Chronik/Wien

"Sparwütige Ahnungslosigkeit"

Bis 2014 war der Mediziner Wilhelm Marhold Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV). Zum ersten Mal seit seinem Abgang nimmt er im KURIER-Gespräch öffentlich zu den zahlreichen Baustellen Stellung, die den KAV aktuell beschäftigen.

KURIER: Der KAV soll demnächst in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt werden, um effizienter zu werden. Eine sinnvolle Maßnahme?

Wilhelm Marhold: Im KAV ist es wie im ÖFB. Das Publikum interessiert nicht das Statut, sondern die Leistung am Platz. Die Patienten müssen die Leistungen bekommen, die sie benötigen. Aber keine Frage: Eine größere Selbstständigkeit in Personal- und Finanzfragen sowie Strukturentscheidungen sind für eine effiziente Führung wichtig.

Der KAV bekommt im Zuge dessen auch ein neues Führungsteam. Welche Voraussetzungen muss dieses mitbringen?

Für ein so großes Unternehmen braucht es ein klares strategisches Konzept, erarbeitet und abgestimmt mit den Mitarbeitern und im Einvernehmen mit der Gewerkschaft und der Ärztekammer. Zweitens: Unser größtes Gut ist die hohe persönliche Motivation der Mitarbeiter. Da muss vom Management mehr kommen als die in Ansprachen betonte "wertschätzende Kommunikation", die dann ohnehin im Alltag meist keine ist. Wir müssen auf unsere Patienten und unser Personal schauen.

Überfüllte Ambulanzen, Gangbetten, Ärzteproteste: Seit Jahren sorgt der KAV für Negativ-Schlagzeilen. Was ist da schief gelaufen?

All das sind Symptome ein und derselben Krankheit: Sparwütige Ahnungslosigkeit über das Kerngeschäft – Medizin und Pflege.

Fakt ist aber, dass im Wiener Spitalsbereich gespart werden muss. Wie soll das erfolgen?

Wenn man im Spitalsbereich sparen will, muss man Wissen und Konzepte für das Kerngeschäft haben. Ökonomen neigen im Spitalswesen immer zum Spardeckel. Das funktioniert nie und die Motivation der Betroffenen geht den Bach hinunter. Und die Leistungen für die Menschen sind auch weg. Im Spitalsmanagement muss man vielmehr Strukturen und Abläufe verändern, so sparen, Effizienz steigern und den medizin-technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt im Spital wirtschaftlich abholen.

Ist das der einzige Fehler des KAV-Managements?

Nein. Beispiel Informationspolitik: Wenn ein Management nach innen und nach außen nicht oder nur grottenschlecht kommuniziert, darf man sich nicht wundern, wenn Patienten 16.000 Protestunterschriften gegen die geplante Verlegung der Augenabteilung des Donauspitals sammeln, wie das zuletzt geschah. Nächstes Beispiel: Im Zuge der Ärzteproteste im Vorjahr wurde versucht, die einzelnen Berufsgruppen im Spital gegeneinander auszuspielen. Das ist brandgefährlich für die Patienten.

Seit 2015 dürfen Spitalsärzte nur mehr 48 Stunden pro Woche arbeiten. Ist die Umsetzung im KAV gelungen?

Es wurde völlig übersehen, dass die neue Dienstzeit der Ärzte unmittelbare Auswirkungen auf die Qualität und Quantität der Krankenversorgung hat. Es braucht mindestens die Routineauslastung von 8 bis 18 Uhr, will man das Versorgungsniveau aufrechterhalten. Das derzeitige Dienstzeitmodell deckt dies aber nicht ab. Auch wenn die Akutversorgung gesichert ist. Das bekommen die Patienten zu spüren: Wenn der Tramwayfahrer nicht da ist, fährt die Tramway nicht. Wenn der Arzt nicht da ist, steht der Operationssaal oder die Ambulanz.Das Projekt Krankenhaus Nord ist aus dem Ruder gelaufen. Die Kosten steigen, die Inbetriebnahme verzögert sich massiv. Wie konnte das passieren?

Im Dezember 2013 wurde die Baustelle gemäß Prüfvermerk der externen Kontrolle im Zeit- und Kostenplan an meine Nachfolger übergeben. Danach kam es zu Verzögerungen, unter anderem, so höre ich, aufgrund des Konkurses der Fassadenfirma. Wenn Bauzeiten nicht eingehalten werden können, wird es immer schwierig.

Wie, schätzen Sie, wird es mit der Baustelle weitergehen? Gerne wird übersehen, welch hervorragende Infrastruktur dieses Spital hat. So verfügt es etwa ausschließlich über Ein- und Zwei-Betten-Zimmer. Noch dieses Jahr soll es baulich fertiggestellt werden. Die technische und medizinische Inbetriebnahme ist aber noch eine sehr große Herausforderung.

Wie stellen Sie sich die Zukunft des KAV vor?

Entscheidend für den KAV ist die Strategie der Konzentration der Spitalsstandorte. Für effizientere, moderne Abläufe und bessere Betriebskostenstrukturen. Bei Erhalt der Leistungen für die Patienten. Nicht mit Leistungsverlust. Fürs bloße Zusperren von Spitälern oder Abteilungen ohne Plan hole ich mir einen Schlosser. Dafür bräuchte es keine hoch bezahlten Manager.

Der heute 64-jährige Gynäkologe war von 1997 bis 2005 Ärztlicher Direktor der Rudolfstiftung. Bis 2014 war er Generaldirektor des Krankenanstaltenverbunds (KAV). In seine Amtszeit fallen unter anderem die Erstellung des Spitalskonzepts, das die Übersiedlung vieler Einzelstandorte in das neu errichtete Krankenhaus Nord vorsieht, und die Etablierung der Dialyse GmbH des KAV mit der WGKK und den Barmherzigen Brüdern.

Krankenanstaltenverbund

Mit rund 30.000 Mitarbeitern zählt er zu den größten Spitalsträgern Europas. Zu ihm gehören zehn Spitäler, drei Geriatriezentren, sowie acht Pflegewohnhäuser.