Wien spannt Netzwerk gegen Radikalisierung
Von Elias Natmessnig
In heimischen Kinderzimmern flimmern immer öfter martialische Videos über die Bildschirme. Videos von jungen Männern in Kampfmontur mit Maschinengewehr, unterlegt von archaischer Musik. Versprochen wird ein heldenhaftes Leben in einem neuen, islamischen Staat.
Mehr als 200 Menschen aus Österreich kämpfen mittlerweile in Syrien und dem Irak für das Terrornetzwerk IS. Rekrutiert wird schon im Schulalter.
Die Stadt Wien hat daher im September 2014 ein Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegründet, um Jugendliche vor extremistischen Ideologien und Gruppen zu schützen. Seitdem haben rund 1.400 Jugend- und Sozialarbeiter sowie Lehrer an dem Schulungsprogramm teilgenommen, um radikale Tendenzen rasch zu erkennen und auch zu bearbeiten.
Teil der Ausbildung
Auch in der Lehrer-Ausbildung wird Deradikalisierungsarbeit zu Pflicht. Seit dem heurigen Frühjahr bietet die Pädagogische Hochschule Schulungsangebote im Bereich Extremismus- und Präventionsarbeit. Zugleich entwickelt eine Arbeitsgruppe von 14 namhaften Experten Strategien, wie man das Thema künftig noch besser bearbeiten kann.
"Wichtig ist vor allem, den Unterschied zwischen pubertärem Verhalten und extremistischen Tendenzen zu erkennen. Dafür müssen wir unsere Pädagogen schulen", sagt Gemeinderätin Tanja Wehsely (SPÖ). Gemeinsam mit dem ehemaligen Grünen Senol Akkilic (siehe auch Interview unten) hat sie sich in der rot-grünen Koalition für die Präventionsarbeit stark gemacht. Eingebunden wurden alle relevanten Abteilungen der Stadt, wie etwa die Wiener Kindergärten, die Magistratsabteilungen 11 (Kinder und Jugendhilfe), 13 (Bildung und Jugend), und 17 (Integration und Diversität) sowie der Wiener Stadtschulrat.
Alle Fäden laufen bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft zusammen, deren Leiter Ercan Nik Nafs ist. Mehr als 100 Fälle hat er bereits in die neu geschaffene Datenbank aufgenommen, erzählt er. "Das reicht von dem Mädchen, dass sich in einen Jungen verliebt hat und mit ihm nach Syrien reisen will bis zu einem Burschen, der unbedingt in den Krieg will", sagt Nik Nafs. "Viele wollen aber auch provozieren, so wie andere Piercings oder Tätowierungen stechen lassen".
Daher müsse man die Jugendlichen auch dort abholen, wo sie sind. "Es liegt an uns", sagt Nik Nafs.
Der ehemals grüne und jetzt rote Gemeinderat Senol Akkilic sieht große Herausforderungen für die Jugendarbeit und fordert ein Wahlrecht für alle in Wien.
KURIER: Wo lagen die Herausforderungen beim Thema Integration vor zehn Jahren, wo sind sie heute?
Senol Akkilic: Die sozialen Umstände haben sich verschlechtert. Durch die Finanzkrise gibt es mehr Jugendarbeitslosigkeit, die Herausforderung für die Jugendarbeit ist größer geworden. Die Stadt hat daher bei Bildung und Jugend nicht gespart. Zusätzlich gibt es globale Auseinandersetzungen.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Jugendarbeit?
Viele Jugendliche sind auf der Suche nach Anerkennung und Wertschätzung. Damit muss man sich auseinandersetzen.
Was zieht die Jugendlichen an, dass sie sich radikalisieren?
Wenn ich vor großen sozialen Problemen stehe, suche ich nach Antworten und Werten, die mir Sicherheit anbieten. Wir haben durch die Globalisierung auch eine Vermischung der Werte.
Wie äußert sich das?
Es gibt allein in Wien 250 gesprochene Sprachen. Das sind 250 verschiedene Lebensrealitäten. Da gibt es keine einfachen Antworten. Die Gesellschaft ist vielfältig, wir müssen aber darauf achten, dass die Demokratie und die Grundrechte für alle gelten müssen.
Hat Österreich und Wien das Thema Integration verschlafen?
Die erste Ausländerberatungsstelle wurde 1983 im WUK in Wien eröffnet. Bis dahin dachte man, dass die Gastarbeiter zurück in ihre Heimatländer gehen. Mittlerweile sind aber viele Schritte gesetzt worden, und es gibt ein eigenes Stadtrats-Ressort. Aber Integration hört nie auf.
Was ließe sich verbessern?
Etwa das Wahlrecht für alle in Wien. Denn das stärkt das Zugehörigkeitsgefühl. Wenn ich nicht wählen darf, frage ich mich, welchen Wert ich in dieser Gesellschaft habe.