Wiener Designbüro polstert Thonet auf!
Das Studio im zweiten Wiener Gemeindebezirk ist ziemlich genau so, wie man sich das Studio eines Designers vorstellt: In einem Hinterhof gelegen, durch eine unscheinbare Stahltür zugänglich öffnet sich eine Mischung aus Werkstatt, Lager und Arbeitsflächen. An den Wänden lehnen Modelle aus Holz, Kunststoff, Metall. Zwischendrinnen steht eine Kaffeemaschine, ein paar Schritte weiter reihen sich Schreibtische an unbekannte Utensilien. Und neben Marco Dessís hochauflösendem Bildschirm liegt rechts ein Opinel-Taschenmesser und links eine Schublehre. Dinge, die man wohl nur als Industrial-Designer täglich braucht.
Ideenschmiede im Herzen Wiens
Der Begriff Ideenschmiede fällt zwangsläufig und lässt den Herrn über dieses kreative Reich schmunzeln. Marco Dessí ist – und das verrät sein Name – kein waschechter Wiener. Aus Südtirol hat es ihn vor vielen Jahren zu Studienzwecken nach Wien an die Angewandte verschlagen. Und nicht mehr weitergetrieben. „Ich fühle mich Wien verbunden, ich mag diese Stadt sehr gern und sie bietet mir einen guten Boden für das, was ich machen möchte“, sagt er. Was das ist? Produkte, die unser alltägliches Leben bereichern und verschönern.
Und eben das gelingt dem 43-Jährigen seit bereits zehn Jahren verdammt gut. Eben deshalb geht es jetzt um einen großen internationalen Wurf, der Marco Dessí geglückt ist: Vor wenigen Wochen präsentierte er gemeinsam mit der weltberühmten Marke Thonet bei der Kölner Designmesse imm cologne einen Fine-Dining-Chair, der seither innerhalb der Design-Welt aus vielerlei Gründen für Aufsehen sorgt. Und das im positivsten Sinne.
Thonet-Klassiker als Basis
Der „Polsterstuhl 520“ wie das Stück ganz offiziell heißt, bezieht sich auf Dessís persönliche Favoriten aus dem Thonet-Portfolio, den Bugholzstuhl 209. „Für den 520 habe ich die Klassiker von Thonet studiert. Dieser Bügel, der mit den Hinterbeinen eine Einheit bildet, ist so ikonografisch und charakteristisch für Thonet. Unser Ansatz basiert im Wesentlichen auf diesem Detail.“
Das charakteristische Bugholzelement hat der Wiener Designer in seinen Entwurf als statisches Element eingebaut. Den unteren Bügel setzt er geschickt etwas tiefer, wodurch eine Griffmulde entsteht, die gerade beim Tragen des Möbels die Handhabung erleichtert. Für den 520 hat Dessí zwei Stuhlrücken entworfen – mit und ohne Armlehnen: „Das ist ein moderner, ökonomischer Gedanke, der dem bereits vor über 150 Jahren von Thonet entwickelten Baukasten-Prinzip folgt.“ Durch die Möglichkeit, verschiedene Holzoberflächen und Polsterbezüge auszuwählen und zusammenzustellen, lässt sich der 520 auf vielfältige Art personalisieren. So passt der Entwurf in unterschiedlichste Szenarien – von der gehobenen Gastronomie über das Esszimmer bis an den Besprechungstisch.
Drei Jahre Thonet-Tüftelei
„Diese Arbeit empfinde ich als einen Höhepunkt meiner bisherigen Karriere“, sagt der Wahl-Wiener und spielt dabei mit einem 3D-Druck des Polsterstuhl 520, das seit inzwischen schon fast drei Jahren in unterschiedlichen Ausprägungen seinen Schreibtisch ziert. Denn genau so lange tüftelte er gemeinsam mit Thonet an dem Sessel.
Hintergrund für diesen langfristigen Prozess: Im Markt gibt es viele Polstersessel. Wie also schafft man es, einen zu entwickeln, der unverkennbar Thonet ist?
Das verstand der vor einigen Jahren neu bestellte Thonet-Kreativ-Direktor Norbert Ruf offenbar als Herausforderung. Denn er war es auch, der schlussendlich auf Marco Dessí zukam. Ruf hatte Dessí zum damaligen Zeitpunkt schon länger auf seinem Radar. Schließlich hatte sich der Designer durch seine langjährige und erfolgreiche Zusammenarbeit mit großen Marken wie Wittmann oder Lobmeyr schon kräftig in die Auslage gestellt gehabt.
Los ging es mit einem Treffen in Frankenberg. Aber das lassen wir Marco Dessí am besten selbst erzählen. Also – hinsetzen und zuhören:
Wie beginnt so ein großes Projekt mit so einer berühmten Marke – wie geht man das an?
Man schaut sich die Produktion an, das Museum und bekommt eine Lawine an Büchern und Katalogen – es ist eine Art DNA-Impfung. Vor allem aber spricht man intensiv und immer wieder über das Unternehmen. Man erfährt viel über die Geschichte und die Märkte, über die Aktionsfelder des Unternehmens und darüber, wo man hin möchte. Und aus dem ganzen Pool fängt man dann langsam an, Ideen zu sammeln oder Themen zu sortieren, von denen man glaubt, dass sie interessant seien, dass es ein vertiefungswertiger Ansatz sein könnte.
Wenn man heute das Ergebnis ansieht, ist es eindeutig ein Thonet-Produkt. Das war vermutlich ein besonders wichtiger Aspekt …?
Ja, natürlich war das unser Ziel. Aber wir haben auch Elemente weggelassen und neue Ideen entwickelt. Thonet-Stühle haben in der Regel unter der Sitzfläche einen zweiten Ring, damit sich der Sessel aussteift. Bei unserem Konzept übernimmt der intelligent konstruierte Bugholz-Sitzring eben diese statische Funktion gleich mit. Außerdem haben wir in der Lehne eine Aussparung gestaltet, die es erleichtert den Sessel zu tragen. Dadurch wird das Polster geschont und keine Abdrücke auf dem ganzen Sessel verteilt, was gerade in der Gastronomie relevant ist, wo Sessel dauernd von A nach B bewegt werden müssen. Das ist schon ein smartes Detail, muss ich sagen (lacht).
Das heißt: Es geht in Ihrer Arbeit nicht bloß darum, ein schönes Produkt zu erschaffen, sondern auch eines, das technisch möglichst perfekt umgesetzt werden kann?
Ja klar! Aber grundsätzlich finde ich etwas überhaupt erst schön, wenn es funktioniert. Design muss nicht zwingend – wie etwa Kunst – zum Nachdenken anregen oder einen Diskurs anstoßen. Ich muss vielmehr ein Produkt schaffen, das von verschiedenen Aspekten aus betrachtet funktioniert. Das heißt, das es gewisse Aufgaben erfüllen muss und daher nach anderen Kriterien beurteilt wird! Gelingt es mir, den Benutzer emotional an das Produkt zu binden, ihn zu faszinieren, habe ich gute Arbeit geleistet. Ich versuche Produkte zu entwerfen, die Teil eines Erlebnisses im Leben der Menschen sind.
Text: Johannes Stühlinger
Fotos: Thonet; Leonhard Hilzensauer; Marco Dessí
Making of Thonet Polsterstuhl 520
Der erste seiner Art wurde von Marco Dessí persönlich in der Werkstatt und von Hand hergestellt.
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