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Die Waldstadt der Zukunft

Die diesjährigen Überflutungen in zahlreichen Gebieten Europas haben wieder einmal vor Augen geführt: Unsere gebaute Umwelt muss resilienter werden und sich besser vor Extremwetterereignissen schützen. Bäume und Pflanzen sind nicht nur eine wichtige CO2-Senke, sie spielen auch die Hauptrolle, wenn es darum geht, Städte an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. Das lässt sich recht einfach nachvollziehen, wenn man zum Beispiel weiß, dass eine 80-jährige Linde eine jährliche Kühlleistung von rund 200 Kühlschränken hat.

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Die Disziplin der Landschaftsarchitektur ist daher in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Einer der größten und erfolgreichsten Player auf diesem Gebiet ist das dänische Büro SLA, das unter anderem für die Bepflanzung von Copenhill verantwortlich zeichnet, eine Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen mit Dachpark und Skipiste. Mette Skjold, CEO von SLA, war als Vortragende zu Gast bei architektur in progress in Wien und hat dem ubm magazin. ein exklusives Interview gegeben.

Es ist gar nicht so lange her, da gab es eine relativ klare Trennung zwischen Natur, bepflanzten Räumen und der gebauten Umwelt. Was ist seither passiert?

Mette Skjold: Als ich als Architektin begann, war ich acht Jahre lang bei Henning Larsen, und ich arbeitete an Projekten von der Perspektive der Bauens aus. Als ich zu SLA kam, waren wir zu 90 Prozent als Berater für andere Architekturbüros tätig. Das sieht heute ganz anders aus, in erster Linie wegen des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf die versiegelten Flächen in der Stadt.

Früher hieß es, wenn alles fertig gebaut war: So, jetzt bitte noch rundherum ein bisschen begrünen. Aber ihr seid heute vermutlich schon im frühen Planungsstadium eingebunden.

SLA wurde vor 30 Jahren von Stig L. Andersson gegründet. Unser Ansatz war schon immer der, dass Landschaftsarchitektur nicht etwas sein sollte, um das man sich nach dem Bauen kümmert, sonder von Beginn an. Landschaftsarchitektur ist kein Nachspiel, keine Behübschung des Gebäudes, sondern eine komplementäre Disziplin zwischen der gebauten und der natürlichen Umwelt. In der gebauten Umwelt stecken so viele Herausforderungen, mit denen Städte heute zu kämpfen haben, und die Landschaftsarchitektur ist im Grunde die einzige Disziplin, mit der diese sich ganzheitlich und kosteneffizient bewältigen lassen. Vor 30 Jahren hat die Welt nicht zugehört, aber das hat sich geändert. Heute sind wir bei unseren Projekten von Beginn an dabei – manchmal sogar vor den Bauarchitekten!

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Landschaftsarchitektur ist im Grunde die einzige Disziplin, mit der sich die heutigen Herausforderungen in den Städten ganzheitlich und kosteneffizient bewältigen lassen.

Mette Skjold, CEO von SLA

Was ist der Ausgangspunkt eurer Arbeit?

Bei einem naturbasierten Design und einem landschaftsorientierten Planungsansatz geht es zuallererst darum zu schauen, was da ist. Wie sehen die Böden aus? Was sind die klimatischen Bedingungen? Wie sind die soziale und die physische Infrastruktur beschaffen? Hier gibt es so viele Hebel, die wir ansetzen können, um die Städte in Zukunft robuster und resilienter zu machen.

Beispiele für die Auswirkungen der Klimaerwärmung gab es in letzter Zeit ja genug...

2011 hatten wir in Kopenhagen so heftigen Starkregen und Überflutungen, dass die Stadt fast eine Woche lang lahmgelegt war. Die Aufräum- und Reparaturarbeiten beliefen sich auf über eine Milliarde Euro. Das brachte die Stadt natürlich zum Nachdenken, aber zugleich zeigt es, dass wir in puncto Klimaanpassungen die Natur näher an die Menschen in der Stadt heranbringen müssen. Die Vorteile davon sind unheimlich vielfältig, sowohl auf sozialer als auch auf ökologischer Ebene.

Wie sehen diese Vorteile im Detail aus?

Wir wissen zum einen, je näher wir die Photosynthese an die CO2-Emisssionsquellen heranbringen, desto effektiver ist die Dekarbonisierung. Zum anderen sind naturnahe Städte besser an die Klimaveränderungen angepasst, das Regenwasser lässt sich auffangen, der Lärm und die Luft werden gefiltert. Außerdem schafft die Natur ein Zugehörigkeitsgefühl.

Was macht dieses Zugehörigkeitsgefühl mit uns?

Wenn im Alltag die Nähe zur Natur gegeben ist, dann haben wir einen stärkeren Bezug dazu und spüren, dass auch wir ein Teil der Natur sind. Das kann das Denken und Handeln jedes Einzelnen beeinflussen. Jahrzehntelang waren Stadt und Natur getrennt, das Problem war quasi ausgelagert, es ging uns nichts an.

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Wie kann man sich das „Designen von Natur“ vorstellen?

Wir imitieren die Natur nicht. Unsere Absicht ist es, die Ökosystemleistungen der Natur in die Städte zu bringen. Dies umfasst viele unterschiedliche Aspekte, aber hauptsächlich geht es darum, das Risiko für künftige Extremwetterereignisse zu minimieren und insgesamt einen Mehrwert für die Bürger zu schaffen. Das heißt, wir beschäftigen uns nicht mit Biomimikry, sondern mehr mit Biophilie und damit, wie naturbasiertes Design sich anfühlt und funktioniert. Anstatt es „Natur“ zu nennen, nennen wir es „neue Natur“.

Wie seid ihr innerhalb des Unternehmens aufgestellt?

Wir sind sehr interdisziplinär. Bei uns arbeiten Biologen, Pflanzenexperten und Pflanzdesigner, wir haben Designer für Licht- und Dunkelheit, Geographen, Anthropologen und sogar einen Philosophen, der die Geschichte eines Ortes erforscht und wie die Natur im kulturellen Erbe verankert ist. Wir arbeiten mehr und mehr darauf hin, den Werteprozess auszuarbeiten und die Value Proposition (Deutsch: das Wertversprechen) zu erhöhen. Dadurch entsteht eine neue Aufschlüsselung im Design, denn Biologen arbeiten anders als zum Beispiel Geographen. Wenn wir das volle Spektrum abbilden, können wir die Benefits erhöhen und die Risiken minimieren. In diesen Fokus wurde sehr lange sehr viel Energie gesteckt, und jetzt gibt es die Nachfrage dafür.

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Je näher wir die Photosynthese an die CO2-Emisssionsquellen heranbringen, desto effektiver ist die Dekarbonisierung.

Mette Skjold, CEO von SLA

Ihr seid auch außerhalb von Skandinavien tätig. Ist eure Arbeitsweise universell anwendbar?

Unsere Hauptmärkte außerhalb von Skandinavien sind England, Kanada und Abu Dhabi, aber wir haben auch andauernde Projekte unter anderem in Deutschland, Frankreich und China. Dass wir hier einen Blick von außen haben, ist durchaus von Vorteil. In vielen Fällen ist es so, als würden wir das wieder zurückholen, was einst integraler Bestandteil der Kultur war, aber dann in Vergessenheit geraten ist. Unser Ansatz beruht darauf, die Wunder eines Ortes freizulegen und mit neuem Leben zu versehen. Das heißt, wir arbeiten mit dem, was bereits da ist. Die Chancen, dass ein naturbasiertes Konzept erfolgreich ist, sind dadurch höher.

Geht es bei naturbasiertem Design auch um Ästhetik?

Natürlich gibt es auch einen ästhetischen Wert in naturbasiertem Design, aber unser ästhetischer Ansatz basiert mehr auf einem naturwissenschaftlichen Verständnis von Ästhetik. Es geht mehr um die Verschmelzung all unserer Sinne. Zum Beispiel, wenn man mitten im Wald steht, alle Sinne sind wach, und man wird von diesem Gefühl ergriffen, Teil von etwas Größerem zu sein. Diese Art von Wahrnehmung, Gefühl oder Erlebnis ist es, die wir mit unserer Arbeit erreichen wollen.

Welchen Rat haben Sie für Städteplaner, die aktuell mit sehr vielen Herausforderungen konfrontiert sind?

Ich empfehle immer, mit einem Versuchsmodell zu starten und sich nach dem Trial and Error-Prinzip vorzutasten. Es kann sein, dass man es nicht gleich beim ersten Mal richtig hinbekommt, aber das Wichtige ist, ins Tun zu kommen, und sich nicht von der Angst zu scheitern lähmen zu lassen. Abgesehen davon ist das Wichtigste, an Ort und Stelle zu sein und den lokalen Kontext zu verstehen.

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Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wir arbeiten derzeit an einigen sehr großen Entwicklungsprojekten in London, wo es neuerdings die Auflage des ‚Biodiversity Net Gain‘ gibt. Sie besagt, dass Bauträger nur dann eine Baugenehmigung erhalten, wenn sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Biodiversität am Standort um zehn Prozent steigt. Das stößt definitiv einen Wandel an, wie wir unsere Städte künftig transformieren, nachverdichten und erweitern. Sehr viele Investitionsvorhaben basieren auf Key Performance Indicators (Deutsch: Schlüsselkennzahlen), und das ist, als würde ein Excel-Sheet auf dem Planeten Erde landen. Dabei lässt sich so viel gewinnen, wenn man sich einfach nur anschaut, wie der Ort beschaffen ist, und daraus das Nutzenversprechen ableitet. Alles, was man auf dieser Basis baut und pflanzt, ist solider und robuster gegenüber den immer unvorhersehbareren Wetterereignissen.

Die Verbindung zwischen Landschaftsarchitektur und Biodiversität ist den meisten Menschen klar. Aber wie hängt soziale Gerechtigkeit damit zusammen?

Wir haben eine Biologin bei uns, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit eine Studie basierend auf Satellitendaten von 900.000 Menschen in ganz Europa gemacht hat. Das Ergebnis war: Kinder und Jugendliche, die jeden Tag mit der Natur in Kontakt waren, hatten ein geringeres Risiko in ihrem späteren Leben psychisch zu erkranken. Hier kommt also die soziale Ebene ins Spiel. Wenn man daraus eine sozio-ökonomische Gleichung macht, dann kommt man zu folgendem Schluss: Grünflächen, Parks und sogar urbane Wälder zu errichten kostet weniger als die Folgebehandlung von Kindern, die ohne Zugang zur Natur aufwachsen.

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Die Stadt der Zukunft wird sich anfühlen und funktionieren wie ein Wald.

Mette Skjold, CEO von SLA

Können öffentliche Räume auch das Verhalten der Menschen beeinflussen?

Ja, im öffentlichen Raum können wir gut ansetzen, um ein neues Verhalten anzuregen und zum Beispiel zufällige Begegnungen zu fördern. Denn abgesehen von einer Gesundheitskrise stehen wir heute auch vor dem Problem zunehmender Vereinsamung. Bei der Landschaftsplanung versuchen wir solche Begegnungen zu orchestrieren. Das heißt, man trifft auf einen Nachbarn, wenn man den Müll rausträgt oder der Laden von nebenan wird durch den neuen Eislaufplatz zum belebten Nachbarschaftstreff. Es geht einerseits darum, das soziale Leben in der Stadt zu lenken und Räume zu programmieren. Andererseits ist es genauso wichtig, Räume unverplant zu lassen, damit sie individuell erschlossen werden können.

Österreich hat ein großes Problem mit einem immensen Bodenverbrauch auf der einen und einem hohen Leerstand auf der anderen Seite. Gibt es diesbezüglich irgendwelche Tipps aus der grünen Vorbildnation Dänemark?

Was mir zum Leerstand einfällt: Es gibt Developer und Grundstücksbesitzer, die bei Leerständen nicht mit riesigen Plakaten und dem Hinweis „Zu Vermieten“ in überdimensionierten Lettern darauf aufmerksam machen, sondern stattdessen versuchen, das örtliche Erlebnis zu verbessern. Denn wir wissen, dass Menschen bereit sind, zehn bis 15 Prozent mehr für Immobilien zu bezahlen, wenn sie dafür an einer Straße sind, in der Bäume stehen.

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Zu den bekanntesten Projekten, an denen SLA maßgeblich beteiligt war, zählt vermutlich Copenhill. Was war das Besondere an dieser Aufgabe?

Die Amager Bakke Stiftung war für das Bauprojekt am Dach der Müllverbrennungsanlage verantwortlich. Sie hat uns eingeladen, einen Naturpfad anzulegen und das Dach mit möglichst viel Natur zu gestalten. Der Standort ist sehr windig und befindet sich im dunklen Industriehafen von Kopenhagen. Unsere Idee zum Pflanzdesign war daher die Kreuzbestäubung, die mit dem Wind verbreitet wird. Copenhill fungiert als eine Art „Bestäubungsbombe“ für das Hafengebiet, wenn man so will. Bei diesem Projekt haben wir so viel umgesetzt, was wir noch nie zuvor probiert hatten. Wir pflanzten relativ hohe Bäume auf einer sehr steilen Konstruktion, dazu kam die Wärmeübertragung vom Kraftwerk darunter. Nur durch die sehr enge Zusammenarbeit mit Baumschulen und der Baufirma war es möglich, gemeinsam eine Pionierlösung dafür zu finden.

Die Natur ist einem ständigen Wandel unterworfen. Ist ein naturbasiertes Design-Projekt unter diesem Gesichtspunkt je fertig?

Nein, fertig ist es nie. Es gibt die offizielle Eröffnung oder Einweihung. Das ist der Moment, an dem sich das Projekt mit Leben füllt und erst so richtig spannend wird. Wir begleiten das Projekt dann weiter und besuchen den Standort regelmäßig. Es ist unheimlich schön zu sehen, wie das, was wir für die Pflanzungen ausgewählt haben, tatsächlich wächst und gedeiht. Davon lässt sich eine Menge lernen.

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Obwohl zwei Drittel der Fläche entsiegelt wurden, blieb genug Platz für alle Verkehrsteilnehmer, und die Artenvielfalt hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt.

Mette Skjold, CEO von SLA

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Am Sankt Kjelds Plads & Bryggervangen in Kopenhagen haben wir an einem Kreisverkehr in einer Wohngegend 9.000 Quadratmeter Asphalt entsiegelt und 600 Bäume gepflanzt, dazu viele Gräser und Stauden. Es ist das bislang größte Regenwassermanagement-Projekt der Stadt und zugleich ein neuer Erholungsraum für die Bewohner. Mittlerweile ist daraus ein richtiger städtischer Dschungel entstanden, obwohl es sich eigentlich um Infrastruktur handelt. Obwohl zwei Drittel der Fläche entsiegelt wurden, blieb genug Platz für alle Verkehrsteilnehmer. Einer unserer Biologen, der das Projekt betreut, hat festgestellt, dass sich die Artenvielfalt innerhalb eines Jahres verdoppelt hat. Das heißt, es gibt immer sehr viele Erkenntnisse, die ihren Weg zurück ins Studio finden.

Ist man bei so einem Projekt auch mit Kritik konfrontiert?

Manche Menschen haben die Vorstellung, dass ein Wald mitten in der Stadt die Kriminalität zwingend erhöhen müsse. Aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Laut einer US-amerikanischen Studie sinkt die Verbrechensrate in Städten, je mehr Grünflächen es gibt. Kritik wie diese kommt meistens von Menschen, die nicht dort leben. Die Anwohner selbst finden es großartig.

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Welche sind die befriedigendsten Momente in ihrer Arbeit?

Der schönste Moment ist, wenn ich sehe, wie die Menschen einen Ort einnehmen, und wenn ich Geschichten und Narrative dazu sammeln kann.

Während COP 28 in Dubai besuchten wir den von uns gestalteten Al Fay Park in Abu Dhabi, der erste Biodiversitätspark im Nahen Osten. Zu sehen, wie der gesamte Raum von so vielen unterschiedlichen Menschen genutzt wurde, über alle Altersgruppen und Nationalitäten hinweg, das war überwältigend. Das Blätterdach der Bäume hatte sich über den Wegen geschlossen, weil in dem Klima dort alles fünf bis sechs Mal so schnell wächst als hier.

Wie sieht die Stadt der Zukunft in Ihrer Vorstellung aus?

Eines steht fest: Wir können nicht weitermachen wie bisher und so tun, als hätten wir vier Planeten. Wir haben zwar bisher noch keine naturbasierte Stadt gebaut, aber wir wissen, wie sie funktionieren wird. Die Stadt der Zukunft wird sich anfühlen und funktionieren wie ein Wald.

Interview: Gertraud Gerst Fotos: SLA, Mikkel Eye, Justin Hummerston, Magnus Møller, and DroneRune

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