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Modernes Recruiting: „Ohne LinkedIn geht's einfach nicht mehr“

Hannes Gsellmann, Geschäftsführer der Iventa International Management Consulting GmbH, weiß aufgrund jahrelanger Erfahrung, welche Probleme die Unternehmen heutzutage bei der Personalsuche haben und wo genau die Herausforderungen liegen. Wir wollten wissen, wie man diesen Problemen vorbeugt und welche Methoden sich im Recruiting schlussendlich am meisten lohnen.

Wie schaut der Recuiting-Prozess in modernen Unternehmen heutzutage aus?

Da hat sich in den letzten Jahren wirklich viel verändert. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass es früher wirklich nur ganz wenige Kanäle gab: eine Stellenanzeige in Print und dann irgendwann auch einmal online. Und da hat man sein Inserat geschaltet und gewartet, dass sich Menschen bewerben. Die Auswahl der Kanäle war relativ klein: Damals gab es den KURIER, den Standard oder vielleicht noch Die Presse. Wenn man irgendwo außerhalb von Wien gewesen ist, dann gab's noch eine Bundesländer-Zeitung und das war's eigentlich. Hat das nicht funktioniert, hat man einen Headhunter gebraucht. Das ist jetzt zum Glück viel variabler geworden: Wir haben eine Vielzahl von Kanälen, wo wir Personen auch direkt ansprechen können. Das ist ein riesiger Unterschied, weil man diese Kanäle als Unternehmen gut bedienen können muss. Auch als Bewerber:in sollte man möglichst viele davon kennen. Man präsentiert sich am besten auf den unterschiedlichen Social-Media-Plattformen selbst als Person und wird gefunden. Unternehmen können somit direkt eine Person kontaktieren. Oder aber man findet Personen privat, indem man Kampagnen auf Facebook oder Instagram startet und die Menschen in ihrer Freizeit in ihrem Newsfeed erwischt, wo sie zufällig über die Anzeige „stolpern“. Das kann natürlich in Wirklichkeit sehr strategisch gemacht werden. Es gibt also sehr viele Kanäle, die man bedienen kann. Den Headhunter gibt es auch noch immer, um Personen zu finden, die auf diesen Kanälen nicht präsent sind. Damit ist dieser Trichter, aus dem Menschen in einen Recruiting-Prozess hineinkommen, in den letzten Jahren sehr viel breiter geworden. 

Aber muss man als Unternehmen in so vielen verschiedenen Kanälen suchen bzw. präsent sein? Kann man sich nicht auf ein oder zwei spezialisieren?

Nein, das muss man nicht. Ich glaube, es kommt sehr stark darauf an, in welcher Branche und wie groß mein Unternehmen ist. Und wo die Position regional angesiedelt ist, die ich besetzen möchte. Es ist generell so: Je größer und je vielseitiger die Rollen in einem Unternehmen sind, desto mehr Kanäle muss ich auch bespielen können, weil ich unterschiedliche Personengruppen auf bestimmten Kanälen erwische. Wenn ich ein KMU bin, kann ich möglicherweise mit zwei oder drei klassischen Kanälen auch ganz gut auskommen. Ansonsten lasse ich mir einfach helfen und hole mir von außen Dienstleistungsunterstützung. 

Welche Kanäle würden Sie da konkret empfehlen?

Also beispielsweise digital inserieren auf karriere.at oder stepstone.at - das sind einfach die zwei größten Karriere-Plattformen in Österreich. Liegt mein Unternehmen in Vorarlberg, brauche ich aber stattdessen oder zusätzlich die „ländle.jobs“. Für bestimmte fachliche Zielgruppen wiederum brauche ich ein Fachmedium. Es lohnt sich im Zweifelsfall jedenfalls mit einem Media-Consultant aus einer Anzeigenagentur zu reden. Print inserieren ist auch eine Möglichkeit, falls man das noch möchte – z.B. im KURIER oder im Standard, der Presse oder einer Bundesländerzeitung. Oder in der Ärztezeitung, wenn ich einen Arzt suche, und so weiter. Und dann sollte man zumindest auch wissen, dass man auf LinkedIn und Xing Menschen finden kann. Ob man eine eigene LinkedIn-Recruiting-Lizenz hat, mit der man professioneller suchen und ansprechen kann, ist dann wieder eine andere Frage. Aber ich glaube, dass man speziell ohne LinkedIn nicht mehr rekrutieren solle, ohne da jetzt Werbung für eine Plattform machen zu wollen. Es sind mittlerweile fast zwei Millionen berufstätige Österreicher:innen auf LinkedIn – das ist schon ein ziemlich großer Anteil aller berufstätigen Menschen. Das sind die Plattformen, auf denen man sich bewegen sollte, und wenn man nach neuen Möglichkeiten sucht, gibt es auch noch andere, interessante Kanäle. Dann kann ich mir noch die Frage stellen: Möchte ich eine eigene Firmenseite auf einem beruflichen sozialen Netzwerk haben, mit der ich auch Kampagnen fahren kann, oder habe ich nur einen privaten Zugang und finde Personen über mein Netzwerk?

Ich glaube, dass man ohne LinkedIn nicht mehr rekrutieren sollte.

Hannes Gsellmann, Director Personalberatung | Geschäftsführer Iventa International Management Consulting GmbH
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Welche Fehler finden bei der Personalbeschaffung am häufigsten statt?

Die kommen meistens nicht aus den Kanälen, sondern eher aus dem Prozess. Zum Beispiel, dass die Lead-Time eine der wesentlichen Kennzahlen ist. Das bedeutet, es geht um die Zeit von der Suche bis zur Besetzung einer Position. Es steht quasi ausschließlich die Geschwindigkeit einer Besetzung im Mittelpunkt. Das halte ich für grundfalsch. Es ist ein sehr verantwortungsvoller Prozess da sind ein:e Arbeitgeber:in und ein:e potenzielle Arbeitnehmer:in dabei, sich ein Vertragsverhältnis zu suchen, das möglichst lange dauern soll. Ich verstehe nicht, warum das husch-husch passieren muss. Das ist durchaus ein Fehler: der Fokus auf die Geschwindigkeit. Wichtig ist allerdings immer, dass die Bewerber:innen auch wissen, wie lange der Prozess dauert und sich dann darauf einstellen können, dass es beispielsweise vier Runden gibt und dann eine Entscheidung getroffen wird.

Das ist ein guter Punkt: Oft ist es ja tatsächlich so, dass es sehr viele Runden gibt und somit sehr viel von den Bewerber:innen erwartet wird wie zum Beispiel Assessment-Center, Präsentationen, Konzeptausarbeitungen etc. Sind solche Forderungen gerechtfertigt? 

Eine Gegenfrage: Heiraten Sie nach dem zweiten Date?

Na ja, das nicht. Ich kann als Arbeitnehmer:in von meinem potenziellen Chef aber ja auch nicht verlangen, vorab eine Arbeitsprobe zu erhalten. Ich muss darauf vertrauen, dass das, was mir erzählt wird, der Wahrheit entspricht.

Also aus meiner Sicht ist ein Bewerbungsprozess, der viele Aspekte des Sich-Näher-Kennenlernens beinhaltet, etwas, das zweiseitig sein muss. Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung. Das ist dann oft falsch gewichtet. Wenn ich nur aus unternehmerischer Sicht sage: Ich mache zig Runden, um herauszufinden, wer die Person ist, die am besten zu mir passt und am meisten kann umgekehrt gebe ich aber nicht zurück, wer ich bin und was man bei mir im Unternehmen erwarten kann, dann ist das falsch und unfair. Aber wenn ein intensiver Prozess dazu führt, dass zwei Partner:innen wechselseitig wirklich viel voneinander wissen, um dann bewusst eine Entscheidung treffen zu können, dann ist das für mich keine verschwendete Zeit.

Aber wie schaffe ich es, als Arbeitgeber:in dann auch genügend von mir preiszugeben?

Ein Prozess dauert natürlich immer länger, wenn mehrere Stakeholder:innen oder Beteiligte in diesem mit eingebunden sind. Jede:r dieser Gesprächspartner:innen gibt mir aber auch ganz viele Infos: Welche Fragen mir gestellt werden, zeigt ja beispielsweise auch, was der Organisation wichtig ist und was sie ausmacht. Ich glaube schon, dass man aus solchen Gesprächen viele Schlüsse ziehen kann, ob das die richtige Entscheidung für einen persönlich ist. Wenn ich allerdings nur ein halbstündiges Gespräch per Video mit der/dem Recruiter:in habe, anschließend eine Dreiviertelstunde mit einer:m gestressten Bereichsleiter:in und dann soll ich einen Arbeitsvertrag unterschreiben - dann ist das Blackbox. Das würde ich nicht wollen. Ich sage nicht, dass das Gegenteil die Perfektion ist, nämlich, dass ich den Prozess möglichst lange hinauszögere. Aber es wäre schon gut und für beide Seiten bereichernd, wenn ich mir genügend Zeit nehme, um sich gegenseitig ausreichend kennenzulernen.

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Obstkorb, Wuzzler, Team-Events: Braucht man all diese Dinge, um an gutes Personal zu kommen?

Ganz klar nein. Der Obstkorb ist das Sinnbild für die nicht monetären Vergütungen geworden. Es ist ja schon fast ein medialer Wettbewerb im Gange, wer die besseren Benefits für seine Mitarbeiter:innen hat. Das mit dem Wuzzler hat, glaube ich, Google vor zehn Jahren einmal aufgebracht, dass man das machen muss. Danach musste so einer in jedem Startup-Office stehen. Und mit Zeitverzögerung in jedem Unternehmen, das aufgrund von New Work sein Büro umgestaltet hat. Das halte ich aber für völlig verkehrt. Erstens habe ich schon ganz viele Wuzzler herumstehen gesehen, wo gar niemand spielt. Zweitens ist das, was man als potenzielle:r Arbeitnehmer:in vorfinden sollte, eine professionelle Arbeitsausstattung, ein respektvoller Umgang, eine ordentliche Vergütung und Arbeitsumgebung das ist das, was wichtig ist und was ich verlangen kann. Aber ich persönlich würde mich zum Beispiel fragen: Habe ich lieber die Mitgliedskarte, die mir mein Unternehmen als Benefit aufdrängt, oder suche ich mir das Fitnesscenter lieber selber aus? Oder will ich vielleicht gar kein Fitness-Training machen, erhalte es lieber als Gehaltsbestandteil und generiere mir meinen eigenen Wert daraus? Also eine ganze Liste an Benefits zu definieren unter dem Motto Wir haben noch zwei mehr als andere ist für mich kein Mehrwert. Eine ordentliche Gegenleistung im Sinne von Entgelt das muss passen. Ich glaube, kein Mensch ist bisher zu einem Unternehmen gegangen, nur weil ein Wuzzler dort herumsteht.

Aber wie findet man dann die besten Talente?

Leider kann man das gar nicht so konkret sagen. Das wäre natürlich schön. (lacht) Aber ich glaube, es ist eine Kombination aus den Dingen, die wir schon angesprochen haben. Eine Außenbotschaft, die ehrlich und klar ist. Wenn man sich Stellenbeschreibungen ansieht, gibt es ja ausschließlich exzellente Unternehmen bzw. die besten Arbeitsgeber:innen aller Zeiten. Die ganze Wirtschaft wächst und alles ist großartig. Tatsächlich ist das aber nicht so. Wenn wir uns die Daten ansehen, sind wir in einer schweren Rezession. Auch einige der großen Unternehmen in Österreich straucheln momentan also hier ist es auch sinnvoll, den Wirtschaftsteil der Zeitung bewusst zu lesen. Deshalb sollte man auf jeden Fall ehrlich sein und Herausforderungen auch ansprechen. Dabei geht es um Respekt, Transparenz und um Fairness. Ich glaube, dass solche Werte, die nicht so einfach herzustellen sind wie ein Obstkorb, essenziell sind.

Wenn ich mich als Unternehmen tatsächlich in einer Wirtschaftskrise befinde, soll ich also in der Stellenausschreibung bekanntgeben: Uns geht's zwar gerade schlecht, aber bitte arbeitet trotzdem für uns?

Vielleicht nicht genau in den Worten, die Sie jetzt verwendet haben. Aber wenn man es beispielsweise so formuliert: Wir sind in herausfordernden Zeiten, wir haben große Umbrüche vor uns, wir müssen bestimmte Dinge verändern und Innovationen betreiben dann spreche ich auch Personen an, die sich für so eine Rolle interessieren. Schwierige Situationen sind ja auch für viele eine Herausforderung. Es gibt Menschen, die mögen das und sagen: Das ist genau meins! Verwalten kann gerne jemand anderer. Aber ich möchte wo hinkommen, wo es gerade schwierig ist und möchte schauen, ob ich das auf die Reihe bekomme. Mit der richtigen Kommunikation kann man also extrem viel bewirken, wenn man sie gut macht.

LinkedIn, karriere.at, Print-Anzeige oder TikTok: Welche Plattform ist im Recruiting-Prozess am erfolgreichsten?

TikTok kann man als berufliche Plattform eher streichen. LinkedIn und karriere.at sind zwei unterschiedliche Methoden. karriere.at ist eine Plattform, wo Unternehmen Inserate schalten und Jobsuchende aktiv darin suchen, um sich zu bewerben.  LinkedIn ist eine Plattform, wo Menschen sich präsentieren und Unternehmen die Möglichkeit haben, für Sie interessante Personen direkt anzusprechen - also quasi der Gegenpol dazu. Beide Plattformen repräsentieren einen bedeutenden Teil des Bewerbermarktes. Print hätte ja eigentlich noch eine super Berechtigung, weil es eine Zielgruppe anspricht, die nicht in digitalen Plattformen nachschaut. Aber im Vergleich zu den gängigen Karriere-Plattformen ist der Preisunterschied einfach zu groß. In der Kombination finde ich es allerdings sehr charmant. Und immer mehr von uns kommen auch drauf, dass Social Media Campaigning eine gute Möglichkeit ist, Menschen in ihrem Newsfeed auf Facebook & Co. zu erwischen.

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich der Recruiting-Prozess in den nächsten zehn Jahren entwickeln?

Ich glaube, es wird noch mehr online stattfinden. Im Moment wird ganz stark die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) im Recruiting-Prozess diskutiert. Ich glaube, dass das Suchen und Finden im Recruiting durch die KI sehr viel einfacher werden wird. Das Auswählen hingegen wird noch lange nicht einem KI-Tool überlassen werden. Stichwort Quereinsteiger:innen, das richtige Mindset finden, Persönlichkeiten entdecken, Menschen mit interessantem Hintergrund eine Chance geben das ist alles nur durch einen menschlich geführten Auswahlprozess möglich. Wir werden somit sehr viel effizienter im Auffinden von Personen sein. Aber ich hoffe, dass wir deswegen nicht meinen, dass auch das Auswählen von Menschen irgendein digitales Tool besser kann als wir Menschen.