Wiener Gruft: "Hier kann jeder etwas beitragen"
Von Bernhard Ichner
Herr R. leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Kein unbezwingbares Problem im Normalfall. Doch R. ist obdachlos. Würde er versuchen, auf herkömmlichem Wege – über die Gebietskrankenkasse – an einen Therapieplatz zu gelangen, müsste er lange Wartezeiten in Kauf nehmen: Sechs Monate, wenn nicht ein Jahr. Im Caritas-Betreuungszentrum "Gruft" wird ihm dagegen rasch und unbürokratisch geholfen.
Möglich ist das durch die "Kardinal König Patenschaft" von KURIER und Raiffeisen. Mehr als 300.000 Euro konnten seit 2006 für Hilfsbedürftige zur Verfügung gestellt werden. In erster Linie werden die Spenden in psychologische Hilfe sowie in Lebensmittel investiert.
Vorzeigeprojekt
Die klinische Psychologin Nina Pöll und ihr Kollege Jürger Steurer sind zurzeit Pioniere: In der Gruft bieten sie Psychotherapien für Obdachlose an. Ins Leben gerufen hat das Projekt die langjährige Gruft-Mitarbeiterin Susanne Peter.
Ein leichtes Unterfangen ist es freilich nicht: Denn die Hemmschwelle der Leute, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist zuweilen groß.
Dabei treten psychische Erkrankungen bei dieser Klientel deutlich häufiger auf als bei der Durchschnittsbevölkerung. Bis zu zwei Drittel leiden darunter, schätzt Pöll. In erster Linie werden Suchtmittelprobleme, Schizophrenie, Psychosen, Traumafolgestörungen, Depressionen, Angsterkrankungen oder manische Erkrankungen diagnostiziert.
Um die Menschen in der Gruft vom Angebot zu überzeugen, bedarf es an Geduld und Fingerspitzengefühl. Pöll und Steurer stellen den Erstkontakt zu den Klienten her und laden sie zu Gesprächen ein – "im Prinzip durch Small Talk", wie Pöll erklärt.
"Und es wird sehr gut angenommen", bestätigt Pöll. "Die Patienten kommen zum Teil ein oder zwei Jahre lang."
Der frühere Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad ist von der Sinnhaftigkeit des Projekts ebenso überzeugt wie KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter.
"Die Caritas-Mitarbeiter in der Gruft leisten beeindruckende Arbeit. Sie brauchen aber nicht unsere Anerkennung, sondern konkrete Hilfe durch Geld- und Sachspenden. Hier kann jeder etwas beitragen", meint Konrad. Und Brandstätter betont: "Unsere wesentliche Aufgabe ist der Journalismus. Aber wir wollen auch helfen. Der KURIER hat immer Sozialprojekte unterstützt."