Cool wie Liverpool: Zu Besuch in Pop-City
Von Bernhard Praschl
George Harrison, der Romantiker unter den Beatles, nannte sie „Old Lady“. Als „pool of life“ pries der Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung die Hafenstadt im mittleren Westen Englands. „Und was sagt ihr zu Liverpool?“, fragt uns Albert, der Chauffeur eines klassischen britischen Taxis, das uns an unserem letzten Abend zum Hotel bringen soll. Na, was wohl? „Liverpool ist cool.“
Und wie! Sogar im wörtlichen Sinn. Denn wenn hier der Wind weht, und das macht er eigentlich ständig, friert man rasch bei fast winterlichen Temperaturen. Kein Problem für einen echten „Liverpudlian“, wie die zwischen knorrig und schrullig changierenden Bewohner der 500.000-Einwohner-Metropole genannt werden. Die männliche Hälfte Liverpools läuft dabei nicht nur in kurzen Hosen herum, wenn der FC Liverpool – nach den Beatles der zweite Stolz der vor 800 Jahren gegründeten Stadt – aufspielt. Fremde Länder, fremde Sitten.
Eines ist jedenfalls einzigartig: Keine Stadt der Welt trägt ihre Musikgeschichte so stolz vor sich her. Okay, Memphis, Tennessee vielleicht. Aber dort konzentriert sich alles auf eine einzige Person – Elvis. In Liverpool, dem Mekka des Pop, ist hingegen Platz für eine Vielfalt, wie sie einfach nur Freude bereitet.
Das Mekka des Pop
Fährt man mit der Fähre über den Mersey River, schallt im Lautsprecher die lokale Hymne „Ferry Cross The Mersey“ von Gerry & The Pacemakers aus den Swinging Sixties. Macht man einen Abstecher zur Mathew Street, also dorthin, wo sich mit dem Cavern Club der Hotspot der Beatles-Karriere befindet, trifft man sowohl auf charismatische Straßenmusiker als auch auf großartige Beatles-Coverbands.
Gleich mehrere Bus- und Walking-Touren – darunter sogar eine Free Tour – klappern Liverpool nach den Wohnhäusern, Karrierestationen und Songtexten von John, Paul, George & Ringo ab: etwa die schmale „Penny Lane“ mit dem berühmten Friseurgeschäft oder „Strawberry Fields“. So lassen sich die bekannten Klassiker neu entdecken. Vertraut man dazu den Tipps der Einheimischen, eröffnet sich der Blick auf so manche Überraschung quasi in der zweiten Reihe. Etwa das Liverpool Pub hinter den drei Grazien, den „Three Graces“, die architektonischen Juwele der Stadt, von denen das Cunard Building einst die legendäre Reederei der Titanic beherbergte.
Albert, unser Taxler, verspricht: „Für ein Bier oder einen Drink ist das Liverpool Pub genau das Richtige.“ Stimmt. Jede deutschsprachige TV-Talenteshow wäre happy, über eine Kneipe wie dieses Pub. Dabei wird hier gerade einmal nichts von den berühmtesten Söhnen der Stadt ins Mikro geträllert, sondern von einem Kollegen aus London – David Gilmour von Pink Floyd.
Musik, yeah!, sie ist hier auf Schritt und Tritt nicht nur zu hören, sondern ebenso spürbar und sichtbar. Und dabei ist es auch ganz egal, dass der Höhepunkt der Beat-Ära längst überschritten ist.
In den vergangenen zehn Jahren, seit Liverpool 2008 zur Europäischen Kulturhauptstadt gekürt wurde, hat sich die alte Dame neu erfunden. Das weitläufige Albert Dock, die aufgefrischten Backsteinbauten beim Hafen, die zuvor als Magazine oder Werften dienten, beherbergen das Beatles Story-Museum, Galerien – sogar eine Filiale der weltberühmten Tate Gallery aus London –, ein Beatles-Hotel, Beatles-Shops, zahlreiche Restaurants und Cafés. Alt und Neu gehen hier gut zusammen. Überraschend gut. Die rosaroten Ziegelmauern mit den üblichen Glasstahlbeton-Bauten ums Eck ergeben ein gelungenes Crossover aus Kunst und Kommerz.
Dann sind da noch die Kirchenhäuser der Stadt, unter anderem die voluminöse Liverpool Cathedral, die auf dem Hügel St. James’ Mount das Häusermeer überragt, und die St. Peter’s Church im grünen Stadtteil Woolton. Diese hat gleich zwei Mal Beatles-Geschichte geschrieben. Zum einen haben sich hier im Juli 1957, bei einem Kirchenfest im Garten, die halbwüchsigen Schüler John Lennon und Paul McCartney überhaupt erst kennengelernt. „Und zum anderen“, erklärt Beatles-Tour-Guide Toni, als wir im roten Doppeldeckerbus vorbeirauschen, „befindet sich hinter der Kirche das Grab von Eleanor Rigby." Wo genau, erkennt man sofort. Denn der verwitterte Stein ist eigentlich immer mit frischen Blumen geschmückt.
„You never walk alone“, der Schlachtruf des FC Liverpool, ist auch auf dem Gottesacker wörtlich zu nehmen. Es kommt nämlich so gut wie niemals vor, dass sich hier jemand einer Sehenswürdigkeit solo nähert. Auch beim Flanieren durch Chinatown ist die Tuchfühlung mit anderen Touristen unvermeidbar.
Eingeengt fühlt man sich trotzdem nicht. Denn Liverpool gibt sich so weltoffen, wie es auf Grund der Hafenlage im Zuge der Jahre geworden ist. Ein Schmelztiegel der Kulturen eben.
Hier befindet sich auch die größte chinesische Gemeinde Europas. Ein gigantischer Torbogen auf der Nelson Street signalisiert deren Bedeutung. Dementsprechend viele Besucher finden auch den Weg dorthin, wo so authentisch aufgetischt wird wie in Shanghai.
Dazu passt, dass in diesem Stadtviertel vorwiegend Chinesisch gesprochen wird. Egal. Denn der Dialekt der Liverpudlians, das sogenannte Scouse, klingt so eigenartig, dass wir uns auch mit guten Englischkenntnissen wie an einem ganz exotischen Ort vorkommen. Und das mit Freude. Denn wer einmal hier war, verlässt diese Stadt mit einem Beatles-Song im Ohr: „Get Back“. Bald. Denn, wie heißt es noch: „Es ist leicht Liverpool zu finden, aber viel schwerer, es wieder zu verlassen!“
Liverpool-Info
anreisen
Via Manchester: Es muss nicht unbedingt der John Lennon Airport in Liverpool sein. Denn der wird bevorzugt von easyJet und Ryanair angeflogen. Aber nicht von Wien aus. Also Austrian. Diese Linie fliegt Manchester an (ab € 119). Von dort per Zug oder Bus etwa noch eine Stunde bis ins Mekka der Beatles-Fans.
schlafen
Hard Days Night Hotel - für den betuchten Beatles-Fan: 110 Zimmer und Suiten mitten im Zentrum bereiten ein echtes 4-Stern-„Fab Four“-Erlebnis. Vom „New Blakes Menu“ bis zum „All you need is Love“-Package. Und der Cavern Club ist gleich um die Ecke. Zimmer ab €180.
Hotel Indigo Liverpool: Gleich hinter den „Three Graces“ gelegen; sind es nur ein paar Minuten zum Museum of Liverpool und dem Albert Dock. Das Interieur huldigt der reichen textilen Tradition der Hafenstadt; ab € 110.
Essen
The Art School. Elegant, einfallsreich, einzigartig. Knallige Stühle und ein riesiges Glasdach weisen schon darauf hin, dass hier das Speisen durchaus Pep, äh, Pop hat.
Marco Pierre White. Der hochdekorierte Koch unterhält ein chices Steak-Restaurant im Hotel Indigo. Zuvorkommendes Service und gut gewählte Musikauswahl.
sehen
International Slavery Museum: Sehr eindrucksvoll und auch beklemmend: Dieses Museum beim Albert Dock scheut nicht davor zurück, den Zusammenhang
zwischen dem Reichtum der einen Welt und der Ausbeutung der anderen zu zeigen.
www.liverpoolmuseums.org.uk
Museum of Liverpool
Sie hockt auf dem Dach des "Liver Building“ und in einer Vitrine des Museums: die sagenumwobene Figur des „Liver Bird“, des Wahrzeichens Liverpools.
Noch bis zum 3. November gibt es im Museum of Liverpool die Pop-Schau "Double Fantasy" zu sehen, eine Ausstellung, die völlig in der Beziehung Yoko Ono & John Lennon aufgeht.
Gezeigt werden neben Plattencovern und Notizzettel mit handgeschriebenen Songtexten etwa eine fast raumgreifende Installation des „Bed-In“ von John Lennon & Yoko Ono in Amsterdam, 1969, Lennons legendäres „New York City“-T-Shirt und einige unterschiedlich getönte Brillen aus dem Besitz des Musikers.
Zu sehen ist auch die Green Card, mit der John Winston Ono Lennon am 27. Juli 1976 offiziell die permanente Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in den USA erhielt.
Berührend: Ein Video zeigt ein langes Interview mit John Lennon und Yoko Ono während eines ausgedehnten Spaziergangs durch den Central Park. Nur sechs Tage danach wurde Lennon am 8. Dezember 1980 vor dem Dakota Building in New York von Mark David Chapman ermordet.
Verspielt: In einer Ecke ist ein Tisch samt zwei Sesseln mit dem von Yoko Ono erfundenen Schachspiel ausgestellt. Seine Besonderheit: Alle Figuren sind weiß.
Neben handgeschriebenen Songtexten sowie Cover-Zeichnungen ist ebenso ein Stapel mit kleinen Kärtchen ausgestellt. Auf ihnen steht nur ein einziges Wort: „Breathe“ (Atme“). Diese Karte drückte die in Europa noch relativ unbekannte japanische Konzeptkünstlerin Yoko Ono am 9. November 1966 einem jungen Mann in die Hand, als er die Galerie Indica in London betrat – John Lennon.
Noch mehr Liverpool-Lektüre: Frühmorgens spaziert ein Mann durch die Straßen. Bei einer Kirche trifft er eine scheinbar unbekannten Frau – Eleanor Rigby ... „Mit John Lennon durch Liverpool“, Katharina Riedl, Verlag Traveldiary, 128 Seiten, 9,95 €