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Nachhaltig bauen, jetzt!

Die bebaute Umwelt „muss dazu beitragen, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen“. Mutig und „im Vergleich zur aktuellen Praxis sogar radikal“. Starke Worte, mit denen die dänische Architektin Natalie Mossin den Konsens des jüngst in Kopenhagen beendeten UIA World Congress of Architects zusammenfasste. Und die Präsidentin der alle drei Jahre von derUnion Internationale des Architectes(UIA) organisiertenGroßveranstaltung betonte: „Die Gesundheit des Planeten und die Grundbedürfnisse der Menschen stehen auf dem Spiel. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Tausende Teilnehmer, ein Ziel

Ein gewichtiges Statement, das dem Tenor der mehr als 400 Vortragenden aus Architektur,Wissenschaft, Stadtplanung, Wirtschaft und Politik, sowie den Keynotes der vielen, eigens angereisten Branchenstars entspricht. Zusammen mit über 6.000 Kongressteilnehmer aus 135 Ländern rund um den Globus und mehr als 100 Ausstellern machten sie die UNESCO-UIA-Welthauptstadt der Architektur 2023 fünf Tage lang zum verbindenden Treffpunkt der Branche. Und zur Bühne der internationalen Baukunst-Elite.

Zehn deklarierte Vorsätze

Die zahllosen Workshops, Vorträge, Präsentationen und Diskussionen im Kopenhagener Bella Center standen ganz im Zeichen des diesjährigen Kongress-Leitsatzes „Sustainable Futures – Leave No One Behind!“.Ein Ziel, das Umdenken sowie rasches Handeln in vielen Bereichen verlangt. Und eines, das in Vorsätze mündete, die in den am Abschlusstag präsentierten „10 Copenhagen Lessons“ deklariert wurden (siehe unten).

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Standing Ovations ernteten vor allem Statements, die die unterschiedlichen Voraussetzungen hervorhoben, mit denen Architekten und Bauherren in verschiedenen Teilen der Welt konfrontiert sind. So wurden etwa die emotionalen Worte der deutschen Architektin Anna Heringer mit tosendem Applaus quittiert.

Starkes Eingeständnis

Die zweifache Preisträgerin des fürherausragende architektonische Beiträge zur menschlichen Entwicklung verliehenen Obel Awards überraschte zu allererst mit einer Entschuldigung: „Als Architektin des globalen Nordens bitte ich um Vergebung dafür, zu Klimawandel und sozialer Ungerechtigkeit beigetragen zu haben.“ Zu vermitteln, importierte Bauweisen und Materialien seien besser als lokale, habe vielerorts das Gegenteil des „versprochenen Paradieses“ gebracht.

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Längst als Vorreiterin nachhaltigen Bauens mit sozialem Nutzen bekannt, ist Heringer heute überzeugt: „Betrachte, was unter deinen Füßen und um dich herum ist – und baue Schönes daraus“. Es gelte stets, Strukturen und Gemeinschaften zugleich zu errichten. Mit vor Ort vorhandenem Material und gemeinsam mit den künftigen Nutzern, denen so neue Möglichkeiten eröffnet werden: „Das Projekt ist nicht alles. Auch der Entstehungsprozess zählt!“

Pritzker-Preisträger mit Mission

Begeisterungsstürme löste auch der auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit fokussierte Baukünstler Francis Kéré aus. Ausgangspunkt seiner Karriere war ein Stipendium für eine Tischlerlehre in Deutschland, das sonst niemanden interessierte, weil Holz in seiner Heimat Burkina Faso Mangelware ist.

Das Ringen um Verbesserung lässt uns wachsen. Wenn du etwas machst, das ehrlich ist, inspirierst du andere damit.

Francis Kéré, Architekt und Pritzker-Preisträger

In seiner Rede schilderte der 2022 mit dem Pritzker Preis ausgezeichnete Kéré die Erfahrungen seines ungewöhnlichen Werdegangs vom sozial benachteiligten Kind aus einem Dorf zum internationalen Star-Architekten. Dass er als junger studierter Architekt aus Deutschland nach Burkina Faso zurückkehrte, dort jedoch mit Lehm statt Beton und Glas bauen wollte, habe vor Ort für viel Irritation gesorgt. Aber: „Ich habe meine Leute überzeugt, eine Schule zu bauen, die bis heute steht. Und das ist in ihren Augen ein Wunder!“

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Wichtig sei, das zu verwenden, was lokal im Überfluss vorhanden ist, und dabei kreativ zu sein, betont Kéré: „Wir testen und wenden an“. Wie etwa ausgediente und in Ringe geschnittene Tontöpfe als Elemente der Schulbibliothek oder als Gefäße zur Pflanzenbewässerung: „Alles ist zirkulär. Auch aus den Scherben kann man schöne Fußböden gestalten. Alles zu haben wäre langweilig. Das Ringen um Verbesserung lässt uns wachsen.“ Und: „Wenn du etwas machst, das ehrlich ist, inspirierst du andere damit“.

Völlig CO2-neutral geht nicht

Kérés Dialogpartner, Geologe Minik Rosing,verwies auf natürliche Prozesse und Limits. Mit einem Felsbrocken als Beispiel, den er als „uraltes, von Bakterien gebautes Haus“ präsentierte: „Jedes Leben braucht einen Platz, an dem es leben kann. Alle lebenden Organismen bauen sich ihr Haus. Und das beeinflusst immer auch den Kohlenstoff-Kreislauf.“ Der ökologische Fußabdruck, den Menschen verursachen, sollte in jedem Fall so gering wie möglich sein. Doch: „Den Kohlenstoff-Kreislauf völlig unbeeinflusst lassen zu können ist eine Illusion.“

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Dass Natur und Fakten wichtigen Zielen Grenzen setzen, lässt auch Kéré, der aktuell in München am Projekt eines fünfstöckigen Kindergartenbaus aus Holz arbeitet, nicht unerwähnt. Der Architekt betont jedoch, dass man sich in Sachen Nachhaltigkeit nicht beirren lassen dürfe. Und er warnt – mit einem Schuss Humor: „Einen ,Planeten B' gibt es nicht! Zerstören wir unseren, bleibt am Ende nur ... vielleicht Elon Musk, ganz allein...“

Blick auf Komfort & Lebensdauer

Es sei wichtig Komfort und Schönes für die Menschen zu schaffen. Passend zu Klima, Umfeld und Kultur. Wobei, so Kéré, der sich als „Material-Opportunist“ bezeichnet: „Eine gute Lehmbau-Variante ist nicht unbedingt immer auch die billigste. Aber billig zu bauen kann zum Desaster und zu ständig nötigen Reparaturarbeiten führen“. Man müsse stets die Lebensdauer eines Projekts im Auge behalten. Wenn nötig, verwende auch er selbst Beton.

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Dafür, Gebäude abzureißen, die bereits lang bestehen, keinerlei Schaden verursachen und repariert werden könnten, hat der heute in Deutschland lebende Star-Architekt kein Verständnis. Noch weniger für polarisierende Grundhaltung: „In vielen Bereichen in Burkina Faso träumen Menschen von einem Zuhause für ihre Familien. Genau wie in Europa. Wir sollten also dringend vermeiden, von ,uns‘ und ,denen‘ zu sprechen – und stattdessen das Beste für alle schaffen. Passend zum jeweiligen Kontext“.

Pioniere gefragt!

Für einen anderen Star-Redner des UIA World Congress 2023 steht fest, dass eine erfolgreiche Suche nach neuen, nachhaltigen Lösungen „mehr first movers“ braucht: Bjarke Ingels, Gründer und Chef des dänischen Top-Büros BIG.

Das Beste, was man tun kann: Großartige Gebäude bauen, die Menschen dafür begeistern, sie zu pflegen und zu erhalten.

Bjarke Ingels, Architekt und Gründer der Bjarke Ingels Group (BIG)

Als wichtiger Player bei der Verwandlung der Kopenhagener Hafenzone vom Industrie- zum beliebten Freizeitgebiet bekannt – also quasi „Lokalmatador“ – sprach der international renommierte Architekt vielen Kollegen aus der Seele: „Architekten sind gut darin, Schuld und Lob für Dinge anzunehmen, die außerhalb ihres Wirkungsbereichs liegen“. Auf Vorgaben wie, beispielsweise, von der Politik festgelegte gesetzliche Rahmenbedingungen habe man keinen Einfluss. Und dies sei längst nicht alles. Deshalb wage sich, so Ingels, „niemand gern an noch nie zuvor Versuchtes“.

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Es sei jedoch höchste Zeit für kreative, intelligente Lösungen. Für einen Perspektivenwechsel, wie ihn Astronauten sofort erlebten, als sie die Erde erstmals vom All aus betrachten konnten: „Heute können wir alle diesen Overview Effect haben.“Neue Technologien und Internet machen's schließlich einfach – und möglich.

Nachhaltigkeit, aber mit Genussfaktor

Ingels forderte dazu auf, sozial und liberal zu denken und Nachhaltigkeit immer auch mit Genuss zu verbinden. Wie beim Kopenhagener Hafenbecken, das inzwischen mit sauberem Wasser, einladenden Badeplätzen und viel Freizeitangebot brilliert. Oder beim von BIG umgestalteten Kraftwerk CopenHill, das eine Müllverbrennungsanlage zugleich zum Ausflugsziel mit urbaner Schipiste und gigantischer Kletterwand gemacht hat. Ein immenser Gewinn für Kopenhagen – mit Mehrfachnutzen und ohne zusätzlichen Bodenverbrauch.

Der Faktor „Mensch“

Dialog-Partnerin Margrethe Vestager (EU-Kommissarin für Wettbewerb und Kommissarin sowie Vizepräsidentin für Digitales) plädierte für eine intensive Einbindung der Nutzer in die Entwicklung neuer Projekte: „Wenn Menschen nicht involviert sind, kommt es zu einem ,grünen Clash'. Weil sie dann nur denken, es sei ohnehin egal, weil alles schon so schlecht ist.“

Für den, für unkonventionelle, zukunftsorientierte Pläne berühmten Ingels steht fest: „„Das Beste, was man tun kann: Großartige Gebäude bauen, die die Menschen dafür begeistern, sie zu pflegen und zu erhalten.“

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Die Erstellung eines Modells, das quasi „alle Menschen der Welt zu einem großen Woodstock zusammenführt“, habe vieles klarer sehen lassen. Zum Beispiel, dass es ungeahnte Möglichkeiten gäbe, Nachhaltigkeit durch smarte Nutzung von Grund und Boden voranzutreiben. Etwa durch Kombination von Forstwirtschaft und Tierhaltung, weil zwischen Bäumen frei grasende Kühe gesünder leben und weniger Methan produzieren, während Holz nachwächst.

Wichtige Kooperation: Technik & Architektur

Wie wichtig für Nachhaltigkeit auch die Kooperation aller mitwirkenden Disziplinen der Branche ist, brachte OMA-Partner, Architekt und Buchautor Reinier de Graaf in einem anderen Panel aufs Tapet: „Alles aus Holz zu bauen wäre gar nicht möglich. Das wäre ein Umweltdesaster.“ Enge Zusammenarbeit von Forschern, Technikern und Architekten sei unabdingbar, um neue Lösungen zu finden.

Schließlich, wie auch die US-amerikanische Top-Architektin Jeanne Gang hervorhob: „Auch wenn man mit Stampflehm baut, ist nach wie vor noch Zement nötig, den wir loswerden müssen.“ Ihr Beispiel: Auch beim Backen kann man Zutaten austauschen, um letztlich zum idealen Ergebnis zu kommen. Bei Beton gelte es noch, einen nachhaltigen Ingredienzien-Mix zu finden.

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Was neue Technologien, nachhaltigere Materialien, Lösungsansätze für urbane und rurale Probleme, Inklusion und mehr betrifft, bot der UIA Kongress ein dichtes, vielfältiges Programm. Bis hin zu spannenden Präsentationen junger Architekten und Aussteller aus aller Welt.

Ideen-Dorado UIA World Congress

Von kostengünstigen Bauteilen für feste Behausungen bis zu Minimalversionen von Solar- und Wasseraufbereitungsanlagen, die das Leben auch in kleinstem Rahmen leichter machen: Vor allem Ideen zur Linderung der Not der Bewohner krisengebeutelter Zonen schlugen zahllose Teilnehmer in ihren Bann.

Die jungen Leute sind sensibilisiert und wollen für ihre Zukunft kämpfen. Awareness hilft uns, Lösungen zu finden. Ich teile die Hoffnung, dass wir eine bessere Welt gestalten können!

Architekt Francis Kéré
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Ein schöner Hoffnungs-Turbo für die Projekte und die Investorensuche der nächsten Generation, auf deren Engagement etwa Francis Kéré große Stücke hält: „Die jungen Leute sind sensibilisiert und wollen für ihre Zukunft kämpfen. Awareness hilft uns, Lösungen zu finden. Ich teile die Hoffnung, dass wir eine bessere Welt gestalten können!“

Erkenntnisse & Vorsätze

Die zehn Grundsätze, die zu Ende des fünftägigen UIA Events veröffentlicht wurden, sollen helfen, den Weg in diese bessere Zukunft zu ebnen. Denn wie Kongress-Präsidentin Mossin zum Abschluss erklärte, stellen diese Deklarationen klar, „was es bedeutet, wenn wir die bebaute Umwelt planen und entwickeln“.

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Die „10 Copenhagen Lessons“

Würde und Handlungsfähigkeit aller Menschen sind in der Architektur von grundlegender Bedeutung. Es liegt keine Schönheit im Ausschluss.Menschen, die Gefahr laufen, zurückgelassen zu werden, müssen bei der Konstruktion, Planung und Entwicklung der gebauten Umwelt zuerst berücksichtigt werden.Vorhandene bauliche Strukturen müssen immer zuerst wiederverwendet werden.Keine neue Entwicklung darf grüne Felder auslöschen.Natürliche Ökosysteme und die Nahrungsmittelproduktion müssen unabhängig vom baulichen Kontext erhalten bleiben.Beim Bau dürfen keine neuen mineralischen Materialien verwendet werden, wenn eine Wiederverwendung möglich ist.Beim Bau darf kein Abfall produziert oder zurückgelassen werden.Bei der Beschaffung von Baumaterialien haben lokale, erneuerbare Materialien Vorrang.Bei allem, was wir bauen, muss die Kohlenstoffbindung den Kohlenstoff-Fußabdruck übertreffen.Bei der Entwicklung, der Planung und dem Bau der bebauten Umwelt muss jede Aktivität positiven Einfluss auf die Wasserökosysteme und die Versorgung mit sauberem Wasser haben.

Text: Elisabeth Schneyder Bilder: UIA World Congress of Architects 2023, Elisabeth Schneyder

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