswegs. Ich habe gelernt, dass Politiker, die karikiert werden, von denen beneidet werden, die nicht karikiert werden. Ich habe zu Stermann und Grissemann eine freundschaftliche Beziehung. Eine beleidigte Leberwurst hat in der Politik nichts verloren.

Wissen Sie, dass die Figur auch Herrn Van der Bellen etwas ähnlich sieht?

Das sehe ich nicht so. Aber man kennt sich selber so gut, dass man sich für unverwechselbar hält. Das ist meine Erfahrung. Mir ist beim Bergsteigen schon manchmal passiert, dass jemand gesagt hat: „Sie schauen aus wie XY“. Ich habe das nie als richtig empfunden.

Bergsteigen ist eines Ihrer größten Hobbys. Was gibt Ihnen das?

Es ist etwas Faszinierendes. Jeder, der einmal mit dem Phänomen Bergsteigen in Verbindung gekommen ist, weiß, wie einem das den Kopf freimacht, wie groß die Freude an der Natur und die Herausforderung an den Körper ist. Auch am Erreichen eines Ziels, des Berggipfels hat man seine Freude. Bergsteigen erzieht auch zu Verantwortungsbewusstsein.

Verantwortung haben Sie im Fall Taras Borodajkewycz gezeigt. Der  Hochschulprofessor ist in  den 1960ern in Vorlesungen durch nationalsozialistische Aussagen aufgefallen. Ihr Freund Ferdinand Lacina schrieb als Student alles mit und gab es zur Veröffentlichung an Sie weiter. Obwohl Sie verurteilt wurden, gaben Sie Lacinas Namen nicht preis. Hatten Sie keine Angst um  Ihre Karriere als Sekretär im SPÖ-Parlamentsklub?

Sie hätten auch den Menschen nicht  preisgegeben, der womöglich durch die Nennung seines Namens das Studium nicht hätte beenden können. Ich hätte die Mitschrift von Ferdinand nicht entgegennehmen müssen. Aber wenn man es tut und damit argumentiert, muss man Grundregeln einhalten: es vertraulich zu behandeln. Ich bin zwar vom Bezirksgericht verurteilt worden, das konnte meine Karriere aber nicht gefährden. Nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens bin ich freigesprochen und rehabilitiert worden.

Das zeugt von  Charakter.

Das ist lieb von Ihnen. Und jetzt kommt der nächste Punkt. 

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Im August haben Sie auf Ö1 die Geschichte der 1. Republik nacherzählt. Damals gab es eine Spaltung in der Gesellschaft, die heute wieder  spürbar ist. Wie beurteilen Sie, was zuletzt in Chemnitz passiert ist?

Ich empfinde großes Unbehagen und glaube, dass uns das alle  beschäftigen muss. Man muss nicht in Alarmstimmung verfallen, aber so etwas wie in Chemnitz wäre vor 20 Jahren in Deutschland nicht möglich gewesen. Und es ist nicht nur ein deutsches Phänomen, dass nationalistische und egoistische Tendenzen zunehmen, es ist ein europäisches.  

Unter  Rechtsradikale haben sich auch ganz  normale Menschen gemischt, die einfach Angst haben. Muss  man diese Angst nicht ernst nehmen?

Man muss sie ernst nehmen, sehr ernst sogar, aber man darf Angst nicht noch schüren aus Sensationslust – oder aus politischer Berechnung Hysterie erzeugen. Dass die Gemeinschaft den Schutz der Bürger wahrnimmt, ist ja das Ziel eines demokratischen Staates. Jemandem, der einfach Angst hat, stehe ich mit größter Sympathie und Verständnis gegenüber. Aber es gibt auch jene, die aus rabiatem Nationalismus unsere Gesellschaft beschädigen. Diese Dinge muss man auseinanderhalten. Der demokratische, rechtsstaatliche, vernünftige Mainstream in der Gesellschaft muss gestärkt werden.

Was ist mit den Angriffen beim G20-Gipfel in Hamburg aus dem linksradikalen Milieu?

Das gilt für linksextrem und für rechtsextrem. Ich kann mich auch erinnern, dass in den 1970ern viele Menschen in Deutschland vor der sogenannten Rote Armee Fraktion (RAF) Angst gehabt haben und vor Leuten, die auch vor Mord und Terror nicht zurückgeschreckt sind. Das war die Zeit, als Helmut Schmidt Bundeskanzler war. Er hatte damals alle Hände voll zu tun, mit den  Problemen zurechtzukommen. Heute haben wir alle Hände voll zu tun,   mit nationalistisch-rassistischen Aggressionen fertig zu werden.

Glauben Sie, wir müssen uns vor der Zukunft fürchten?

Es ist ein psychologisches Phänomen, dass der Mensch die Vergangenheit, die er „bewältigt“ hat,  tendenziell positiv und die Zukunft, die er nicht kennt, eher pessimistisch sieht. Schon der Dichter Ovid war vor mehr als 2000 Jahren der Meinung, dass das Goldene Zeitalter  hinter ihm liegt und seither gehe es bergab.

Wagen Sie eine Prognose.

Die gesellschaftliche Entwicklung lässt sich nicht prognostizieren wie ein naturwissenschaftliches Phänomen.  Es ist aber ein Faktum, dass sie ihre Auf und Abs hat. Ich kann nur hoffen, dass aus österreichischer Sicht, der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg und vieles, was dann geglückt ist, so eine positive Phase ist. Momentan ist manches aus verschiedenen Gründen unübersichtlich. Aber ich bin deswegen kein Pessimist. Ich glaube dennoch, dass die pluralistische Demokratie mehr Lebenskraft hat als eine Diktatur.

Was macht Sie da so sicher?

Im 20. Jahrhundert gab es Wechsel von der Demokratie zur Diktatur und umgekehrt. Aber die Wechsel von der Diktatur zur Demokratie waren viel häufiger. Die Hitlers, Stalins und Mussolinis sind alle widerlegt durch die Geschichte. Auch, wenn Demokratie nicht in Stein gemeißelt ist, hat das  21. Jahrhundert gute Chancen,  die  vorherrschende Regierungsform in Europa zu bleiben, auch wenn es Rückschläge geben wird. Das Leben wird immer schön und immer schwierig sein. (Heinz Fischer schaut auf die Uhr)

Noch fünf Minuten?

Auch zehn.

Stört es Sie eigentlich, dass die Verweildauer von Politikern in ihren Ämtern  immer kürzer wird?

Stören tut es mich nicht, ob es für die Arbeit nützlich ist, wage ich aber zu bezweifeln. Von 1945 bis 1966 gab es die Große Koalition mit vier Bundeskanzlern. Wenn man von heute 21 Jahre zurückrechnet, sieht das anders aus. 1997 war noch eine Große Koalition unter Vranitzky im Amt, dann kam Klima. Ab 2000 die ÖVP-FPÖ-Regierung Schüssel, ab 2006 die Regierung Gusenbauer, dann Faymann, dann Kern und seit Ende 2017 die Regierung Kurz. In den jüngsten 21 Jahren hatten wir also vier verschiedene Regierungskonstellationen mit sieben verschiedenen Bundeskanzlern. Und mit jedem Regierungswechsel ist ein Wechsel vieler weiterer Personen verbunden.

Was werden Sie tun, wenn das Gedenkjahr „100 Jahre Republik“ zur Neige geht?

Ich bin gut beschäftigt mit dem Ban Ki-moon Centre, mit meiner Funktion als Präsident des Verbandes der Volkshochschulen und als Präsident am Institut für die Wissenschaft vom Menschen. Ich verspreche Ihnen, dass mir nicht langweilig werden wird.

Jetzt ist es Zeit für einen letzten Satz.

Es hat mir Freude gemacht, dass wir ein gutes, interessantes Gespräch geführt haben und wünsche Ihnen alles Gute.

Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Altbundespräsident.