Stadt Wien klärt jugendliche Flüchtlinge auf
Von Bernhard Ichner
Mann und Frau sind in Österreich gleichgestellt. Nein heißt Nein. Und auch Männer können in einer Partnerschaft zusammenleben. Die 12- bis 14-jährigen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF), die früh am Morgen im Pflicht-Workshop der MAG ELF sitzen, können nicht alles, was ihnen Referent Mojtaba Tavakoli erklärt, nachvollziehen. „Das müssen sie aber auch nicht. Es reicht, wenn sie es tolerieren. Das hier ist die österreichische Gesellschaft, das muss man als Gast akzeptieren“, sagt der 23-jährige Student. Vor neun Jahren kam er selbst als UMF aus Afghanistan, heute hält er vor anderen im Auftrag der Stadt Wien Vorträge über kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen Österreich und deren Herkunftsland. Auf Farsi – damit die Botschaft auch ankommt.
Den afghanischen Jugendlichen, die allesamt in Wohngemeinschaften der MAG ELF auf den Ausgang ihrer Asylverfahren warten, sollen so einerseits die Orientierung erleichtert und Chancen vermittelt werden. Andererseits zielen die verpflichtenden einwöchigen "Willkommens-Workshops" darauf ab, ihre Toleranz gegenüber dem Unbekannten zu fördern. Themengebiete sind Gesundheit und Geschlechterrollen, Bildung, Asylrecht, Traumabewältigung und eben „Kultur und Religion“.
Anders als in der Heimat
In Tavakolis „Unterricht“ erhalten die jungen Afghanen beim KURIER-Lokalaugenschein gerade einen geografischen und politischen Überblick über Österreich. Wer ist (oder besser: wird) Bundespräsident? Wie heißt der Kanzler? Politik und Religion sind – anders als in ihrer Heimat – von einander getrennt. Und nicht jeder hier ist religiös. Dafür gibt es allerlei Formen von Beziehungen: zwischen Männern, zwischen Frauen, vor der Ehe. „Für die Jugendlichen ist das zum Teil unvorstellbar“, sagt der Referent.
Dazu vermittelt der 23-Jährige den Burschen die Grundregeln der hiesigen Höflichkeit. Wann es angebracht ist, jemandem zur Begrüßung die Hand zu geben und dass man auch älteren Menschen beim Gespräch in die Augen schauen darf. „Es geht darum, aufzuklären – um Spannungen zu vermeiden.“
"Kein Benimmkurs"
Das betrifft auch das sensible Thema Sexualität, wie Yvonne Kirste, Leiterin des MAG-ELF-Krisenzentrums erläutert. „Der Lebensabschnitt der Pubertät mit den körperlichen Veränderungen und der psychosexuellen Entwicklung stellt männliche Jugendliche vor viele Herausforderungen. Dabe erschweren problematische Männlichkeitsbilder ein offenes und vertrauensvolles Reden über Unsicherheiten und Probleme. Burschen fühlen sich oft unter dem Druck, sich vor anderen als cool zu präsentieren. Das birgt für sie das Risiko, sich aus Unwissenheit oder falschen Vorstellungen in problematische, gesundheitsgefährdende oder grenzverletzende zwischenmenschliche Situationen zu begeben. Zudem sind kritische Lebensereignisse, wie Flucht oder Vertreibung noch enorme zusätzliche Belastungen.“
Als Benimmkurs will Kirste die Workshops dennoch nicht verstanden wissen. Viel mehr gehe es darum, den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, „die Orientierung in unserer Lebenswelt zu erleichtern“.