Steirereck: Preisgekröntes eklektisches Ensemble
Was macht den Zauber eines Gourmettempels aus? Wenn er nicht nur Gourmettempel, sondern auch Architekturtempel ist. Das Steirereck am Pogusch, dem auf knapp mehr als 1.000 Metern über dem Meeresspiegel gelegenen Alpenpass in der Obersteiermark, vereint beide Kriterien.
Über das Steirereck selbst muss man nicht viele Worte verlieren. Das mit vier Gault Millau Hauben ausgezeichnete Lokal mitten im Wiener Stadtpark gilt als bekanntestes Restaurant der Stadt. Chef Heinz Reitbauer jun. überzeugt mit moderner, österreichischer Küche mit Raffinesse – davon zeugen beispielsweise Eigenkreationen wie das Garen in Bienenwachs.
Neben dem Stammlokal in der Bundeshauptstadt wird auch die Meierei im Wiener Stadtpark sowie der Ableger auf der Passhöhe, umgeben von den eigenen landwirtschaftlichen Flächen, das Steirereck am Pogusch, betrieben. Und dieses hat das Wiener Architekturbüro PPAG architects im Vorjahr einem Redesign unterworfen.
Nachdem PPAG 2015 bereits das Wiener Steirereck umgebaut und erweitert hatten, war es für die Auftraggeber Birgit und Heinz Reitbauer naheliegend, PPAG auch mit der Neuformierung des Steirereck am Pogusch zu betrauen. Der Komplex umfasst nun eine Landwirtschaft, ein Biomassekraftwerk plus Hotellerie – und wie gewohnt Gastronomie auf höchstem Niveau.
Architekturpreis Steiermark für Steirereck am Pogusch
Die Experten von PPAG ließen sich nicht nur in Gasthaus und Küche neue Strukturen einfallen sondern haben auch zwei ungewöhnliche Glashäuser mit origineller Nutzung entworfen. Das Lokal in den österreichischen Alpen bietet damit alles, was man sich nur wünschen kann: bodenständigen Charme, heimische Haute Cuisine, nachhaltige Landwirtschaft, dabei auch Hightech-Arbeitsvorgänge, gepaart mit Luxushotellerie.
Damit war PPAG der Architekturpreis des Landes Steiermark 2023 sicher. Der Preis wird in Zusammenarbeit mit dem Haus der Architektur in Graz verliehen. Kuratorin Indira Van 't Klooster – sie ist Direktorin des Amsterdamer Architecture Center Arcam – begründete die Entscheidung wie folgt: „Das Steirereck am Pogusch stellt eine enge Beziehung zur Natur her, sowohl in der Art wie das Projekt mit lokalen Materialien arbeitet, als auch wie es einen umschlossenen menschlichen Lebensraum bildet, der als regionaler Knotenpunkt im Netzwerk der Lebensmittelproduktion für die Gastronomie fungiert.“
Sehnsuchtsort Bergwelt, aber modern
Zudem hätten die Architektinnen und Architekten eine einzigartige architektonische Sprache geschaffen, indem sie die Gegebenheiten der Vergangenheit respektierten, ein transparentes Form-follows-function-Prinzip anwendeten und die Wiederverwendung oder Umnutzung von Materialien, wo immer es möglich war, praktizierten.
Weiters ist PPAG Finalist bei den Architizer A+Awards, Chancen bestehen in den Kategorien „Architecture +Landscape”, „Sustainable Hospitality Building” und „Restaurants“. Die Architizer A+Awards sind mit einem weltweiten Publikum von mehr als 400 Millionen Menschen das größte Preisverleihungsprogramm, das sich auf die Förderung und Würdigung der besten Architektur des Jahres spezialisiert hat.
Nach Jahrzehnten und Generationen sollte die mit dem Gasthaus Steirereck eng verbundene landwirtschaftliche Arbeit und die damit verbundene achtsame Lebensweise nun für die Betreiber selbst und für die Gäste greifbar und sichtbar werden.
Ein Projekt kann bald einmal spektakulär umgebaut, ausgebaut und erweitert werden. Jedoch die von der Natur geprägten Gegebenheiten mit einem hochmodernen, zeitgemäßen und nachhaltigen Gastronomiebetrieb in Einklang zu bringen, das ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Kunst. Das Neue soll sichtbar werden, Perspektiven des Lebens im 21. Jahrhundert abseits der Stadt aufzeigen und gleichzeitig an Know-how und Technologien des 21. Jahrhunderts angebunden sein, heißt es.
Dörfliches Ensemble – mit hochmodernem Innenleben
Die überregional bekannte Gastwirtschaft ist nun großräumig aber weithin unsichtbar erweitert. Das Projekt besteht aus Bestandsgebäuden wie dem Steinhaus und dem Holzhaus und durch Zubauten. Erstere wurden hochwertig saniert, zweitere sind aufgrund der Hanglage teils eingegraben und bilden einen Blickfang.
Gemeinsam bilden sie fast so etwas wie ein dörfliches Ensemble – mit hochmodernem Innenleben, wie etwa den 3D-gedruckten Waschbecken oder den dekorativ-effizienten Holzlamellenvorhängen.
Der Großteil der Bestandsgebäude – Teile der Küche, das Steinhaus aus dem 17. Jahrhundert und das Holzhaus – wurden mit Respekt vor der Schönheit der alten Strukturen renoviert. Auch die Nutzgebäude blieben bestehen, wurden aber weitgehend renoviert.
Die Übergänge zwischen den Zonen sind harmonisch und „selbstverständlich“. Die Küche offenbart sich dem Gast bei der Bar- und Feuerküche mit großem Grill. Je nach Tageszeit ist sie hell und transparent, oder stimmungsvoll und dunkel – auf jeden Fall ein „starker Raum” im Herzen des Hauses.
Ausblick in die Natur vom neuen Salettl aus
Die Neubauten umfassen nun neben der Feuerküche mit Bar, Grill, Hofladen und Stammtisch weitere neue Gastronomiebereiche: Dazu gehören das „Salettl“ für die gehobene Gastronomie, die Brennerei, Küchen mit großzügigen Zubereitungs- und Personalbereichen, einen Küchengarten im kleineren Glashaus, spezielle Personal- und Gästewohnungen.
Das neue Salettl, oder der Pavillon, bildet zusammen mit dem Steinhaus und dem Holzhaus jeweils unterschiedliche Speiseräume, die unterschiedliche Konzepte von Gastlichkeit und Atmosphäre bedienen können. Im Gegensatz zu den bereits bestehenden Gebäuden ist das Salettl offen und transparent, mit Blick in die umliegende Natur. Dank der flexiblen Holzlamellenvorhänge ist eine Vielzahl unterschiedlicher Raumarrangements einfach und schnell realisierbar.
Kaltglashaus mit Schlafkojen und Spa
Im großen Glashaus, einem Hybrid aus modernem Gewächshaus und Wohnraum, die sich atmosphärisch gegenseitig befruchten, sind Schlafkojen sowie ein mehrstöckiger Wellnessbereich mit Sauna und Kamin integriert. Das gemütliche Kaminzimmer lädt ein zum Lesen, Plaudern und Entspannen.
Dieses Glashaus ist ein „Kaltglashaus“. Das bedeutet, dass sich die Temperatur mit der jeweiligen Saison ändert – immer im Sinne der Pflanzengesundheit. Und es ist Teil des Autarkie-Kreislaufwirtschafts- und Energiekonzeptes.
Die „Schlaf-Kabanen” sind gemütliche, beheizte Höhlen, die im Glashaus verteilt sind. Jede Schlaf-Höhle ist in einer anderen heimischen Holzart getäfelt und mit einem gemütlichen Bett für bis zu zwei Personen ausgestattet. Im Erdgeschoss ist jeder Kabane eine eigene Umkleide zugeteilt, abschließbar und mit allem Notwendigen für den Aufenthalt ausgestattet.
Übernachten kann man auch im Stall, im Heu- oder Stroh-Zimmer, im Fuchs- oder Hennezimmer, in der Rehlein- oder Jagd-Hütte, in den romantischen Baumhäusern oder den sonnigen Vogelhäusern mit Blick über die Berge.
Warmgewächshaus für Kräuter und Gewürze
Das Warmgewächshaus versorgt die Küche mit frischen Kräutern und Gewürzen und bietet einen „intimen Backstage-Bereich”. Beide Glashäuser sind über Lichthöfe mit den darunter liegenden Küchen verbunden und spenden diesen direktes Tageslicht.
Neben den Schafen, Ziegen, Schweinen und Hühnern kultiviert die Familie Reitbauer mehr als 500 verschiedene essbare Pflanzen-, Zitrus- und Streuobstarten in den Glashäusern und den Gärten. Donnerstags kommt Veredeltes aus eigener Schlachtung auf den Tisch, Freitags ist es frischer Fisch aus den Seen des Hochschwab und Samstags Gustostücke vom steirischen Milchkalb.
PPAG Architekten entwarfen zahlreiche Details und Einrichtungsgegenstände, die dem Projekt die Dimension eines hochmodernen Gesamtkunstwerks verleihen – und den Besucher in eine neue, aber dennoch Bergwelt entführen.
Steirereck am Pogusch ist nahezu energieautark
Viel Wert wurde bei der Erneuerung des Steirereck am Pogusch auf die Versorgung mit erneuerbarer Energie (Heizung, Kühlung, Strom) gelegt. Daneben galt es, den Ressourcenverbrauch so sehr es geht zu reduzieren, etwa durch Lebensmittelproduktion vor Ort, Kreislaufwirtschaft, Kompostierung sowie ökologische Auswahl der Baumaterialien.
Aber auch dem mobilitätsbedingten Energie- und CO2-Verbrauch will man bestmöglich beikommen – ist das „Steirereck am Pogusch“ doch Teil des Forschungsprogramms „Stadt der Zukunft“ des Bundesministeriums für Klimaschutz und Technologie. So entstand ein nahezu energieautarkes, ressourcenschonendes Hospitality-Projekt – trotz der isolierten Lage auf der Passhöhe.
PPAG Architekten wurde im Jahr 1995 gegründet. Anna Popelka und Georg Poduschka führen gemeinsam mit ihrem Team die Büros in Wien und Berlin. Man arbeitet kontinuierlich forschend und entwickelnd an Architektur im weitesten Sinne, mit dem Anspruch, Innovationen konkret zu konzipieren und zu realisieren.
Die Arbeiten reichen vom Möbeldesign, wie den ikonischen Enzi in den Innenhöfen des Museumsquartiers in Wien, bis hin zur Stadtplanung, zuletzt für die Internationale Bauausstellung 2027 in Stuttgart. Dabei geht es nach den Worten von Popelka und Poduschka vor allem um die permanente Formulierung eines „notwendigen Neuen“ in der Architektur, das Hand in Hand mit der Gesellschaft einhergeht.
PPAG ist des weiteren – auch über Österreichs Grenzen hinaus – bekannt für moderne Bildungsbauten. Auch für derartige Projekte hat das Architekturbüro bereits einen Preis eingeheimst, den Hans Hollein Kunstpreis.
Text: Linda Benkö Fotos: Hertha Hurnaus / PPAG (v2com)
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