Grüne drohen SPÖ mit Scheidung
Von Josef Gebhard
Die große Liebesheirat war es von Anfang an nicht, jetzt droht aber in Wien ein handfester Koalitionskrach. Denn in Sachen Wahlrechtsreform verlieren die Grünen mit der SPÖ langsam die Geduld: Sollte die von beiden Parteien für 27. November angepeilte Einigung platzen, will der grüne Klubobmann David Ellensohn Konsequenzen ziehen: „Dann wird es Zeit für einen Plan B, sozusagen eine friedliche Scheidung“, kündigte er bei der grünen Klubklausur am Mittwoch an. Selten zuvor hat ein Spitzenfunktionär von Rot-Grün die Koalition mit derart klaren Worten infrage gestellt.
Der Hintergrund: Im Regierungsprogramm von 2010 haben sich Grüne und SPÖ für eine Reform des Wahlrechts geeinigt. In seiner derzeitigen Form kommt es der SPÖ sehr entgegen. Es ermöglicht ihr, auch mit deutlich weniger als 50 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit im Gemeinderat zu erringen – was den Grünen naturgemäß ein Dorn im Auge ist (siehe unten).
Trotz jahrelanger Verhandlungen konnten sich die Koalitionspartner jedoch nicht auf eine Reform einigen, würde sie doch eine deutliche Schwächung der SPÖ bedeuten, die derzeit ohnehin im Umfragetief steckt. Für eine Neuregelung für die 2015 anstehende Wahl wird aber langsam die Zeit knapp. „Ich glaube zwar immer noch zu 99 Prozent an eine Einigung bis Ende November, aber es wäre leider nicht das erste Mal, dass ein fixierter Termin nicht hält“, sagt Ellensohn gegenüber dem KURIER.
Plan B
Dass die Grünen nach einem abermaligen Scheitern die Koalition platzen lassen, sei aber „eine grobe Missinterpretation“. Man wolle auf alle Fälle bis zum Herbst gemeinsam weiterregieren, nur in dieser einen Frage aber getrennte Wege gehen. Soll heißen: Einen gemeinsamen Antrag zum Wahlrecht werde es dann wohl nicht geben. Stattdessen sollten alle Fraktionen ihre Vorstellungen auf den Tisch legen. Wobei Ellensohn gleichzeitig betont: Einen gemeinsamen Antrag von Grünen, ÖVP und FPÖ gegen die SPÖ werde es nicht geben. Zu groß seien die Auffassungsunterschiede – vor allem beim Wahlrecht für Ausländer, das die Grünen seit Jahren fordern.
In der SPÖ reagiert man auf Ellensohns Ultimatum betont gelassen: „Aussagen bei Klausuren, die öffentlich sind, bilden keine Basis für Verhandlungen. Deshalb wird sich die SPÖ dazu nicht äußern“, sagt Klubobmann Rudi Schicker. Und weiter: „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Novelle noch heuer im Landtag beschlossen werden kann.“
„Wir stehen zu unserem Vorhaben, ein neues Wahlrecht zu beschließen“, heißt es aus dem Büro von Bürgermeister Michael Häupl. Gleichzeitig stellt man klar: Ein Plan B sei in dem Übereinkommen zwischen den Regierungsparteien nicht vorgesehen.
Das derzeit für die Wiener Gemeinderatswahlen gültige Wahlrecht bevorzugt stark die Großparteien, de facto also die SPÖ. Unter Umständen reichen ihr bereits 44 bis 45 Prozent der Stimmen, um die absolute Mandatsmehrheit zu erlangen. Ziel der Grünen ist es, diese mehrheitsfördernde Komponente so weit wie möglich wegzuverhandeln. Dem Vernehmen nach könnte die von ihnen angepeilte Lösung die SPÖ bei gleichem Stimmen-Prozentsatz ein bis zwei Mandate kosten.
Notariatsakt
Bereits vor der Wahl 2010 hatten sich die – damals noch drei – Oppositionsparteien FPÖ, ÖVP und Grüne in einem Notariatsakt zu einer Reform verpflichtet. Und zwar dahingehend , „dass die Anzahl der gewonnenen Mandate einer Partei der prozentuellen Stimmverteilung möglichst genau entspricht.“
Um das Wiener Wahlrecht zu ändern, braucht es übrigens nur eine einfache Mehrheit. Somit ginge sie auch ohne die SPÖ.
KURIER: Mit Jahresbeginn will Rot-Grün das Kleine Glücksspiel aus Wien verbannen. Automaten-Betreiber mit länger laufenden Lizenzen drohen, die Stadt zu klagen. Droht das Projekt eine Totgeburt zu werden?
David Ellensohn: Es ist schon lange bekannt, dass das Kleine Glücksspiel mit Jahresbeginn ausläuft. Trotzdem ist bisher noch keine einzige Klage eingereicht worden. Hier wird bloß viel Lärm gemacht. Wir haben die rechtliche Situation 2011 geprüft. Ich sehe Klagen gelassen entgegen.
Können Sie also garantieren, dass mit Jahreswechsel das Kleine Glücksspiel in Wien tatsächlich Geschichte ist?
Davon gehe ich aus. Die Automaten-Lokale, in denen 13- und 14-Jährige spielen können, werden verschwinden. Genauso die Einarmigen Banditen in Gastro-Betrieben.
Bei einem anderen Thema herrscht weniger rot-grüner Gleichklang. Wann kommt endlich das neue Wahlrecht?
In der Landtagssitzung am 27. November wird es beschlossen. Das bestehende Wahlrecht, das bei der Mandatsverteilung die großen Parteien, also die SPÖ, bevorzugt, wird es in diesem Ausmaß nicht mehr geben.
Die SPÖ wird nicht freiwillig auf Mandate verzichten. Was können die Grünen ihnen im Gegenzug anbieten?
Hier gibt es nichts zum Abtauschen. Immerhin ist aber bei der SPÖ mittlerweile gesickert, dass die bestehende Regelung nicht bleiben kann.
Trotzdem gibt es nach jahrelangen Verhandlungen noch keine Einigung. Werden die Grünen notfalls das Wahlrecht mit FPÖ und ÖVP beschließen?
Wir wollen das Wahlrecht mit der SPÖ beschließen. Anders als die Opposition ist sie dafür, dass auch die 180.000 EU-Bürger auf Gemeindeebene wählen dürfen. Deshalb ist sie auch erster Ansprechpartner.
Nächstes Jahr wird in Wien gewählt. Wie werden die Grünen im Wahlkampf der SPÖ gegenüber ihr Profil schärfen?
Das Profil ist geschärft. Seit dem ersten Tag dieser Regierung gibt es keine einzige Umfrage, bei der wir im Minus sind. Auch die Befragung über die Mariahilfer Straße haben wir gewonnen. Jeder hat gesehen: Für die Innovationen sind wir zuständig. Die SPÖ bringt die Erfahrung mit.
Heißt das, die SPÖ bringt keine Innovationen zustande?
Wenn man lange einen Weg geht, ist es logisch, dass man ihn nicht rasch ändern kann. Wir müssen in einigen Punkten schneller sein. Beispiel Bau von Kindergärten: Wien steht sehr gut da, aber es fehlt immer noch etwas. Die große Herausforderung ist das Bevölkerungswachstum und der sich daraus ergebende Bedarf an Wohnungen und Infrastruktur. In 15 Jahren wird Wien die Zwei-Millionen-Einwohner-Grenze erreichen. Ich glaube, Rot und Grün werden bis dahin zusammenarbeiten.
Eine rot-grüne Regierung bis zum Jahr 2029?
Ich sehe derzeit nichts Vernünftigeres für diese Stadt kommen. In München hat Rot-Grün 25 Jahre gearbeitet, wir haben erst vier hinter uns. Wir haben noch viel vor.