Chronik/Wien

Warum viele Jungmediziner Wien wieder den Rücken kehren

Noch besucht Christoph Märzinger regelmäßig seine Lehrveranstaltungen an der Wiener MedUni. Welche Fachrichtung er später einschlagen wird, weiß der Medizin-Student im zehnten Semester noch nicht. "Ich möchte mir alle Türen offen lassen."

Eines ist ihm aber heute schon klar: Seinen Turnus wird er sicher nicht in einem Wiener Krankenhaus absolvieren. "Am liebsten würde ich ihn in Linz machen", erzählt der 24-jährige gebürtige Oberösterreicher.

Zu sehr schrecken ihn die Arbeitsbedingungen in Wiens Spitälern ab, die er teils aus eigenen Erfahrungen, teils aus Gesprächen mit Kollegen kennt. "An manchen Abteilungen herrscht ein enormer Druck, das Arbeitsklima ist nicht immer so, wie man es sich vorstellt", erzählt der Student.

Was für ihn aber das Hauptproblem ist: Weil den Turnusärzten so viele administrative Tätigkeiten aufgehalst werden, bleibe viel zu wenig Zeit für die eigentliche Ausbildung. "Was habe ich davon, wenn ich stundenlang in einem Kammerl sitze und Arztbriefe schreibe?" Außerhalb Wiens, vor allem in den ländlichen Spitälern sei die Situation deutlich besser, ist er überzeugt.

Die Wiener Ärztekammer warnt bereits vor einem "dramatischen Turnusärztemangel" in der Bundeshauptstadt. Mittlerweile sei die Warteliste auf einen Ausbildungsplatz leer. "Das gab es noch nie. Vor fünf Jahren musste man noch drei Jahre auf eine Stelle warten", sagt der zuständige Sektionsobmann Stephan Ubl. Er befürchtet angesichts der bevorstehenden Pensionierungswelle sogar schon einen Ärztemangel. Er fordert daher eine bessere Ausbildung in Wiens Spitälern.

Lockangebote

Mit einer solchen locken Spitäler in den anderen Bundesländern, die in den vergangenen Jahren unter einem Turnusärzte-Mangel zu leiden hatten. Vorarlberg stockte im Vorjahr sogar die Gehälter um 22 Prozent auf, um mehr angehende Mediziner ins Ländle zu lotsen.

In Wien seien Gehaltserhöhungen derzeit kein Thema, sagt eine Sprecherin des Krankenanstaltenverbunds (KAV). Sehr wohl habe man aber in den vergangenen Jahren in eine bessere Ausbildung investiert. Es gebe etwa jetzt Tutoren als Ansprechpartner für die Jungärzte und ein Logbuch, in dem die erreichten Lernziele dokumentiert werden.

Natürlich gebe es noch Handlungsbedarf, räumt die Sprecherin ein. So sei der Einsatz von Stationsassistenten für Dokumentationsaufgaben noch in Umsetzung.

Anders als die Ärztekammer sieht man im KAV allerdings noch keinen akuten Turnusärztemangel: "Es sind keine Posten vakant."