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Alte Mühle, neues Zuhause

Was tun, wenn die Familie Wohnraum braucht, auf dem Grundstück, auf dem schon die Großmutter lebte, aber eine alte Mühle steht? Wenn das ehrwürdige Bauwerk abzureißen geradezu verwerflich, seine Bestandsgebäude im aktuellen Zustand für die Enkel allerdings nicht nutzbar wären? Kurzum: Es war ein kniffliges Projekt, das das Prager Büro RDTH Architekti für einen privaten Kunden in Angriff nahm. Und eines, das das 2017 von Tamara Kolaříková und René Dlesk gegründete Studio inzwischen mit Bravour ausgeführt hat. Denn was das Duo im slowakischen Trenčín geschaffen hat, ist ebenso faszinierend wie ungewöhnlich.

Komplexes Unterfangen

Die Ausgangslage war denkbar kompliziert: Auf dem am Bach und an einer Straße gelegenen Familiengrundstück im Ortsteil Opatová thronte die alte, zu ihrer Zeit mit Wasserkraft betriebene Mühle. Auch spätere Anbauten, Lagerhäuser, Scheunen und freilaufende Hühner besetzten große Teile des insgesamt 1.173 Quadratmeter umfassenden Geländes.

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Das Mühlengebäude selbst war zu wertvoll, um abgetragen zu werden – aber auch zu groß für eine vollständige Rekonstruktion. Und weil der Auftraggeber aus Respekt vor Leben und Arbeit der Vorfahren ein würdiges neues Familienhaus wünschte, das auch zum Ortsbild passt, galt es, kreative Lösungen zu finden.

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Das RDTH Architekti Team beschloss, wertlose Wirtschaftsgebäude am Bachufer – kleine Objekte und Anbauten – zu entfernen. Das Ergebnis ist ein Gehöft, das sich aus drei Teilen zusammensetzt: Aus der zum Teil erhaltenen Mühle, dem neuen Familienwohnhaus am Ufer, und der Überdachung der Parkplätze, die die beiden Gebäude miteinander verbindet. Zwischen diesen drei Baukörpern liegt ein einladender, teilweise geschlossener Raum mit Garten und Hof.

Geschicktes Spiel mit Alt & Neu

Den ältesten Teil der Mühle und ein Fragment der Außenwand eines neueren Anbaus ließen RDTH Architekti bestehen. Diese Außen-zu-Außen-Fensterwand beschreibt das Team als „Torso“, der durch Beschaffenheit und Beziehung zu neuen und ursprünglichen Objekten eine einzigartige Atmosphäre“ schaffe.

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Der erhaltene Teil der ehemaligen Mühle wird als Ort der Begegnung und der Arbeit neu genutzt. Ein neues quadratisches, rahmenloses Fenster in der Außenwand eröffnet den Blick auf den Hof und die Umgebung.

Massiv & „alternd“

Der Boden des Erdgeschosses wurde komplett erneuert. Und zwar in Form einer massiven, mit einer Struktur aus polierten Steinen und feinen Haarrissen verzierten Betonplatte, die das Bauwerk weiterhin würdig altern lassen soll.

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Die Fassade der Mühle wurde nach alter Maurer-Handwerkskunst mittels Kelle mit Kalkzement Mörtel verputzt. Das desolate Dach und der Dachstuhl mussten komplett ersetzt werden. Für die Dächer der Mühle selbst, des neuen Hauses und des Parkplatzes wählten RDTH Architekti Terrakotta-Ziegel.

Vielseitiger neuer Trakt

Das Volumen des Familienhauses grenzt an den Bach und schafft Privatsphäre im Innenhof. Markantes Element des neuen Wohnsitzes ist seine Silhouette, die drei ungleiche, miteinander verbundene Giebeldächer aufweist. Durch die Vebindung enstand räumliche Vielfalt, die den Bewohnern Übergänge von kleineren Zwischen- und Nutzräumen zu mitunter überraschend großen, offenen Räumen bietet. Das Wohnhaus selbst verfügt über 190 Quadratmeter Nutzfläche. Der Mühlentrakt wartet mit zusätzlichen 81 auf.

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Mit seinen weißen, glatten Wänden und Decken kontrastiert der neue Trakt mit dem historischen Mühlengebäude durch nahezu minimalistische Ästhetik. Dass die Struktur des Wohnhauses aus Brettsperrholz-Platten besteht, zeigt sich nur in einigen, nicht verkleideten Bereichen. Der Boden besteht aus monochromem Linoleum.

Komfort mit Holz & Wärmepumpe

Die Fassade indes ist mit Lärchenholz verkleidet. Auch vor den Fenstern zur Straße, wo Teile der Fassade zu öffnen sind. Das neue Familienwohnhaus ist mit einer dicken Schicht aus Holzfaserdämmung isoliert. Geheizt wird mit einer Wärmepumpe, deren Effizienz durch die Luftrekuperationstechnik erheblich gesteigert wird. Dies trägt dazu bei, dass das Haus auch dann gesundes und behagliches Klima behält, wenn wenig gelüftet wird.

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Das Dach des Parkobjekts hat das Büro RDTH Architekti auf lange verleimte Balken gesetzt, die von schlanken Stahlstützen getragen werden. Diese Balken erstrecken sich vom Wohnhaus bis zur Mühle. In diese Struktur wurde ein traditioneller massiver Dachstuhl eingeflochten. Eine offene Konstruktion, die einen ästhetisch wichtigen Teil des gesamten Projekts ergibt. Zudem sind die verbindenden Balken stark genug, um die Last eventueller Erweiterungen zu tragen, falls die Bewohner derlei künftig wünschen.

Ländliche Schönheit

Ein einfaches, mit halbtransparentem Streckmetall verkleidetes Objekt, das frei im Parkbereich steht, dient als Abstellraum für Fahrräder und Gartengeräte. Und Letztere werden wohl nötig sein. Denn am Bach und vor der Mühle wachsen unter anderem Zierapfelbäume, Weiden und ein massiver Nussbaum, die das ländliche Idyll unterstreichen. Für das Design der Grünbereiche zeichnete das Büro Land05 verantwortlich.

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Die wundersame Verwandlung der alten Mühlenanlage folgt dem zukunftsorientierten Gedanken des „Adaptive Re-Use“, der sich gegen unbedachten Abbruch alten Bestands und vermeidbaren Bodenverbrauch wendet. Entsprechende Großprojekte wie die Wiederbelebung der „Meelfabriek“ in den Niederlanden oder das „Handelszentrum 16“ in Salzburg machen mit der Neugestaltung von Industriebrache Furore. Welch grandiose Objekte auch durch nachhaltige Umnutzung viel kleinerer, bestehender Gebäude realisiert werden können, zeigt sich etwa auch bei der extravaganten „Casa C“ in der Schweiz oder dem Südtiroler „Hanf-Haus“, das aus einem alten Stall entstand.

Erfolgreiche Umnutzung

Mit dem Projekt in der Slowakei hat das auf kleine und mittlere private Projekte spezialisierte Büro RDTH Architekti nun ein weiteres schönes Beispiel für gekonnte Neunutzung designt. Eines, das sich unaufdringlich in seine Umgebung einfügt. Mit einem neuen Wohnbau auf dem Grundriss der ursprünglichen Schuppen und Hühnerställe, der lokale Traditionen respektiert. Und im Sinne der Nutzerfamilie, die modern und komfortabel wohnen, das Erbe vorangegangener Generationen jedoch nicht ohne Weiteres der Abrissbirne opfern wollte.

Text: Elisabeth Schneyder Bilder: Filip Beránek, Mário Puškarev / RDTH Architekti

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