„Better Call Saul“-Star Bob Odenkirk: Der neue Liam Neeson?
Von Alexander Kern
Doch etwas schmuddelig, unerhört gerissen und immer mit einer Vorliebe für den riskanten Hochseilakt, der ihm viel Geld bringen, aber auch Kopf und Kragen kosten könnte: In seiner Rolle als Anwalt Saul Goodman in der Netflix-Hitserie „Better Caul Saul“ kann der kanadische Schauspieler Bob Odenkirk alle Register seines Könnens ziehen. Dabei gelingt ihm Erstaunliches: Wie sehr sich dieser korrupte Rechtsverdreher, der seinen Charakter als Trickbetrüger nie ganz ablegen konnte, auch anstrengt – Odenkirk verleiht ihm ein menschliches, ja hoch sympathisches Antlitz.
Man leidet mit diesem Mann, der sich Saul nennt, aber eigentlich Jimmy heißt, verfolgt gespannt die neuen Volten, die er schlägt, ahnt die Bredouille, in die er sich sehenden Auges hineinmanövriert – und wünscht ihm, er möge trotz allem davonkommen. Der gute Mann Goodman mag ein Winkeladvokat sein, der das mit dem Gesetz nicht so genau nimmt. Einer, der alles unternehmen würde, seine Haut zu retten.
Gleichzeitig ist er ungemein charmant, leichtfüßig und witzig: Ein humaner Hasardeur, der versucht, in einer Welt aus brutalen Gangstern und sonnengebräunten Karrieristen mit pastellfarbenen Krawatten zu bestehen. Und dem wir vor allem eines wünschen: dass er diesen Mächtigen und Ungerechten allen eins auswischt.
Für "Saturday Night Live" schrieb er Sketche
Diese permanente Gratwanderung muss man erst einmal hinbekommen. Bob Odenkirk hat das geschafft. Gerade er, muss man sagen: Nach drei Jahren College beschloss er einst, sich in der Comedy-Szene von Chicago einen Namen zu machen. Das ist der 58-jährige Odenkirk nämlich: ein facettenreicher Komödiant, der sich auch für alberne Verkleidungen und derbe Späße nicht zu schade ist. Das führte ihn schließlich ins Hochamt Amerikas für ausgeklügelte Blödeleien: Von 1987 bis 1991 arbeitete er als Sketch-Autor für die legendäre Comedy-Show „Saturday Night Live“, arbeitete dort mit Adam Sandler oder Chris Rock zusammen. 1991 erhielt er dafür seinen ersten Emmy. Auch für Ben Stiller und dessen TV-Show schrieb und spielte er. In unseren Breiten werden ihn manche vielleicht erinnern, ohne ihn bewusst wahrgenommen zu haben: In „How I Met Your Mother“ spielte er Marshalls jähzornigen Boss.
Karriere-Wende mit "Breaking Bad"
Und dann kam „Breaking Bad“. Eine Serie, die den Serienkosmos erschütterte. So etwas hatte man noch nie gesehen, diese existenzphilosophische Wucht, mit der hier der Wandel eines krebskranken Chemielehrers zum allmächtigen Drogenbaron in Szene gesetzt wurde. Bob Odenkirk spielte darin als Anwalt Saul Goodman eine Nebenrolle. Die, wie sich herausstellte, so beliebt war, dass sie 2015 ein Spin-off erhielt: In „Better Call Saul“ - der zum Serientitel avancierten Catchphrase, mit der Goodman um Klienten wirbt – wird die Vorgeschichte dieses Charakters erzählt. Und zwar so nuanciert, so gelassen, so zielsicher und spannend, dass die Kritiker applaudierten. Der Nachfolger einer über die Maßen brillanten Serie, die nicht nur glückt, sondern auch zum autarken, eigenständigen Dramawerk gerät: Das kommt selten vor.
Plötzlich Action-Held
2022 soll die finale Staffel der Serie um Saul starten. Doch davor kommt uns Bob Odenkirk mit einem weiteren unerwarteten Move: Komiker und tragikomischer Held war er schon, was fehlt? Zum Beispiel: Actionstar. Mit „Nobody“, einem am 13.5. bei uns anlaufenden Knall-Bumm-Epos, legt er die nächste Metamorphose hin. Mit geballter Faust und gezogenem Colt zieht er ins Feld, dass es nur so raucht.
Die Handlung: Ein subtil frustrierter Familienvater, nette Frau, zwei Kinder, Haus im Vorort. Ein Durchschnittsmann, der apathisch die Demütigungen des Alltags erträgt. Doch als in sein Haus eingebrochen wird, er als Feigling tituliert wird und seine Familie sich von ihm abwendet, bringt das das Fass zum Überlaufen: Es stellt sich heraus, dass er doch nicht ganz ist, was er darstellt, mutiert zum berserkernden Haudegen, der kurz und klein schlägt, was sich ihm in den Weg stellt und nimmt den Kampf gegen einen bösen Buben auf. Odenkirks Heldenreise vom Normalo zum knallharten Draufgänger, die Zigarette im Mundwinkel, als hätte man Bruce Willis vor sich – im Trailer funktioniert’s.
Und im Idealfall auch im Film. Bei den Ausschnitten fühlt man sich an „Falling Down“ erinnert, Michael Douglas‘ Studie eines weiteren unauffälligen Bürohengstes, dem irgendwann der Geduldsfaden im Gerechtigkeitssinn reißt. Und optisch wie thematisch an die „John Wick“-Filmreihe. Das ist kein Zufall: Das Drehbuch zu „Nobody“ hat Derek Kolstad geschrieben, der damit Keanu Reeves zu einem Comeback verhalf. Und David Leitch, bei „John Wick“ als Produzent federführend, war auch hier mit an Bord.
Vorbild Liam Neeson
Ob Odenkirk der Wandel zum Action-Star gelingt? Unvergleichlich erfolgreich schaffte das vor allem Liam Neeson, der sich als Charakterdarsteller mit „96 Hours“ im gehobenen Alter zum heldenhaften Selbstjustitiar modifizierte – und sodann Epigonen wie Sean Penn („The Gunman“) auf den Plan rief, die plötzlich ebenfalls das neu geborene Genre des Action-Opas bestellen wollten. Aber natürlich wandelt der Kanadier mit seiner Rolle auch auf den Spuren von Clint Eastwood in „Dirty Harry“ oder Charles Bronson in „Death Wish“ – ein einsamer Wolf, der sich selbst hilft, denn sonst hilft ihm niemand. Ein Mann, der rot sieht. Und das Publikum kann es ihm nicht verdenken.
Unterschätzen sollte man Bob Odenkirk jedenfalls nicht, auch die ersten Kritiken des Films vom mit viel Lorbeer bevorschussten Regisseurs Ilya Naishuller sind positiv. Und auch einem Michael Keaton traute man einst nicht zu, in die Rolle eines „Batman“ zu schlüpfen, bevor er alle überzeugte. Vollen Einsatz hat Odenkirk für seine Rolle jedenfalls gezeigt: Um im Martial-Arts-Genre zu bestehen, trainierte er zwei Jahre lang einen Mix aus Boxen, Jiu-Jitsu, Karate und Judo. Das Schwierigste an seiner Darstellung sei übrigens das Fehlen von Ironie in seinen Szenen gewesen, gab er in einem Interview zu Protokoll. Stimmt, in „Nobody“ setzt er statt auf Witze, auf Waffen. Falls er einen guten Anwalt benötigt – er wird wissen, wen er anruft.