Chronik/Wien

Taschendiebin ist 12, 14 oder 18 Jahre alt

Die Richterin fragt getreu der Strafprozessordnung, ob die Angeklagte Kinder habe. Nein, keine Kinder, sie ist selbst noch ein Kind. Von außen, mit gesundem Hausverstand, betrachtet. Sie selbst sagt, ihre Mutter daheim in Bosnien habe ihr den 27. Dezember 2001 als ihr Geburtsdatum genannt. Demnach wäre sie erst 12 und strafunmündig. Andererseits will sich die Angeklagte daran erinnern, dass sie im Dezember schon ihren 14. Geburtstag gefeiert habe.

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Der Zahnstatus sagt etwas ganz anderes. Die Gerichtssachverständige Martina Gredler hat bei der Begutachtung der als Serien-Taschendiebin im Rahmen einer kriminellen Organisation Angeklagten vollständig durchgebrochene Zähne gefunden. Diese hätten sogar bereits die Kauebene erreicht. Daraus könne geschlossen werden, dass das Mädchen – dessen Kopf kaum über die Zeugenbarriere im Verhandlungssaal ragt – mindestens 17,8 Jahre alt sei. "Wahrscheinlich aber mehr", nämlich 18 Jahre.

Damit wäre die Angeklagte nicht nur nicht strafunmündig, sondern sogar volljährig, erwachsen und damit nicht mehr zur Gänze dem Jugendstrafrecht unterstellt.

Alte Studien

Allerdings beruft sich die Gutachterin auf Studien, die 30 bis 50 Jahre zurückliegen. Eine einzige stammt aus dem Jahr 2007. Eine Studie wurde bei Finninnen durchgeführt. Die Sachverständige aber "kann ausschließen, dass die Angeklagte unmündig ist."

Erst vergangene Woche hatte dieselbe Gutachterin indirekt dafür gesorgt, dass ein mutmaßlicher Komplize des 12-,14- oder 18-jährigen Mädchens wegen im Zweifel angenommener Strafunmündigkeit freigesprochen und enthaftet worden war. Der am 22. Jänner gemeinsam mit dem Mädchen festgenommene Bub hatte angegeben, erst 12 Jahre alt zu sein. Nach der zahnärztlichen Expertise ist er knapp unter oder knapp über 14. Der Bub wurde zur Drehscheibe (Organisation für unbegleitete Kinder aus dem Ausland) gebracht und verschwand von dort binnen kürzester Zeit.

Er gehört ebenfalls jener auf Taschendiebstähle spezialisierten international agierenden Kinderbande an, gegen die in Wien seit Monaten ermittelt wird. Insgesamt 72 überwiegend jugendliche Mitglieder hatte die Staatsanwaltschaft im Visier, einige wurden verhaftet, einige bereits angeklagt. Das Mädchen ist mittlerweile der einzige U-Häftling – und es wird auch hinter Gittern bleiben. Zumindest bis zum 26. Februar, bis dahin wurde der Prozess vertagt.

Die Strafprozessordnung schreibt nämlich eine achttägige Vorbereitungsfrist für Angeklagte auf die Verhandlung vor, bei dem Mädchen waren es erst sieben Tage, und Ordnung muss sein.

Der vom Verteidiger beantragten Enthaftung stimmte Jugendrichterin Martina Frank nicht zu, weil das nach dem Gutachten strafmündige Mädchen sonst untertauchen würde und von der Bande weiterhin zu Taschendiebstählen ausgeschickt werden würde.

Für Heinz Patzelt von Amnesty International ein "rechtlich korrekter, aber menschlich unbefriedigender Ausgang der Verhandlung." Er kritisiert, dass es noch keine bessere Antwort auf dieses Problem gibt.

Haft-Alternativen

Justizminister Wolfgang Brandstetter hat nach seinem Amtsantritt die Devise ausgegeben, dass möglichst kein Jugendlicher mehr in U-Haft sitzen sollte. Doch dazu müssten erst die von Experten vorgeschlagen Alternativen – betreute Wohngruppen, die man notfalls kurzfristig auch absperren kann – umgesetzt werden.

Die junge mutmaßliche Taschendiebin erzählte beim Prozess stockend, sie habe daheim in einer Baracke gelebt, nur ein paar Jahre die Schule besucht und davon gelebt, was ihre Mutter vom Betteln heimgebracht habe.

Das Mädchen wurde nach bisherigem Ermittlungsstand zum Stehlen ausgebildet und dann nach Europa geschickt.

Abseits des Deliktes, des Alters und der verlängerten U-Haft sind führende Sozialarbeiter sicher, dass den Kindern und Jugendlichen geholfen werden muss. Aber wie? Mehr dazu lesen Sie in der KURIER-Abendausgabe oder ab 18 Uhr im eAbo