Der Sterne Geleit
"Landroom" steht inmitten der israelischen Wüste Negev. Das minimalistische Bauwerk aus Stampflehm von Gitai Architects ist eine Kreuzung aus Schutzraum und Observatorium.
Mit der Sahara und ihrer Fläche von 9,2 Millionen Quadratkilometern kann sie nicht mithalten. Dennoch: Die Wüste Negev ist vergleichsweise groß. Denn sie nimmt mit etwa 12.000 Quadratkilometern rund 60 Prozent des Staates Israel ein. Es leben aber nur knapp zehn Prozent der Bevölkerung in diesem Gebiet. Und inmitten dieses besonderen Lebensraums steht jetzt der „Landroom“.
Landroom: Eine Art „Schützhütte”
Als „Living Room”, also Wohnzimmer, kann man den Landroom wahrlich nicht sehen. Der minimalistische Bau im Süden Israels ist lediglich sechs Quadratmeter groß. Ein natürlicher Fußweg führt direkt zu ihm. Das quadratische Gebäude hat ein kreisförmiges Inneres und eine Öffnung zur Wüste hin – sowie einen eingebauten Sitz, wo Reisende sich ausruhen können.
Das Architekturbüro Gitai Architects hat ihn als Beobachtungspunkt am Rande des Mitzpe Ramon Kraters konzipiert. Aber nicht nur: Des nachts fungiert es als Sternenobservatorium. Bei Tageslicht ist der kleine Bau als „Schutzwall” gegen die allzu starke Sonneneinstrahlung gedacht. Landroom ist daher eine besondere Art von „Schutzhütte”.
Blick zu den Sternen
Der Landroom hat kein Dach, sondern ist stattdessen zum Wüstenhimmel offen. Der Besucher wird gleichsam von den erdverbundenen Wänden eingerahmt.
Der Machtesch Ramon oder Ramon-Krater ist der größte von etlichen Erosionskratern in der Wüste Negev. Die Erosionskrater sind weltweit einzigartige geologische Erscheinungen. In der größten Ausdehnung misst der Ramon-Krater fast 40 Kilometer. Er ist zwischen zwei und zehn Kilometer breit und 500 Meter tief.
Der gesamte Ramon-Krater ist ein Natur- und Landschaftsschutzgebiet. Aufgrund der Entstehung durch Erosion sind diese Krater eine Art „geologisches Zeit-Fenster“. Sie geben Einblick in die Geologie von Millionen von Jahren. Nur nachhaltige touristische Nutzung ist erlaubt. Am nördlichen Kraterrand liegt das Wüstenstädtchen Mitzpe Ramon, das über ein Besucherzentrum verfügt.
Die vom Erosionsprozess freigelegten Sehenswürdigkeiten im Machtesch Ramon sind urzeitliche Vulkankegel, versteinerte Baumstämme und Korallenriffe, Magmaspalten und -kammern, viele Fossilien, etc. Durch die Erosion bieten die unterschiedlichen Sandsteinschichten ein vielfältige Farbenpracht.
Nur lokale Materialien
Architekt Ben Gitai, Gründer von Gitai Architects, hat für das Objekt nur lokal vorkommende Materialien verwendet – Erde und Sand aus dem Krater sowie Steine, die am Standort lagern. Bei der Errichtung wurden Bodenschichten in eine speziell für den Bau geschaffene Form gepresst. Auf diese Weise wiederholt sich die Materialschichtung und entfaltet ihren optischen Reiz.
Der Architekt hat diese Technik bereits zuvor für ein Denkmal-Projekt aus Lehm angewendet, das, wie er sagt, das einzige Denkmal weltweit aus Lehm ist. Für Gitai ist dies eine sehr überdauernde Bauweise, denn die zusammengesetzten Erdschichten enthielten natürliche Mineralien und ihre Moleküle gingen mit der Zeit immer stärkere Verbindungen ein. Gitai erinnert an die zahlreichen Abschnitte der Chinesischen Mauer, die auf diese Weise erbaut worden seien.
Kontinuierlicher Dialog
Das Projekt wurde von der Gemeinde Mitzpe Ramon in Auftrag gegeben. Das Studio Gitai sei nun dabei, ein großes Hotel in ähnlichem „architektonischen Geist” für die Gemeinde zu realisieren.
Das Projekt untersucht die Beziehung zwischen materiellem und territorialem Raum und wie sie sich gegenseitig definieren.
Eine der Kernideen des Projekts ist, dass zwischen innerer und äußerer Umgebung ein kontinuierlicher Dialog entsteht, eine sinnvolle Verbindung zwischen dem „Landroom” und der ihn umgebenden Landschaft. Im Tagesverlauf und mit den sich ändernden klimatischen Verhältnissen und Umweltbedingungen verändert sich auch die Atmosphäre innerhalb des Bauwerks. Der Dialog erklingt auch durch die im Rauminneren an einem Fenster angebrachte Windglocke aus Wüstenstein.
Projekt: Sternenobservatorium, Schutzhütte;
Standort: Israel, Mitzpe Ramon;
Realisierung: 2020;
Gestaltungsteam: Ben Gitai, Sara Arneberg Gitai;
Mitwirkende: Yves Tirman, Isabelle Wolf
Eine Art Übergang
Nach den Experten von Gitai Architects ist das Objekt zudem eine Art Schnittstelle beziehungsweise kennzeichnet den Übergang von einem normativen Lebensstil, wie es sein sollte, zu unvorhersehbaren Lebensbedingungen, die wir nicht beeinflussen können, wie sie die Umgebung uns mitunter zumutet oder wie wir sie aktuell im Zuge der Pandemie erleben. Der Landroom soll dem Besucher nicht zuletzt ein Gefühl von Freiheit und Weite inmitten dieser einzigartigen Landschaft vermitteln.
Das Projekt wird auch im Rahmen der Ausstellung „Time Space Existence” gezeigt, die vom Europäischen Kulturzentrum auf der Architekturbiennale Venedig 2021 organisiert wird. Gitai Architects wurde 2014 gegründet und hat Büros in Paris und Haifa.
Weitere Projekte in der Negev-Wüste sind unter anderem das Six Senses Shaharut Hotel von Plesner Architects und Amir Mann-Ami Shinar Architects sowie der mit facettierten Aluminiumverkleidungen versehene Ramon Airport von Moshe Zur Architects.
Text: Linda Benkö Fotos: Ben Gitai, Dan Bronfeld
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