Das smarteste Theater der Welt
Wenn es ein Architektur-Studio geschafft hat, eine selbst für Laien lesbare Handschrift zu entwickeln, dann Zaha Hadid Architects (ZHA). Die organischen Formen der meist sehr großen Bauten aus dem Büro der 2016 verstorbenen Star-Architektin Zaha Hadid brennen sich ins Gedächtnis des Betrachters. Hinterlassen bleibenden Eindruck und schreiben laut: „Das haben ZHA gemacht!“
Origami, oder wie?
So ist es auch beim gerade im Bau befindlichen Jinwan Civic Art Centre. Auch hier ist die Organik des Konzepts offensichtlich, wenn dessen Herleitung auch nicht ganz so plakativ ist wie etwa beim Peking Flughafen, der soeben fertiggestellt wurde. Dieser erinnert schon auf den ersten Blick an einen überdimensionalen Kraken.
Das Jinwan Civic Art Centre hingegen bedarf dann doch etwas mehr Erklärung. Die gezackten Ausformungen der Fassade und die asymmetrischen Auskragungen der spektakulären Dachkonstruktion lassen sich nicht sogleich einem Tier oder einer Pflanze zuordnen. Vielleicht geht es diesmal gar um die japanische Faltkunst namens Origami?
Wir haben also einfach nachgefragt. Die offizielle Antwort des Planungsteams: „Äußerlich zeichnet sich das Jinwan Civic Art Centre durch seine charakteristische, gefaltete Dachstruktur aus, die aus vorgefertigten, dreieckigen Paneelen aus perforiertem Stahl besteht. Diese Paneele sind im Chevron-Muster angeordnet. Sie sind also dem Muster der Zugvögel nachempfunden, die in Formation über Südchina fliegen.“
Jinwan Civic Art Centre als Überflieger
Kurz zum allgemeinen Verständnis: Chevron-Muster ist die französische Bezeichnung für Zickzack-Muster. Dieses gehört tatsächlich zu den ältesten Ziermustern der Menschheitsgeschichte. Gut möglich, dass dafür Zugvögel wie etwa Wildgänse als Vorlage dienten, die in eben solchen Zickzackformationen tausende Flugkilometer zurücklegen. Nun jedenfalls dient ihr Flugstil als Master für Zaha Hadids neuesten Wurf.
Hinter der spektakulären Chevron-Fassade werden sich übrigens nach der Fertigstellung ein Theater mit 1.200 Sitzplätzen, eine Multifunktionshalle mit 500 Plätzen, ein Kunstmuseum und ein Wissenschaftszentrum verbergen. Und das auf einer Grundfläche von 170 mal 270 Metern, die von einem See umgarnt wird. Und eben diese Einbettung in eine natürliche Wasserwelt ist ein bewusstes Statement: Das Jinwan Civic Art Centre ist genau so nah an der Natur konzipiert, wie es seine Form schon verrät. Denn diese ist genau so wenig bloß einem kreativen Zugang geschuldet, wie die integrierte Technik dem Spleen der Architekten. Aber dazu später. Bleiben wir kurz noch bei den sichtbaren Elementen.
Dach mit besonderen Facetten
Das bereits erwähnte Chevron-Muster der Dachkonstruktion manifestiert sich bei genauerer Betrachtung in sich in unterschiedlichen Größen wiederholenden vergitterten Stahlvordächern. „Das Ergebnis ist eine Komposition zusammengehöriger Elemente, die auf die unterschiedlichen funktionalen Anforderungen der einzelnen Gebäudebereiche reagieren", erklären ZHA. Heißt: Die einzelnen Elemente sind allesamt mit perforierten Aluminiumpaneelen ausgestattet. Deren Ausrichtung ist an jeder Stelle so gewählt, dass die darunterliegenden Räumlichkeiten einerseits einen natürlichen Sonnenschutz genießen und andererseits immer ein unterschiedlicher Grad an Sonnenlicht in die Innenräume eindringt.
So wird jeder Raum mit der maximal möglichen Dosis an natürlichem Licht geflutet, ohne gleichzeitig höhere Kühlkosten zu generieren. Dass die integrierten Glasfronten doppelt isoliert und mit einer Spezialbeschichtung ausgestattet sind, ist hierbei selbstredend.
Aber schon bei der Bauplanung selbst dachten die Architekten weiter und konzipierten die außergewöhnliche Dachkonstruktion wie eine Art Lego-Bausatz: „Jedes Modul des Daches ist selbsttragend und selbststabilisierend. Die Wiederholung der Module optimiert die Vorfertigung, Vormontage und den Einsatz von Modulbauweise,“ so das offizielle Statement.
In See stechen, aber nachhaltig
Auch spannend: Der bereits erwähnte See wurde als nachhaltiges Element in das Bauwerk integriert! In ihm wird in Zukunft nicht nur auf natürlichem, sondern auf zusätzlich gesteuertem Weg das Regenwasser der gesamten Umgebung gesammelt und somit gespeichert. Die bereits vorhandene Flora und Fauna des Sees wird intensiviert, um so etwaige Verunreinigungen des Wassers möglichst effizient auf natürliche Weise zu filtern. Und das Wasser schlussendlich für den täglichen Bedarf nutzbar zu machen.
Was dabei helfen wird, sind modernste Sensoren. Diese überwachen einerseits die Bodenfeuchte andererseits aber natürlich die Wasserqualität. Ihr Zusammenspiel soll langfristig aus dem See eine sich selbst erhaltende Oase machen und die gesamte Umgebung – also nicht bloß das Jinwan Civic Art Centre – mit blitzsauberem Frischwasser versorgen.
Und wo wir gerade bei der Sensorik sind: Diese kommt im gesamten Kulturkomplex zum Einsatz. Der Energieverbrauch des Jinwan Civic Art Centre kann nach Fertigstellung zu jeder Sekunde überwacht und manipuliert werden. Die Zufuhr von Frischluft passt sich stets an die Menschenmengen an, die sich in den betreffenden Räumlichkeiten aufhalten. Und um auch noch das letzte Fitzelchen Energie maximal zu nutzen, wird ein eigenes Abwärmerückgewinnungssystem entwickelt, das den Warmwasserbedarf des gesamten Objekts nahezu ohne Zufuhr weiterer Energie von außen abdecken kann.
Wenn man so will, haben sich Zaha Hadid Architects also nicht bloß an der Flugformation der Zugvögel orientiert. Sondern auch an deren genialen Methoden, so gut wie keine Energie sinnlos zu verpulvern. Echt smart!
Text: Johannes Stühlinger Bilder: ZHA | Minmud | Methanoia | Slashcube
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