Das Haus mit den zwei Schleusen
aum ein anderes zeitgenössisches Wohnbauprojekt hat im Netz derart kontroverse Reaktionen ausgelöst wie die dänisch-niederländische Koproduktion in Amstersdams jungem Stadtviertel IJburg. „Eine neue Architektur-Ikone“, schwärmen die einen, während die anderen einen „selbstdarstellerischen Prahlbau“ beklagen. Dabei liefert das Sluishuis nicht nur eine spektakuläre Landmark am Wasser, sondern auch das, was Amsterdam gerade am nötigsten braucht: neuen, leistbaren Wohnraum.
Die Niederlande stecken nämlich in einer handfesten Immobilienkrise. Bevölkerungswachstum, Privatisierung und kaum neues Bauland haben in dem hoch verstädterten Land dafür gesorgt, dass die Nachfrage nach Miet- und Eigenheimen wesentlich größer ist als das Angebot. Laut einer Studie fehlen bis 2030 an die 845.000 Wohnungen.
Amsterdam gewinnt Land
Ein Umstand, dem das niederländische Wohnbauministerium mit dem Programm VINEX seit vielen Jahren entgegenwirkt. Im Zuge dessen sind in den großen Ballungszentren zahlreiche neue Viertel und Trabantenstädte entstanden. So auch Amsterdams jüngster Stadtteil IJburg, der sich auf neu gewonnenem Land befindet. Um der Knappheit an neuem Bauland zu entgehen, hat man im südwestlichen IJmeer mehrere künstliche Inseln aufgeschüttet und der Reihe nach erschlossen.
Auch das Fundament von Sluishuis befindet sich auf einer künstlich angelegten Insel. Ein Teil des Gebäudes schwebt über dem Wasser, was die bebaute Fläche zudem gering hält. Der neue Wohnblock umschließt einen Innenhof samt eigenem kleinen Hafen in der Mitte der Anlage. „Ein Gebäude im Hafen mit einem Hafen im Gebäude“, formuliert es Bjarke Ingels, der Gründer des dänischen Architekturbüros BIG, das gemeinsam mit den niederländischen Barcode Architects für den außergewöhnlichen Entwurf verantwortlich zeichnet.
Das Schleusenhaus
An der dem Wasser zugewandten Seite öffnet sich der Wohnblock mit einer dramatischen Geste. Ein dreieckiger Einschnitt in die Kubatur verbindet den kleinen Hafen im Inneren mit dem umgebenden Wasser. Er bildet eine Art Schleuse, was dem Projekt Sluishuis (deutsch: Schleusenhaus) wohl seinen Namen gab. Die Wohnungen, die sich direkt über dieser Schleuse befinden, bieten über ein Panoramafenster einen spektakulären Ausblick auf das Wasser darunter.
Das Gebäude neigt sich zur Stadt hin und lädt Besucher dazu ein, das Dach zu erklimmen und das Panorama über das neue Wohnviertel am IJmeer zu genießen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes befindet sich das komplementäre Stück zur Wasserschleuse – ein terrassierter Einschnitt, der eine Art Landschleuse bildet, und sowohl privaten als auch öffentlichen Außenraum schafft. „Das Gebäude neigt sich zur Stadt hin und lädt Besucher dazu ein, das Dach zu erklimmen und das Panorama über das neue Wohnviertel am IJmeer zu genießen“, sagt Ingels über die Aussichtsplattform am Dach des neuen Wohnblocks.
Eine wandelbare Erscheinung
Die beiden komplementären Schleusen des Sluishuis bilden einen starken Kontrast in ihrer Materialität. Während die äußere Seite mit ihrer Alumiumfassade das Wasser reflektiert, schafft die Holzbeplankung der Dachterrassen und der Stegpromenade auf der stadtzugewandten Seite ein warmes, heimeliges Erscheinungsbild.
Die extravagante Form lässt das Gebäude je nach dem Blickwinkel des Betrachters komplett anders erscheinen. „Ob man am Deich, auf der Schnellstraße oder der Brücke steht, über die Holzstege spaziert oder über den öffentlichen Weg auf seinem Dach: Sluishuis vermag es, den Betrachter von allen Seiten zu überraschen“, erklären die Architekten von Barcode.
Mit seiner ikonischen Architektur, den neuen Wohntypologien und dem atemberaubenden Ausblick auf das IJmeer, ist Sluishuis eine neue Landmark für IJburg und für Amsterdam.
Insgesamt bietet der maritime Wohnblock, den das Baukonsortium BESIX Nederland/VORM entwickelt hat, 442 Eigentums- und Mietwohnungen in den verschiedensten Wohntypologien. So gibt es neben Studio-Apartments für Singles auch großzügige Penthouses auf den beiden obersten Etagen.
Energieneutrales Nullsummenspiel
Das Sluishuis zählt nach Angaben der Architekten auch zu den nachhaltigsten Gebäuden, die in jüngster Zeit fertiggestellt wurden. Dies trifft zwar nicht für die in der Struktur verbauten Emissionen zu, aber sehr wohl auf die Energieeffizienz im täglichen Betrieb. Hier führt das Projekt einen Energy Performance Coefficient (EPC) von 0,00 nach dem niederländischen Standard auf, und ist damit ein Null-Energiehaus.
Eine starke Dämmung, dreifach verglaste Fenster und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung minimieren den Heizbedarf, den man über Wärmepumpen und Fernwärme bestreitet. 2.200 Quadratmeter an Photovoltaikpaneelen decken den gesamten Energiebedarf des Gebäudes. Aus den zahlreichen Gärten und Terrassentrögen um und auf dem Gebäude grünt das endemische Pflanzenspektrum, und eine eigens angelegte Vogelinsel lässt das Herz von Hobbyornithologen höher schlagen.
Dirk Peters, Gründungspartner von Barcode Architects fasst es so zusammen: „Mit seiner ikonischen Architektur, den neuen Wohntypologien, hochwertigen Außenräumen und dem atemberaubenden Ausblick auf das IJmeer, ist Sluishuis eine neue Landmark für IJburg und für Amsterdam.“
Text: Gertraud Gerst Fotos: Ossip van Duivenbode
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