„Leistbares Wohnen als existenzielle Frage unserer Gesellschaft“
Das Thema Wohnen wird zu einem immer größeren Thema für die Österreicher. Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO der Erste Bank Oesterreich, ist davon überzeugt, dass es dringenden Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen gibt.
Wohnen wird in Österreich immer mehr zum Luxus. Warum hat sich dieses Problem in den letzten Jahren derart verschärft?
Gerda Holzinger-Burgstaller: Die Leitzinsen sind seit 2008 von vier Prozent auf null Prozent im Jahr 2016 gesunken. Erst im Juli 2022 gab es erstmals seit rund 15 Jahren einen Zinsschritt der Europäischen Zentralbank nach oben. Die über ein Jahrzehnt andauernde Niedrigstzinspolitik der EZB hat enorme Auswirkungen. Das billige Geld hat nicht nur das Wirtschaftswachstum und die Kapitalmärkte befeuert, sondern auch einen Bau- und Immobilienboom in Österreich ausgelöst. Das war einerseits natürlich ein wichtiger Wirtschaftsmotor, aber auf der anderen Seite hat es die Preise für Immobilien in die Höhe getrieben.
Waren die niedrigen Zinsen nicht ein Segen für die Banken?
Wir haben uns natürlich über das steigende Kreditgeschäft gefreut, aber andererseits waren wiederum die Strafzinsen der EZB eine spürbare Herausforderung für die Finanzindustrie. Nachdem die Österreicher eine Nation der Sparbuchsparer sind, wurden rund 300 Milliarden Euro auf Sparbüchern und Girokonten bei den heimischen Banken gelagert. Dieses Geld mussten die Banken teilweise bei der EZB veranlagen und dafür auch beträchtliche Strafzinsen bezahlen. In vielen Bereichen waren die niedrigen Zinsen für uns also ein echtes Problem.
Die sechs Leitzinsanhebungen der EZB seit Juli 2022 auf 3,75 Prozent haben Kredite deutlich verteuert. Hat das Auswirkungen auf die Nachfrage bei Immobilienkrediten?
Das Kreditwachstum der Erste Bank hat sich im ersten Quartal 2023 verlangsamt und das liegt daran, dass generell Kreditentscheidungen nicht weiter verfolgt oder in die Zukunft verschoben wurden. Das gilt insbesondere auch für Wohnbaukredite.
Belasten die eingetrübten Wirtschaftsaussichten die Österreicher?
Auf der einen Seite ist es natürlich die hohe Inflation, die im April noch immer bei 9,8 Prozent lag, die das Leben der Österreicher spürbar verteuert hat. Auf der anderen Seite sind die Menschen heute deutlich zurückhaltender bei Investitionen, denn die Sorge über die zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungen macht die Bürger vorsichtiger.
Führte nicht auch die sogenannte Kredit-Immobilien- finanzierungsmaßnahmen-Verordnung (kurz KIM-VO) der Finanzmarktaufsicht zu deutlichen Einschnitten bei der Wohnraum-Kreditvergabe?
Die seit dem vergangenen Jahr neuen Vergabekriterien für Immobilienkäufer sind eine Herausforderung für die Kunden. Nun müssen 20 Prozent des Kaufpreises durch Eigenkapital abgedeckt sein und auch die Kreditlaufzeit darf nur noch maximal 35 Jahre betragen. Zudem darf die Kreditrate 40 Prozent des Haushaltseinkommens nicht überschreiten. Sind die Laufzeiteinschränkung und auch der Eigenmittelanteil für die Kunden meist noch zu bewältigen, so zeigt sich aber, dass das Verhältnis von Haushaltseinkommen zur Belastung aus der Finanzierung sehr problematisch ist.
Im April kam es zu einer Anpassung der KIM-Verordnung. Brachte das keine Erleichterung?
Die Nachjustierungen sind leider unzureichend, um die Situation wirklich zu verbessern. Es wurden einige Details wie zum Beispiel die Zwischenfinanzierungen zwischen Verkauf der alten Immobilie und Kauf der neuen Immobilie erleichtert. Auch die Geringfügigkeitsgrenze von 50.000 Euro für Paare für kleinere Immobiliensanierungen wurde auf 50.000 Euro pro Person ausgeweitet. Das heißt Paare können nun für eine Haussanierung bis zu 100.000 Euro an Kredit aufnehmen, ohne unter die KIM-VO zu fallen.
Aber das große Thema Schuldendienstquote wurde nicht angefasst?
Leider nein, allerdings wäre eine Anhebung der 40-Prozent-Grenze für junge Menschen dringendst notwendig. Auch sollte es mehr Flexibilität bei den Ausnahmekontingenten geben. Wir brauchen klare und weitreichende Änderungen, die dem aktuellen, wirtschaftlichen Umfeld Rechnung tragen, damit sich die Menschen in Österreich wieder Eigentum schaffen können.
Strenge Regelungen bei der Kreditvergabe sind auch im Sinne der Banken. Diese reduzieren damit doch deutlich das Risiko von Ausfällen in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld.
Die Ausfallquote bei Krediten ist mit 1,3 Prozent in Österreich sehr gering. Das liegt daran, dass die heimischen Kreditinstitute schon in der Vergangenheit die Bonität der Kreditwerber streng nach Leistbarkeit geprüft haben. Mit der KIM-Verordnung wurden aber die Banken in ein strenges Korsett gezwängt, das uns die Flexibilität bei der Kreditvergabe nimmt. Viele Softskills, die zum Beispiel die Berater vor Ort bei der Kreditvergabe einfließen haben lassen, können heute nicht mehr berücksichtigt werden. Dabei ist besonders die Schuldendienstquote von 40 Prozent ein echtes Problem.
Was sind die Folgen dieser Regelungen?
Besonders hart trifft die KIM-Verordnung junge Menschen, die sich Wohnraum schaffen wollen. Angesichts der hohen Immobilienpreise und der strengen Rahmenbedingungen bei den Krediten ist es diesen heute kaum noch möglich, eigenen Wohnraum zu erwerben. Das hat weitgehende und nachhaltige Auswirkungen auf deren Leben, denn eine eigene Immobilie ist noch immer die beste Altersvorsorge. Sie bietet über lange Zeiträume eine hohe Wertbeständigkeit und auch wenn in jungen Jahren die Belastungen durch eine eigene Immobilie höher sind, so kann man im Alter mietfrei wohnen. Das ist angesichts sinkender Pensionen eine wichtige Voraussetzung für leistbaren Wohnraum im Alter. Zudem kann die eigene Immobilie vererbt werden und die Nachfolgegeneration hat Werte, auf denen sie aufbauen kann. Wir hoffen sehr, dass es noch bis zum Herbst zu einer grundlegenden Neubewertung der KIM-Verordnung durch die Verantwortlichen kommen wird.
Welchen Beitrag kann die Erste Bank leisten, um Wohnen in Österreich leistbar zu machen?
Die Erste Bank und Sparkassengruppe finanziert jährlich rund eine Milliarde Euro für Neubauten im mehrgeschossigen Wohnbau. Dadurch entstehen jährlich etwa 6.000 neue Wohnungen im Bereich des leistbaren Wohnens. Wichtig ist uns dabei auch, dass die Qualität dieser Immobilien hoch ist. Denn nur so ist gewährleistet, dass die Bewirtschaftungskosten in Zukunft nicht übermäßig steigen. Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen beim Thema Energie ist das kein unwesentlicher Faktor. Darüber hinaus hat die Europäische Investitionsbank (EIB) im Jahr 2020 der Erste Bank Finanzierungsmittel in Höhe von 150 Millionen Euro zur Unterstützung von leistbarem Wohnraum in Österreich zur Verfügung gestellt. Diese Mittel haben wir um zusätzliche 150 Millionen Euro ergänzt. Mit diesen 300 Millionen Euro sind bereits zahlreiche neue Wohngebäude mit leistbarem Wohnraum in den letzten Jahren entstanden. Weitere Projekte sind noch in der Entstehung.
Das Thema leistbarer Wohnraum ist eines der großen Zukunftsthemen. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit wir dieses existenzielle Thema in Österreich lösen?
Leistbarer Wohnraum ist ein wichtiges Standortthema. Kommt es in stark nachgefragten Regionen zu einer Verknappung von Wohnraum, kann das auch zu Abwanderung führen. Für Unternehmen können damit auch wichtige Arbeitskräfte verloren gehen. Zum Beispiel führt die Wohnungsknappheit in Wien schon zu einer Stadtflucht. Darüber hinaus braucht es neben dem privaten Wohnbau auch wieder eine stärkere Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus. Dieser Sektor ist eine wichtige Komponente für eine hohe Stabilität am Wohnungsmarkt und auch den sozialen Frieden in Österreich. Wir als Erste Bank werden auch hier unseren Beitrag leisten, denn es ist schon seit über 200 Jahren unser Auftrag, wirtschaftliches Wachstum und den Wohlstand in unserer Region zu fördern. Leistbares Wohnen ist eine existenzielle Frage für unsere Gesellschaft, der wir uns stellen müssen.
Stephan Scoppetta