Berlins neue Kulturscheune
Ein Wald an Baukränen, heruntergekommene Fassaden und riesige Lücken im Straßenbild. In den Jahren nach der Wende verdiente sich Berlin den Beinamen Hauptstadt der Baustellen, der bis heute immer wieder zitiert wird. Anfang Dezember 2019 erfolgte der Spatenstich für ein neues Großbauprojekt – das Museum des 20. Jahrhunderts der Nationalgalerie am Berliner Kulturforum. Der volle Name ist etwas sperrig und der geplante Baukörper in seiner Form sehr archaisch, weshalb man das Museum der Moderne schon in seiner Wettbewerbsphase 2016 „Kulturscheune“ titulierte. Vielleicht war es auch der Versuch, dem neuen musealen Vorzeigeprojekt von Anfang an das Prädikat der Bescheidenheit zu verleihen. Zu frisch ist die Erinnerung an die schier endlosen Bauarbeiten und in der Folge explodierenden Kosten der Hamburger Elbphilharmonie.
Das Bindeglied am Kulturforum
Das Architekturbüro Herzog & de Meuron, das für die „Elphi“ verantwortlich zeichnet, bekam auch den Zuschlag für Berlins neuen Museumsbau. Und zwar genau wegen seiner dezenten Zurückhaltung im Vergleich zu den anderen eingereichten Entwürfen. Kein abstrakter, monolithischer Musentempel, sondern ein Backsteinbau in ursprünglicher Hausform, der den umliegenden Gebäuden am Kulturforum nicht die Show stiehlt. Der Entwurf von Herzog & de Meuron soll vielmehr als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Architekturstilen dienen.
Außer der Präsentation von Kunst hat das Museum noch eine andere Aufgabe: Das Verbinden und Vernetzen der umliegenden Gebäude und Außenräume zu einem städtebaulichen Ganzen.
An der Südseite, direkt gegenüber des geplanten Neubaus liegt die Neue Nationalgalerie, eine Ikone der klassischen Moderne von Ludwig Mies van der Rohe. Das 1968 eröffnete Museum wird seit 2015 von David Chipperfields Architekturbüro für mehr als 100 Millionen Euro saniert. Zum prägenden Ortsbild zählen auch die etwas abseits stehende Matthäuskirche und die verspielten, organischen Kompositionen von Philharmonie und Staatsbibliothek des Architekten Hans Scharoun.
„Das Museum des 20. Jahrhunderts ist eine eigenständige Architektur, wie der Bau von Mies und die Architekturen von Scharoun. Außer seiner Funktion für die Präsentation von Kunst hat es aber noch eine andere, ganz wesentliche Aufgabe: Das Verbinden und Vernetzen der umliegenden Gebäude und Außenräume zu einem städtebaulichen Ganzen – einem Kulturforum für das 21. Jahrhundert“, erklärt Architekt Jacques Herzog.
Backstein und Giebeldach
Umgesetzt wurde diese Vorgabe durch große Tore und Eingänge, die eine räumliche Verbindung zwischen dem Museum und den umliegenden Plätzen und Straßenräumen schaffen. Ein öffentlicher Weg führt als Ost-West-Boulevard mitten durch das Museum der Moderne. Die großflächig verglaste Nordfassade ermöglicht direkte Blickbezüge vom Museum auf den Scharounplatz und auf die Potsdamer Straße.
Die Architekten haben sich am Baumaterial der Matthäuskirche orientiert – am Backstein. „Dieses Material kann als digitales Feld interpretiert werden, und gleichzeitig hat eine Backsteinmauer etwas sehr Archaisches.“ Dasselbe gelte für die flache Giebelform, die sowohl für die zeitgenössische digitale Kultur als auch für älteste Zivilisationen stehe.
Eine Architektur, die sich weniger um den Architekten als Autor und den zeitgenössischen Moment dreht, und mehr um die Menschen und ihre Begegnung mit Kunst.
Sowohl Architekten als auch Bauherren hatten mit dem Entwurf alles andere im Sinn als eine architektonische Selbstdarstellung. Es ging nicht darum, sich von den Nachbargebäuden abzuheben oder gar besser sein zu wollen. „Eine Architektur, die sich weniger um den Architekten als Autor und den zeitgenössischen Moment dreht, und mehr um die Menschen und ihre Begegnung mit Kunst“, so das Statement von Herzog & de Meuron zu ihrem eingereichten Entwurf.
Öffentlich sehr umstritten
In der Öffentlichkeit war der geplante Bau von Anfang an sehr umstritten. Eine Petition forderte eine öffentliche Diskussion über die Gestaltung des Kulturforums und eine bessere Finanzplanung des neuen Museums. 200 Millionen Euro seien für einen Bau dieser Dimension nicht realistisch. Bei den Megamuseen, die derzeit weltweit gebaut werden, ist eine halbe Milliarde an Baukosten die schlanke Variante.
Nach der Überarbeitung des eingereichten Entwurfs legte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz schließlich die Karten auf den Tisch. Die Gesamtsumme für den Neubau inklusive Bau-Indexsteigerungen und Risikokosten werden jetzt mit 450,2 Millionen Euro beziffert. Da mit einer Bauzeit von sechs Jahren gerechnet wird, befürchten viele, dass die Kosten sich am Ende verdreifachen könnten.
Im Fall der Elbphilharmonie waren die Baukosten nach der Fertigstellung mit 866 Millionen Euro mehr als zehnmal so hoch wie anfangs kolportiert. Doch während das Konzerthaus in der Bauphase als Millionengrab galt, wird es seit der Eröffnung vor fast drei Jahren gefeiert. Die Auslastung liegt konstant bei 98 Prozent, die Umsatzerlöse steigen von Jahr zu Jahr, und die Begeisterung der Besucher klingt nicht ab.
Vor diesem Background hat auch Berlins neue Kulturscheune die besten Chancen ein Blockbuster zu werden.
Text: Gertraud GerstBilder: Herzog & de Meuron
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