Leben

Blatt um Blatt: Das ist die beste Lektüre für lange Herbstabende

Spannend

Ernst Geiger, Heimweg

Als Kriminalinspektor hat man eine gewisse Nähe zu Krimis, eh klar. Aber wenn er so weiter schreibt, kann sich Ernst Geiger (Foto oben) bald mit den besten Autoren dieses Genres messen. Der einstige Chefermittler der Wiener Kripo verarbeitet seine „Lehrzeit“ bei den „Favoritner Mädchenmorden“ mit 1a-Ware.

Von der Disco Azzurro mit den Pet Shop Boys aus den Lautsprechern über die schrecklichen Taten rund um die Per-Albin-Hansson-Siedlung bis zur Gerichtsmedizin in der Sensengasse ist man den Achtzigern ganz nah. Atmosphärisch dicht und dramatisch bis zum düsteren Finale, Ernst Geiger: „Österreich ist das einzige Land der EU, in dem jährlich mehr Frauen als Männer ermordet werden“ (edition a, 352 Seiten, 16 €).

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Dave Eggers, Every

Schon in „Der Circle“ nahm er ein großes Internetunternehmen ins Visier, jetzt setzt der engagierte US-amerikanische Autor ("Zeitoun", "Ein Hologramm für den König") eines drauf: Er schleust mit Delaney Wells eine ehemalige Försterin in den Tech-Monopolisten Every ein, um die Riesenfirma von innen heraus zu zertrümmern.

Allein die Beschreibung, wie Delany "ihr digitales Selbst" aufbaut, schreit nach einer Verfilmung. Womit die Heldin aber nicht gerechnet hat: Es schaut ganz danach aus, als wolle keiner ohne Every leben. Spannend bis zum Schluss (KiWi, 592 S., 25 €).

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Witzig

Christopher Wurmdobler

Die Pet Shop Boys kommen auch hier vor, als Motto - weil es gar so zugeht. Ex-Showgirl Evi verirrt sich nach einem Anflug aus Frankfurt in Schwechat auf die Mittagsmaschine nach Moskau, Schwarzhändler Tim macht einen Vierkanthof zum „Queerkanthof“, der 9-jährigen Beatrice fallen in der Lobby des 2-Stern-Ferienhotels bessere Spiele ein als ein Gameboy hergibt.

Dazwischen klirrt gefährlich ein Luster und eine Petersburger Hängung mutiert zur "Penisburger Hängung". 19 spaßige Short Stories, die sich alle um eines drehen: Wien und die wunderbaren Begegnungen unter seinen wundersamen Bewohnern (Czernin, 160 S., 20 €)

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Ulrike Haidacher, Die Party

"Einmal Erdbeere, bitte.“ Was harmlos vor einer Softeismaschine beginnt, läuft im Romandebüt  der Hälfte des Kabarettduos „Flüsterzweieck“ nach kurzem Anlauf so richtig aus dem Ruder.

Eine Einladung in den Partykeller mutiert zur Selbstdarstellung eines „verblühten Mädchenschwarms“, einer Powerfrau und eines Trachtenpärchens. Pointiert wie der an Thomas Bernhard erinnernde Untertitel: „Eine Einkreisung“ (Leykam, 224 Seiten, 22 €).

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Erhellend

Jonathan Coe, Mr. Wilder & ich

Einer der originellsten Romane des Jahres. Ein gewitzter Brite erfindet ein sympathisches griechisches Mädchen, um die Tragödie des Altösterreichers Billy Wilder zu erzählen. Als Leser wird man Zaungast bei den mehr oder weniger geglückten Dreharbeiten zu Wilders vorletzter Komödie "Fedora" auf einer griechischen Insel.

Ausgebootet von Spielbergs „weißem Hai“, so Jonathan Coe ("Middle England"), sank in den Seventies rapide Hollywoods Interesse an spritzigen Dialogen aus der Feder von Mr. Wilder und seinem langjährigen Kompagnon I.A.L. Diamond. Und dennoch ist es Steven Spielberg, der Wilder mit seinem Schicksal als erzwungener Emigrant zu guter Letzt Frieden schließen lässt. Sehr pointenreich, bezaubernd und nicht nur für Filmfans zu empfehlen (Folio, 280 S., 22 €).

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Daniel Schreiber, Allein

Das Buch der Stunde, eine Fibel über Freundschaft. Noch nie haben so viele Menschen allein gelebt, behauptet der deutsche Autor und Susan-Sontag-Biograf Daniel Schreiber.

Und schreibt stimmungsvoll darüber, wie er ganz persönlich mit Einsamkeit umgeht. Unter anderem mit ausgiebiger sowie kenntnisreicher Arbeit im Garten eines befreundeten Paares  (Hanser Verlag, 160 S., 20,95 €)

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Ergreifend

Petra Hartlieb, Herbst in Wien

Ihr Reigen der Jahreszeiten ist komplett: Nach Winter, Frühling und Sommer legt Petra Hartlieb nun ihren  „Herbst in Wien“-Roman vor. Passt perfekt für anregende Schmökerstunden im gemütlichen Fauteuil.

Nach einem weiten  Bogen durch die 1920er-Jahre endet der Romanzyklus von Währings femme de lettres mit dem Tod Arthur Schnitzlers im Oktober vor genau 90 Jahren (DuMont, 200 S. 20,95 €).

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Peter Henisch, Der Jahrhundertroman

Ein Fräulein Studentin von heute sowie ein Buchhändler und Dampfplauderer von vorgestern brüten in einem Kaffeehaus über Texte.

Sie mailt ihrer Freundin und notiert Graffiti-Botschaften. Er geht mit einem Jahrhundertroman schwanger, den sie für ihn abtippen soll. Sympathische Lektüre für gleich mehrere Generationen, mit einem Ziel: Literatur zum Leben zu erwecken  (Residenz, 320 S., 24 €).

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Kurzweilig

Sally Rooney, Schöne Welt, wo bist du?

Es scheint so einfach zu sein und ist doch große Kunst, aus einem Tinder-Date einen großen Roman zu entwickeln.

Sally Rooney („Normale Menschen“) lässt nach und nach vier Menschen antreten, um unserem Dasein eine Dramaturgie abzugewinnen. Zwischendurch wird ein Rilke-Gedicht gelesen und durch Galway gestreunt. Sowohl in Alice als auch in Eileen steckt ganz viel Sally. Felix und Simon machen das Quartett komplett. Sehr nett und nicht nur für Irlandfans (Claasen, 352 S., 20,60 €).

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Goethes schlechteste Gedichte

Apropos Gedichte. Den „Erlkönig“ kennt jeder, aber diese Reime hier? Ganz schön fiese Idee: Der Salzburger Verlag Jung und Jung grub wenig geglückte Gedichte des alten Dichterfürsten und Großmeisters der Sprache Goethe aus. Und ließ die zwei aktuellen Witzezeichner Hauck & Bauer ran, um die Matt- und Plattheit diverser Verse stärker hervortreten zu lassen (Jung und Jung, 64 S., 12 €).

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Klug

Mauro F. Guillén, 2030: Die Welt von morgen

Die Uhr tickt, das Jahr 2030 „wartet gleich um die Ecke“. Mauro F. Guillén, Soziologe und Direktor der Cambridge Judge Business School, legt ein Epos vor, um uns schon einmal darauf einzustellen.

Die Zukunft wird grau, schon alleine, "weil wir auf eine Welt zusteuern, in der es mehr Großeltern als Enkelkinder geben wird". Doch Schwarzsehen ist auch nicht unbedingt angesagt. Vielleicht stehen wir ja am „Anfang einer neuen Blütezeit“. Wären etwa die Lehman Brothers die Lehman Sisters gewesen, schreibt er, die Finanzkrise 2008 hätte ausbleiben können (Hoffmann u. Campe, 383 S., 24,70 €).

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Erwin Steinhauer/Fritz Schindlecker, Der Tragikomiker

Weit mehr als „nur“ ein biografisches Porträt des Ausnahme-Schauspielers Erwin Steinhauer: Kabarett- und Theaterautor Fritz Schindlecker bemüht in seinem Loblied auf die Variabilität von Autodidakten augenzwinkernd sogar Erfinder und Staatsmann Benjamin Franklin.

Trotzdem bleibt die Bio am Boden: Schindlecker weiß auch, wo der Darsteller des Kellergassen-Kommissars Polt seine ersten Gags schrieb – beim Heurigen in Neustift
 (Ueberreuter, 192 S., 25 €).

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