EU Mies Award zu Gast in Wien
Es wäre geradezu frevelhaft, der Siegerehrung nichts weiter folgen zu lassen. Denn was die zum Mies van der Rohe Preis eingereichten Projekte zeigen, ist ein grandioser Überblick über die innovativen Ideen europäischer Architekten. Deshalb wird das Ergebnis des als EU Mies Award bekannten Bewerbs quasi auf „Wanderschaft“ geschickt. Jetzt kommt die Ausstellung nach Österreich: Ab 30. Juli 2020 zeigt das Architekturzentrum Wien Siegerprojekt, Finalisten und Nominierte der jüngsten, 2019 abgeschlossenen Runde. Titel der spannenden Werkschau: „Europas beste Bauten“.
Europäische Top-Architektur
Der nach dem legendären Architekten Ludwig Mies van der Rohe benannte EU Mies Award wird alle zwei Jahre verliehen. Dem jeweiligen Sieger des begehrten Architekturpreises, der besonders nachhaltige und innovative europäische Projekte auszeichnet, winken 60.000 Euro.
Die feierliche Preisverleihung des jüngsten Award-Durchgangs ging im Mies van der Rohe Pavilion in Barcelona über die Bühne. Die entsprechende Wanderausstellung wurde bereits in Charkiw (Ukraine), Atlanta und Brüssel gezeigt. Neben Wien finden sich auch Leuven, Nicosia, Nottingham, Breslau undNordrhein-Westfahlen auf ihrer Reiseliste.
Sieger des Jahres sind die Büros Frédéric Druot Architecture, Lacaton & Vassal architectes und Christophe Hutin Architecture. Ihr gemeinsames Projekt „Grand Parc Bordeaux“ – die nachhaltige, moderne Sanierung dreier abbruchreifer Wohnblöcke – wurde zwischen 2014 und 2017 realisiert.
Die Ausstellung demonstriert anschaulich, dass das Sieger-Team auch in der Schlussphase noch starke Konkurrenten hatte. Denn auch die anderen vier Finalisten des EU Mies Award 2019 warteten mit wahrhaft spektakulären Werken auf.
Starkes Finale, spannende Ausstellung
So hielt sich auch das Projekt PC CARITAS im belgischen Melle von architecten de vylder vinck Taillieu bis zuletzt in der engsten Wahl. Ebenso, wie das beeindruckende, vom spanischen Architektenteam selgascano designte Plasencia Auditorium and Congress Centre (siehe auch Beitragsbild).
Auch das Projekt Skanderbeg Square im albanischen Tirana von 51N4E, Anri Sala, Plant en Houtgoed und iRI konnte sich für die Endrunde qualifizieren. Und das Terrassenhaus Berlin / Lobe Block von Brandlhuber+ Emde, Burlon und Muck Petzet Architekten zählte ebenfalls zum Kreis der Finalisten.
Der im Rahmen des EU Mies Awards ebenfalls vergebene, spezielle Preis für Nachwuchsarchitekten – der mit 20.000 Euro dotierte „Emerging Architect Prize“ – ging 2019 an das Büro BAST. Hier überzeugte die Erweiterung eines Schulgebäudes im französischen Montbrun-Bocage nahe Toulouse die Jury.
Gelungene Transformationen
Die aus renommierten Experten bestehende Jury hatte aus 383 Nominierten zu wählen. Kein leichtes Unterfangen für die Juroren Dorte Mandrup, George Arbid, Angelika Fitz, Stefan Ghenciulescu, Kamiel Klaasse, María Langarita und Frank McDonald.
Die Themen Umbau, Ausbau und neue Nutzungsmöglichkeiten spielten bei der Auswahl eine gewichtige Rolle. Jury-Mitglied Ștefan Ghenciulescu: „Wie es scheint gibt es ein generelles Bewusstsein, dass das Neue hauptsächlich eine dem Alten hinzugefügte Ebene ist“.
Die Jury unter dem Vorsitz der dänischen Top-Architektin Dorte Mandrup befand, dass die fünf Finalisten-Projekte offene Programme angehen. Solche, die es den Menschen ermöglichen, unterschiedliche Arten der Raumnutzung zu entdecken. Eine Ansicht, die sich schon durch knappe Projektbeschreibung leicht belegen lässt.
EU Mies Award würdigt Vielseitigkeit
Die Balkone und Wintergärten des Sieger-Projektes in Bordeaux erhöhen Volumen, Helligkeit und Luftqualität der Wohnungen. Diese können nun von den Bewohnern auf vielfältige Weise genutzt werden. PC CARITAS wird zu einer neuen Art öffentlichen Raums in einem bestehenden Gebäude.
Das Kongresszentrum in Plasencia ist nicht nur ein Ort, um Kongresse zu veranstalten. Der Platz in Tirana wird zu einem Saal – einem Ort zum Sitzen, Spielen, Durchgehen und vielen anderen Aktivitäten. Und das Gebäude in Berlin bietet verschiedene Einheiten, die auf unterschiedliche Weise nutzbar sind.
Dass gleich zwei kollektive Wohnprojekte und zwei öffentliche Räume unter den Finalisten waren, sei nur konsequent, meint EU Mies Award-Jurorin Angelika Fitz. Denn, so die Direktorin des Architekturzentrums Wien: „Der Mangel an leistbarem Wohnraum, wie wir ihn zurzeit in vielen europäischen Städten, aber auch im touristifizierten ländlichen Raum erleben, und das Fehlen von zentralen Infrastrukturen stellen eine Menschenrechtsverletzung dar“.
Kollektive Wohnprojekte gefragt
Schließlich schreibe Artikel 25 der UN-Menschenrechtserklärung fest, dass jeder das Recht „auf einen Lebensstandard hat, der der Gesundheit und dem Wohlergehen seiner selbst und seiner Familie angemessen ist, einschließlich Nahrung, Kleidung, Unterkunft ...", betont Fitz.
Auch in der Liste der 40 Shortlist-Projekte finden sich sechs gemeinschaftliche Wohnbauten beziehungsweise gemischte Gebäude mit Wohnnutzung.
Jurorin Fitz: „Der EU Mies Award ist ein Seismograf für das Architekturgeschehen in Europa. Zugegebenermaßen nicht unbedingt für die Masse des alltäglichen Baugeschehens, aber für das transformative Potential, das Architektur im besten Fall auftun kann“.
Architektur beeinflusst Zukunft
Was Architektur zu den großen Fragen unserer Zeit beitragen könne, sei wichtig. Dazu zähle der Umgang mit Ressourcen, aber auch die Wohnungs- und Bodenfrage. Und das, was Architektur in Sachen sozialer, ökonomischer und ökologischer Gerechtigkeit und Zusammenleben in der zunehmend diversen Gesellschaft leisten könne.
„Wenn Architekten und Architektinnen diese Fragen stellen und auf Bauherrn, Nutzer und öffentliche Verwaltungen treffen, die diese Dringlichkeiten teilen, tun sich neue Möglichkeiten für ein gutes Leben auf. Und im besten Falle wirkt der gebaute Möglichkeitsraum, den die ausgezeichneten Projekte aufspannen, in die breite Architekturproduktion zurück“, analysiert die Jurorin.
Dazu passen die Vorgaben, auf denen die Preisvergabe des EU Mies Awards basiert. Denn dieser soll Architekturwerke würdigen, die sich durch konzeptionelle, soziale, kulturelle und technische Exzellenz auszeichnen.
Mit welchen entsprechenden Innovationen und Konzepten Europas Architekturschaffende zum Wohlbefinden der Menschen und der nachhaltigen Entwicklung europäischer Städte und Dörfer beitragen können, zeigt die Wanderausstellung. Eine spannende Werkschau, die Raum zum Hinterfragen, zugleich aber viele Anregungen und Antworten bietet.
Text: Elisabeth SchneyderBilder: BOZAR, Iwan Baan, Philippe Ruault, Filip Dujardin, Jordi García, David von Becker
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