Wien: Erzwungener Umzug in die Peripherie
Wir haben drei Monate lang intensiv gesucht. Und es war wirklich schwer. Sogar um die Wohnungen mit Klo am Gang streiten sich die Leute." Mit Schaudern denken Phillip und Julie an Besichtigung um Besichtigung zurück. Mittlerweile hat das junge Paar eine Wohnung gefunden – in Ottakring. 765 Euro zahlen die beiden für 60 , ohne Strom. Die Studenten arbeiten Teilzeit, wollen sich ein Leben in einer gemeinsamen Wohnung aufbauen. Kaum möglich. Einkommensnachweise und finanzstärkere Konkurrenten haben sie stets ausgestochen.
So wie ihnen geht es vielen Wienern. Wohnraum ist knapp und teuer. Kein Geheimnis. Und es ist laut Experten kaum Entspannung in Sicht. "Bei gebrauchten Wohnungen gibt es sogar noch Potenzial zur Steigerung", sagt Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe Wien der Immobilien- und Vermögenstreuhänder in der WKÖ. Im Eigentumsbereich seien hingegen die Preistreiber, die Wohnungen als Anlegemöglichkeit nutzen, seit eineinhalb Jahren weg vom Markt.
Und Jungfamilien? Das Loft innerhalb des Gürtels wird für sie wohl meist ein Traum bleiben. Fündig werden sie laut Experten am Stadtrand. Oder sie ziehen ohnehin in den Speckgürtel. Da müssen sie mittlerweile jedoch weit ziehen. Die Gegend um Mödling ist als eierlegende Wollmilchsau der Wohngebiete mit Natur, Ruhe, einem hübschen Städtchen nahe Wien ebenfalls kaum mehr leistbar. Hat in den 90er Jahren Bauland 118 Euro/gekostet, sind es jetzt mehr als 600 Euro. Davon abgesehen gibt es kaum noch Gründe.
Der "Speckgürtel" wird bis Wiener Neustadt und entlang der Westbahn sowie im Norden entlang der A5 stark wachsen. Auch das Erscheinungsbild der Orte im Süden könnte sich wandeln. Um Wohnraum zu schaffen, wird auch hier die Bauweise verdichtet werden. Statt dreistöckiger Häuser könnten in der Peripherie sechsgeschossige errichtet werden.
Nicht ganz so dramatisch sieht die Lage Alexandra Fohleutner, Immobilienmaklerin bei Mukstadt GmbH, für den Norden Wiens. "Während im Süden immer schon die High Society war, hat der Norden mit mehr Lebensqualität gepunktet." Daran soll sich auch in den kommenden Jahren wenig ändern. Die Preise werden aber weitersteigen. Einer der Gründe: Durch die Finanzkrise werden derzeit kaum leer stehende Objekte angeboten. "Immobilien sind eine gute Investitionsform", sagt Fohleutner. Zudem wird die Verkehrs-Infrastruktur kontinuierlich ausgebaut.
Neue Bescheidenheit
Grundsätzlich lässt sich die Entwicklung künftig in drei Phasen einteilen. Bis zum 35. Lebensjahr wird ein Großteil der Bevölkerung in einer Mietwohnung leben. Mit Kindern und dem ersten ersparten Geld im Gepäck suchen die Leute nach einem Haus mit Garten.
Und spätestens ab dem Pensionsalter zieht es die Mehrheit wieder in eine überschaubare Wohnung.
Es ist keine zwei Wochen her, da kündigte Wiens Bürgermeister Michael Häupl den Bau von 120 Gemeindewohnungen in Wien Favoriten an. Bis 2020 will Wohnbaustadtrat Michael Ludwig 25 Mio. Euro in den sogenannten "Gemeindewohnbau neu" investieren. Insgesamt sollen 2000 zusätzliche Wohnungen gebaut werden – mit Mieten bis zu 7,50 Euro brutto pro .
Vor der Wien-Wahl verwundern die vollmundigen Versprechen nicht, immerhin ist die Lage am Wiener Wohnungsmarkt äußerst angespannt. Fakt ist, es fehlt Wohnraum. Manche Immobilienexperten munkeln, dass für den erwarteten Zuzug 5000 bis 7000 Wohnungen zu wenig produziert werden. Allerdings konnten im vergangenen Jahr auch 7273 geförderte Wohnungen übergeben werden. Heuer sollen 7000 Einheiten fertig werden. Die unter dem SMART-Wohnbauprogramm laufenden Wohnungen haben ebenfalls eine Miete von 7,50 Euro.
Immo-Experte Michael Pisecky kritisiert, dass im geförderten Wohnbau zu hohe Standards erfüllt werden müssten. Damit ginge das Angebot an den Leuten, die es benötigten vorbei. "Der geförderte Wohnbau hat die höchsten Auflagen. Da ist die Politik gefordert, noch mal nachzudenken." Immerhin: Mit der Novelle der Bauordnung 2014 wurden erste Maßnahmen gesetzt, um die Baukosten zu senken.
Innerhalb Österreichs ist und bleibt NÖ ein Hotspot. Mengenmäßig wechselten auch 2014 in keinem Bundesland mehr Häuser, Grundstücke und Wohnungen den Besitzer als hier. Österreichweit waren im Vorjahr 96.197 Immobilienverkäufe im amtlichen Grundbuch verbüchert worden, 20.133 davon in NÖ. Der Handelswert betrug 2,7 Milliarden Euro, österreichweit waren es 19,5 Milliarden. Zum Vergleich: Wien hatte 15.189 Transaktionen mit dem Wert von 5,9 Mrd. €.
Aus den Daten, die das Immobilien-Netzwerk RE/MAX erheben lässt und auswertet, zeigt sich gerade für NÖ eine extreme Bandbreite. In den Bezirken Baden, Mödling oder Gänserndorf spielt man sowohl bei der Zahl der Verkäufe als auch bei den teuersten Pflastern mit. Aber auch im Ranking der Schlusslichter ist NÖ mit Lilienfeld und den Waldviertelbezirken vertreten.
Für Bernhard Reikersdorfer, Geschäftsführer von RE/MAX-Österreich, ist NÖ ein konstant lebendiger Markt, der viele Chancen bietet. "Im Speckgürtel werden Preise wie in Tirol, Salzburg oder Vorarlberg erzielt. Aber in den übrigen Regionen, vor allem auch in St. Pölten, bieten sich noch immer sehr leistbare Möglichkeiten. Sowohl für Familien als auch für Anleger", erklärt Reikersdorfer. Im Ranking der Landeshauptstädte liegt St. Pölten bei den Wohn- und Grundpreisen noch immer im unteren Drittel. Generell gehören Regionen entlang der Westbahn und der A1 nach dem Speckgürtel zu den Gunstlagen. Mit 922 Deals im Wert von 112 Millionen Euro liegt etwa der Bezirk Amstetten im guten österreichischen Mittelfeld. Lilienfeld hatte 2014 224 Objekte im Wert von 25,5 Millionen Euro.
Weiteres Interessantes aus dem Grundbuch: Die teuersten Immobiliengeschäfte in NÖ waren ein Objekt um 15,3 Mio. € in Leopoldsdorf (Wien-Umgebung) und ein Baumarkt in Baden um 15 Mio. € . Der teuerste Deal österreichweit: Ein Bürohaus im ersten Wiener Gemeindebezirk um 102 Mio.€.