Chronik/Wien

Spritzwein in türkisen Socken am Neustifter Kirtag

Was wäre besser geeignet für ein Wahlkampf-Aufwärmtraining, als die Wein- und Lederhosen-Seligkeit des Neustifter Kirtags? Ist er doch traditionell am Ende der Sommerpause beliebtes Aufmarschgebiet für die Wiener Polit-Prominenz.

Das dachten sich wohl auch die Strategen rund um Wiens ÖVP-Parteichef Gernot Blümel. Um nur ja nicht übersehen zu werden, ließen sich die treuesten ÖVP-Fans für die Eröffnung Freitagnachmittag eigens mit türkisen Socken zur Lederhose ausstatten. „Pimp up your Tracht“, lautete die parteiinterne Devise.

Deutlich bescheidener fällt da schon der Auftritt der FPÖ aus. Früher mit Heinz-Christian Strache als umschwärmtes Zugpferd am Kirtag, bleibt es diesmal Vizebürgermeister Dominik Nepp überlassen, die FPÖ in Neustift zu repräsentieren. Immerhin hat er das seltene Privileg, der ranghöchste anwesende Wiener Stadtpolitiker zu sein. Denn Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), seit Jahren ein Stammgast, verbringt diesen spätsommerlichen Fenstertag noch im Urlaub.

„Ich vertrete gerne die Stadt“, gibt sich Nepp selbstbewusst. Dieser Nachmittag zeigte aber auch: In Sachen Selfie-Anfragen kann er seinem Vorgänger noch nicht ganz das Wasser reichen.

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Patriotismus

Den meisten Besuchern ist die Politik ohnehin egal. Wie etwa Tiermedizin-Studentin Astrid aus Favoriten. Sie trägt zwar kein Dirndl, dafür aber eine Lederhose. „Man hat ja sonst nicht so oft die Gelegenheit, Tracht zu tragen“, sagt sie, die sich auch aus „etwas Patriotismus“ heraus gerne so kleidet.

Warum Dirndl und Lederhose in Wien in den vergangenen Jahren so populär geworden ist, kann sich Astrid aber selbst nicht so genau erklären. „Das ist vermutlich ein Hype, der vom Münchner Oktoberfest zu uns übergeschwappt ist.“

Schon vor der offiziellen Eröffnung wirft sie sich mit ihren Freunden in das Gewühl zwischen den Langos- und Lebkuchen-Standln, um bis zur Afterparty zu bleiben. Das hat sie auch an den kommenden drei Tagen bis Montag vor. „Es gibt sogar Leute, die sich für den Kirtag extra Urlaub nehmen.“

In Neustift gefällt es Astrid weit mehr, als auf der „Wiener Wiesn“, die demnächst wieder im Prater über die Bühne geht. „Weil hier muss man keinen Eintritt bezahlen.“

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Mit seinen jährlich rund 100.000 Gästen ist der Neustifter Kirtag jedenfalls so stark besucht wie kaum eine andere vergleichbare Wiener Brauchtumsveranstaltung.

Dabei stand die Veranstaltung in den 1990er-Jahren mangels Besucher kurz vor dem Aus, erinnert sich Wolfgang Zeiler, Obmann des Weinbauvereins Neustift. „Wir hatten dann aber die Idee, die Veranstaltung von den Lokalen auf die Straße zu verlegen“, blickt er zurück.

Mit dem Bus ins Dorf

Mit dem Appell an die Gäste, in Dirndl oder Lederhose zu kommen. Ihm folgten zunächst nur wenige, mittlerweile würden aber 70 Prozent der Gäste in Tracht kommen, schätzt Vereinsobmann Zeiler. „Der Kirtag ist ein Trachtenfest mitten in der Stadt. Um so etwas zu erleben, müsste man als Wiener ansonsten sehr weit mit dem Auto anreisen. Zu uns kann man mit dem Bus fahren.“

Tradition:

Der Kirtag hat seine Wurzeln im 18. Jahrhundert. Nach einer schlechten Ernte zogen die Neustifter Winzer mit einer Erntedankkrone zu Kaiserin Maria Theresia und baten um Steuerfreiheit. Sie erließ ihnen die  Abgabe und gab ihnen auch die Krone zurück, mit der Auflage, jedes Jahr einen Kirtag abzuhalten.

Programm-Highlights:

Sonntag: Feldmesse bei Friseur Müller (ab 10 Uhr), Hiatabaumaufstellen bei Schiefer Giebel, anschließend Umzug mit der Hauerkrone (ab 15 Uhr).
Montag: Traditioneller Kirtags-Kehraus im Erbensbach (ab 18 Uhr), Abschlusseinzug der Hauerkrone im Fuhrgassl Huber (ab 22 Uhr).