Chronik/Wien

Wenn das Vorstellungsgespräch zur Endstation wird

Einen Mangel an Qualifikation kann man Gernot Nieder nicht gerade unterstellen. Nach abgeschlossenem Psychologiestudium und Forschungspraktikum an der Uni, verfasste der mittlerweile 40-Jährige Beiträge für ein Lexikon. Englisch ist für ihn neben Deutsch die zweite Muttersprache, Italienisch kann er „perfekt“, Französisch und Spanisch „ziemlich gut“. Zudem fotografiert er für sein Leben gern, zeigt Talent als Grafiker, kann Webseiten programmieren und schreibt gerade ein Buch mit erotischen Kurzgeschichten.
Hilft alles nichts. Geschätzte 300 Bewerbungen hat Nieder bereits abgegeben – an staatliche Stellen sowie private Unternehmen. Doch spätestens beim Vorstellungsgespräch ist für ihn meistens Endstation. Seine einzigen beiden Jobs waren Friseurgehilfe und Sekretär in einem Kosmetiksalon. Das Problem ist nämlich: Gernot Nieder ist schwerhörig.
Glück hatte der Floridsdorfer schon als Kind keines: Als er sechs Jahre alt war, wurde eine Mittelohrentzündung zu spät mit Antibiotika behandelt. Und dann kam auch noch Pech dazu – in Form einer bakteriellen Meningitis. Das Ergebnis: Komplette Taubheit auf dem rechten, „Hörreste“ auf dem linken Ohr. Insgesamt heißt das „zu 60 Prozent behindert“.
Da sämtliche Bewerbungen negativ beantwortet wurden – und auch Vorsprachen bei AMS, Bundessozialamt und dem Gehörlosen-Verein WITAF zu keiner Beschäftigung führten, wandte sich Nieder an diverse Politiker. Seine Mutter, die ihn finanziell unterstützt, schrieb sogar an Bundespräsident Heinz Fischer. Ohne Erfolg.

„Heiße Kartoffel“

„Einige Politiker haben versprochen ,sich umzuhören’. Aber dann haben sie sich nie wieder gemeldet. Ich bin wie eine heiße Kartoffel – niemand hat je gefragt, was ich kann. Es ging immer allen nur um die Behinderung.“
Dabei, meint Nieder, könne man die auch als Vorteil ansehen: „Ich kann stundenlang konzentriert arbeiten, ohne abgelenkt zu werden.“
Am liebsten wäre er schreiberisch tätig. „Ich kann gut Artikel verfassen – egal, um welches Thema es geht.“
Beim AMS ist man sich der Problematik bewusst – „gesundheitliche Einschränkungen sind ein Vermittlungshemmnis“, bestätigt ein Sprecher. Zumal spezifische Jobs, wie jener, den sich Nieder wünscht, oft gar nicht ausgeschrieben werden.