"Es ist wichtig, Mensch zu sein"
Von Barbara Reiter
freizeit: Herr Schlacher, Sie sehen blendend aus: braungebrannt, ein glatter Teint. Die jahrelange Nachtarbeit im Gastgewerbe konnte Ihnen scheinbar nichts anhaben.
Bernd Schlacher: Danke, ich bin eben kein frustrierter Mensch und sehr glücklich. Außerdem habe ich das große Glück, meinen Lieblingsjob zu machen.
Für viele Menschen ist die Gastronomie eher eine Zwischenstation.
Das stimmt leider. Aber das Gastgewerbe ist vergleichbar mit anderen Jobs. Viele Leute arbeiten einfach, weil sie arbeiten müssen, nicht, weil sie es gerne tun.
Was hat Sie an der Gastronomie so fasziniert?
Es hat mir viel Spaß gemacht, mit Leuten zu tun zu haben. Das war keine Arbeit, sondern ein Feeling. Mein Freundeskreis waren die Gäste. Nach meiner Lehre als Maschinenbauer und Elektromechaniker habe ich gleich aufgehört, bei der Bahn in Floridsdorf zu arbeiten und hauptberuflich als Kellner angefangen.
Ist es nicht ein weiter Weg von der Lehre bei der Bahn bis zum Promiwirt? Man fragt sich: Welche Weichen haben Sie da gestellt?
Ich bin mit 15 von der Steiermark nach Wien zur Eisenbahn, weil mein Vater Eisenbahner war. Aber der Job hat mich von Anfang an nicht interessiert. Dafür hat mir das Leben Spaß gemacht. Ich habe damals 1000 Schilling verdient und musste alles selbst finanzieren. Da habe ich am Wochenende als Kellner gejobbt. So hat alles angefangen.
Sie waren erst 15. Konnten Ihnen Ihre Eltern nicht unter die Arme greifen?
Ich habe vier Geschwister. Wir sind sehr einfach aufgewachsen. Zuerst in Obdach, einem kleine Dorf in der Steiermark. Später sind wir nach Knittelfeld übersiedelt. Das war eine klassische Eisenbahnerstadt, in der ich die Hauptschule besucht habe. Für viele Dinge wie den Schulskikurs hatten meine Eltern kein Geld. Aber ich war darüber nie betrübt und hatte trotzdem einen schöne Kindheit und Jugend.
Was hat Sie so zufrieden gemacht?
Natur war mir das Wichtigste – draußen sein, Radl fahren, am Radl basteln oder Bubensachen machen wie Fußballspielen. Um sieben in der Früh waren wir draußen, sind zum Mittagessen kurz heim, dann wieder mit den Freunden raus auf den Misthaufen – bis zum Abend. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas entbehren muss.
Wie wurden Sie schließlich Promiwirt?
Ich habe mit 20 im Szenerestaurant „Wiener“ gekellnert. Das war das Wohnzimmer der Austropopper. Von der EAV über die Steffi Werger bis zu Fendrich und Ambros waren alle da – jeden Abend. Es gab in den 1980er-Jahren in Wien ja nur drei Lokale, die bis vier Uhr Früh offen hatten. Da habe ich zum ersten Mal in die Promi-Szene hineingeschnuppert.
Mit 23 Jahren haben Sie ein Drittel des „Wiener“ gekauft. Hatten Sie nie Angst vor dem Risiko?
Ich habe mir gedacht, es kann nicht viel schiefgehen, weil das Lokal super gelaufen ist. Wäre kein Gewinn geblieben, hätte ich noch immer mein fixes Einkommen als Kellner gehabt. Im schlimmsten Fall wäre ich eben jeden Tag im Lokal gestanden.
Sie waren als Gastronom nie pleite. Das Lokal „Motto“, das sie 1991 übernommen haben, war nach einem Konkurs schon ein Jahr zu. Mit Ihnen kamen die Gäste wieder. Was haben Sie besser gemacht?
Ich war nie der Chef oder der Gastronom, sondern der Kirchenwirt der Szene. Stellen Sie sich einen Dorfwirt vor. Da geht man hin, hat Spaß und tratscht. Das war für mich immer mein Lokal. Es war ein Wohnzimmer, eine problemfreie Zone. Ich habe den Boden bereitet, dass die Leute lustig sein konnten. Viele sind nach der Arbeit gekommen, hatten Probleme. Bei uns waren sie Teil einer großen Familie. Ich glaube, das war immer das Geheimnis.
Das klingt nach einem eigenen Universum.
Es ist wie eine große Theaterbühne. Die Gäste sollen mitspielen, jeder soll glücklich sein und jeden Tag eine Riesen-Party feiern.
Glauben Sie, dass diese Unbeschwertheit erlernbar ist?
Mathematische Formeln kann man lernen, Gesetze auch, Natürlichkeit weniger. Es geht immer darum, Menschen zu respektieren und nicht zu bevormunden. Wir leben in einer unglaublich schnelllebigen Zeit. Wenn wir im Supermarkt an der Kassa stehen, geht es „zack zack“. Keiner redet mehr mit dir. Ich gehe lieber ins Biogeschäft einkaufen, wo ich die Leute kenne. In der Gastronomie ist es dasselbe. Jeder will mit „Bussi, Bussi“ und einem „Wie geht’s“ begrüßt werden. Ein paar Worte wechseln zumindest.
Sie waren auch in Sachen Clubbing ein Vorreiter. Wie haben Sie erkannt, dass die Zeit reif dafür ist?
Anfang der 1990er-Jahre gab es so eine Aufbruchsstimmung. Das hatte auch politische Gründe. Der Eiserne Vorhang ist gefallen und wir waren auf einmal mitten in Europa. Vorher war alles grau, ein bissi brav und leicht unterdrückt. Da wollten wir Spaß haben. Das war so ein Gefühl. Wir haben DJs aus London, Amerika und Amsterdam geholt und Gogos eingeflogen, die nackt getanzt haben. Nichts war bewusst gemacht. Wir wollten nur mit unseren Freunden feiern.
Woher hatten Sie all die Ideen?
Ich bin gerne gereist und habe Party gemacht. Wenn ich weggefahren bin habe ich mir Restaurants angeschaut. Ich bin ein starker Gefühlsmensch und denke: Was mir gefällt, gefällt auch anderen. Eigentlich ganz simpel.
Irgendwo habe ich gelesen, dass Sie mit Elton John befreundet sind. Haben Sie ihn auch auf Reisen kennengelernt?
Na ja, befreundet ... ich habe seine Telefonnummer. Wir waren vor zwei Jahren beim Life Ball gemeinsam essen und haben über Kinder gesprochen. Damals hatte ich noch keinen Sohn. Er und sein Partner hatten zwei. Da hat er uns erzählt, wie sie das gemacht haben mit der Leihmutterschaft. Wir haben uns unterhalten.
Das Designerduo Dolce & Gabbana hat Elton John für das Thema Leihmutterschaft kritisiert. Berührt Sie das?
Ich finde das Thema eher uninteressant. Es muss jeder selber wissen, was er tut. Es gibt Leute, die zeugungsunfähig sind, da ist eine Leihmutterschaft wichtig. Mein Partner und ich können auch kein Kind kriegen. Da haben wir es adoptiert.
Woher kommt Ihr Sohn?
Aus Südafrika. Wir haben ihn dort persönlich abgeholt. Eine Adoption ist eine heikle Angelegenheit. Vor zehn Jahren bin ich als Homosexueller gar nicht auf die Idee gekommen, ein Kind haben zu können. Das ist lange gereift. Ich habe einmal eine arte-Doku über Lesben und Schwule in Kalifornien gesehen, die Kinder adoptiert haben. Dort ist das schon länger erlaubt. Im Zuge unserer Verpartnerung haben wir dann beide gesagt: Jetzt machen wir es, los geht’s!
War Ihre Homosexualität je ein Problem für Sie? Sie kommen aus einem kleinen Dorf in der Steiermark.
Nein, nie. Ich bin, wie ich bin und habe auch jeden anderen Menschen immer akzeptiert, wie er ist. Ich habe meine sexuelle Ausrichtung nie zum Thema gemacht. In den Medien stand oft: „Das Schwulen-Lokal Motto.“ Das „Wiener“ war damals so richtig hetero und dort war es auch kein Problem, dass ich schwul bin. Gerade heute wird das Schwulenthema von den Schwulen selbst stark hervorgekehrt. Das ist doch wurscht. Es ist wichtig, Mensch zu sein.
Nicht jeder geht mit dem Thema so unkompliziert um wie Sie.
Es wird immer besser. Mütter erzählen mir, dass sich ihre Kinder mit 15 outen. Die klassische Familie ist toll, aber es gibt auch andere Lebensformen. Ich habe viele alleinstehende Freundinnen. Irgendwann wird es WGs für Ältere geben. Früher war das nur für Kids beim Studieren normal. Bald werden Erwachsene in WGs leben, Kinder adoptieren und so weiter.
Herr Schlacher, Sie werden am 26. Juni 50 Jahre alt. Haben Sie als Party-Mensch ein Problem mit dem Alter?
Wenn man heute 50 wird, ist man wie 30. Das ist nicht alt. Damals, als wir Kinder waren in der Steiermark, war ein 50-jähriger Mann steinalt. Mein Vater hat mit 50 die Jahre gezählt, bis er in Pension gehen darf und ist mit 52 in Frühpension gegangen. Ich glaube, ich werde mit 70 noch arbeiten, wenn auch nicht mehr so viel. Es hat für uns ein neuer Lebensabschnitt mit Kind begonnen. Ich habe viel gefeiert, viel gearbeitet und viel erreicht. Jetzt spiele ich Fußball und bin ein klassischer Daddy.
Sie haben 2013 das Kunsthallencafe am Karlsplatz abgegeben und 2014 das „Motto“-Stammhaus verkauft. Tut es nicht weh, seine „Kinder“ wegzugeben?
Nein, dann kommt das nächste nach.
Das „Motto am Fluss“ feiert seinen fünften Geburtstag. Was kommt noch?
Ich habe Ende der 1990er-Jahre eine Cateringfirma aufgemacht. Die vergrößern wir jetzt stark. Im Austria Center bin ich auch drinnen. Das Kongresszentrum ist für die Stadt Wien enorm wichtig. Da kommen 15.000 Leute zu Kongressen und bleiben eine Woche. Sie essen, trinken, wohnen, fahren Taxi ... Ich habe nix geschenkt gekriegt, aber ich bin der Stadt Wien dankbar und möchte etwas zurückgeben.
Einen Rückzug, wie Sie ihn vor einigen Jahren angekündigt haben, wird es also nicht geben?
Mit 40, 45 fragt man sich: Wohin soll die Reise gehen? Ich habe mich damals wie in einem Boot auf einem See gefühlt, von dem ich nicht wusste, wohin es fährt. Dann habe ich bei der Ausschreibung für das „Motto am Fluss“ mitgemacht. Das hätte nur eine Schiffsanlegestelle mit kleinem Cafe werden sollen. Das aufzubauen, was jetzt da ist, hat Spaß gemacht. Ich werde immer Spaß haben, neue Sachen zu machen.
Bernd Schlacher, 49, wurde 1965 in Obdach in der Steiermark geboren. Mit 15 ging er nach Wien und wurde Lehrling bei der Eisenbahn. Nebenbei arbeitete er als Kellner und fand darin seine Passion. Seine gastronomischen Stationen: Erwerb des „Motto“ 1991, das er 2014 verkaufte. In den 1990er-Jahren veranstaltete er auch erfolgreich Clubbings. 2001 Einstieg ins Catering-Geschäft und Eröffnung der „Halle“ im MuseumsQuartier. 2004 folgte das Kunsthallencafe, von dem sich Schlacher 2013 trennte. 2005 Eröffnung des „Motto am Fluss“. Derzeit: Ausbau des Catering und Einstieg ins Kongressgeschäft. Es wird immer wieder gemunkelt, dass Schlacher ein Hotel eröffnen will. Schlacher ist seit 2012 mit Ö3-Mitarbeiter Georg Urbanitsch verpartnert. Die beiden haben einen Sohn adoptiert.
Bernd Schlacher sammelt auf Veranstaltungen in seinen Lokalen seit Jahren für Kinder in Südafrika. www.yabonga.at www.motto.at